Wir sind Privat-Bankiers, Diskretion ist eines unserer höchsten Güter.» So drückte sich Pascal Picci aus, der Mann, der seit dem 1. Januar 2000 an der Spitze der Longbow Finance steht und der von seinem Büro aus, mit unverbaubarer Aussicht über den kleinen Hafen von Lutry, auch die Geschicke der Sauber Group leitet, die Longbow im Juli in ihren Besitz gebracht hat. Ein grosser Unterschied zwischen dem Zürcher Oberland, wo Sauber beheimatet ist, und den Ufern des Genfersees. Und auch für das Formel-1-Team beginnt ein neues Kapitel. Die neuen Inhaber, die einen äusserst guten Ruf im Bereich der Vermögensverwaltung geniessen, haben Grosses vor mit dem Formel-1-Team. Dieses soll in ihren Augen ein «Schweizer Team», statt bloss ein «Zürcher Team» werden.
AR: Wann begannen die Kontakte zwischen Longbow Finance und Sauber?
Pascal Picci: Das war vor rund zwei Jahren, im Herbst 2014, als Marcus Ericsson – der damals noch bei Caterham war – mit Sauber über die kommende Saison diskutierte. Ich verfolgte die Karriere von Marcus schon seit Langem. Kurz darauf befand sich Sauber in Schwierigkeiten und da sind wir zum ersten Mal ins Spiel gekommen. Aber es ist klar, dass die Unterstützung für den Fahrer in keiner Verbindung steht mit unserem Investment in Hinwil: Das sind für uns zwei unterschiedliche Investitionen und Marcus geniesst deshalb absolut keine Vorteile gegenüber den anderen Piloten.
Was veranlasst ein Unternehmen wie Longbow Finance, in ein Formel-1-Team zu investieren?
Wir haben nicht in ein Formel-1-Team, sondern in die Sauber Group und in ihren Standort in Hinwil investiert: in die Installationen – darunter den hochmoderne Windkanal – das Know-how, die Patente, die hervorragenden Kenntnisse bezüglich 3-D-Prototyping und neue Materialien wie Karbon-Kompositen, die eine rasche und ökonomische Umsetzung von Projekten ermöglichen. Wir sind überzeugt, dass in Hinwil ein enormes Potenzial liegt, dass nur darauf wartet, genutzt und weiterentwickelt zu werden, da es zurzeit unterbeschäftigt ist. Bei aller Diskretion: Bereits heute profitieren verschiedene, auch namhafte Kunden aus der Automobilindustrie davon. Die Formel 1 ist das grosse Schaufenster für das Unternehmen, in dem wir zeigen können, was alles möglich ist. Unter der Bedingung natürlich, dass man ihm die nötigen Mittel zur Verfügung stellt.
Wieso hat Peter Sauber das Steuer abgegeben?
Das war seine persönliche Entscheidung. Meiner Meinung nach gebührt ihm ein grosses Lob: Er hat alles gegeben, um das Unternehmen zu retten – für eine sichere Zukunft für die rund 350 Angestellten und ihre Familien. Angesichts der Schwierigkeiten hätte er das Geschäft auch schliessen können, wie das so viele andere getan haben. Nach dem überraschenden Ausstieg von BMW (Anm. d. Red.: Ende 2009) hat er keine Sekunde gezögert, das Unternehmen zurückzukaufen, das einst ihm gehörte, damit es weiterleben konnte. Aber dazu benötigt es gewisse Mittel und da sind wir eingestiegen. Wir haben nicht dieselbe Sichtweise, wie ein Geschäft geführt werden sollte, aber wir sind stets in einer guten Beziehung zu ihm geblieben. Ein Lob gebührt auch Monisha Kaltenborn: Ohne sie, die sich während knapp zweier Jahre mit Leib und Seele für Sauber eingesetzt hatte, wäre das Unternehmen wohl schon untergegangen, bevor wir es hätten übernehmen können. Dies ging, wie man sehen konnte, zulasten des sportlichen Erfolgs. Aber jetzt kann sie sich wieder zu 100 % auf den Motorsport konzentrieren, wir nehmen ihr die finanziellen Probleme.
Hat der Wechsel der Besitzer der Formel 1 mit dem Einzug der American Liberty Media einen Einfluss auf den Entscheid der Longbow Finance?
Nein, der Kauf von Sauber war bereits vorher aufgegleist worden. Aber es ist ein begrüssenswerter Wechsel, der die Entwicklung der Formel 1 in die richtige Richtung lenken kann, mit mehr Einkünften und weniger Ungleichheit bei der Verteilung unter den Teams.
Was halten Sie von der Revolution im Reglement der Saison 2017?
Das ist eine hervorragenden Möglichkeit, um die Zähler auf null zu stellen und zu zeigen, wozu Sauber fähig ist. Gute Ideen sind keine Frage des Budgets und in der Schweiz haben wir fähige Personen, die Technologien und die Organisation. Wir werden so viel investieren, wie nötig. Finanziell wird Sauber sehr solide dastehen. Unsere Investition soll nachhaltig sein. Unsere Idee ist es nicht, Sauber zu einem Giganten zu machen, aber wir zögern nicht, in jedem Fachbereich die fähigsten Leute zu rekrutieren.
Wie planen Sie, diese nach Hinwil zu locken?
Dadurch, dass sie die Freiheit haben werden, ihre Pläne zu verwirklichen. Wir können niemanden mit den Salären der grossen Teams ködern, aber mit der Möglichkeit, zu erfinden, Neues zu schaffen und das zählt viel in dieser Welt. Ich bin genügend in Kontakt mit Geld, um zu wissen, dass die Leute, solange sie genügend verdienen, um ein normales Leben zu führen, sehr daran interessiert sind, dem Unternehmen auch etwas zurückzugeben. Das ist der «added value», der persönliche Wert, den jeder Mitarbeiter beiträgt. Ich leite Longbow Finance nun seit rund 15 Jahren auf der Basis dieser Werte und das funktioniert sehr gut. Ich könnte Sie ohne schlechtes Gewissen losschicken, um in unserem Unternehmen einen unzufriedenen Mitarbeiter zu suchen. Wir sind heute 34 Mitarbeiter, in wenigen Monaten deren 50 und es gibt praktisch keine Fluktuation.
Wie werden bei Sauber die Entscheide getroffen?
Gemeinsam. Der Verwaltungsrat, bestehend aus Monisha Kaltenborn und mir, trifft sich alle drei Monate, sofern keine dringenden Umstände etwas anderes erfordern. Und es gibt ein Direktionskomitee, in dem die Verantwortlichen der verschiedenen Bereiche sitzen, das sich auch regelmässig trifft. Wir handeln als ein Team.
Hat Longbow Finance die Mittel oder die Beziehungen, um Schweizer Investoren überzeugen zu können?
Das wäre mein Traum! Wir werden alles tun dafür, aber wir werden natürlich niemanden anflehen. Dank unseren Kunden und unseren Kontakten in der Finanzwelt haben wir ein Netzwerk, das geeignet dafür ist, potenzielle Sponsoren davon zu überzeugen, ihren Schriftzug auf einen Rennwagen zu setzen. Es gibt schon verschiedene Schweizer Unternehmen, die in der Formel 1 aktiv sind – bei anderen Teams oder auf Rennstrecken. Wieso nicht bei Sauber? Wir wollen das ändern! Sauber ist eine Stärke in der Schweiz und soll den Talenten dieses Landes eine Chance bieten. Wir wollen langfristige, zuverlässige Partnerschaften und da sind wir in Verhandlungen. Wir haben hier in der Schweiz einen riesigen Vorteil: unsere Neutralität. Es gibt keine politischen Verstrickungen mit dem Ausland, die gewisse Partner möglicherweise abschrecken könnten. Da haben wir einen grossen Vorteil gegenüber anderen Teams.
Anfang September waren Sie inkognito am Rennen in Monza. Ihr erster GP?
Mein erster GP als Präsident. Als ich klein war, war ich einmal beim GP von Monaco, 1979, wenn ich mich richtig erinnere. Ich fand das unglaublich erbärmlich. Die Art, wie mit den Zuschauern umgegangen wird, der Mangel an Komfort, die übertriebenen Preise. Damals musste man ein wirkliches Opfer bringen, um einen GP zu sehen, wir sind bis nach Italien gefahren, um ein erschwingliches Hotel zu finden. Da sagte ich mir: nie wieder! Monza war für mich wie ein Schlag ins Gesicht. Der erste Schock waren diese enormen Paläste der grossen Teams im Paddock. Man weiss sofort, wer wer ist und wer das Geld hat. Der zweite Schock war der Wahnsinn von Monza, die Menschenflut, die die Piste bevölkerte. Noch viel beeindruckender als im Fernsehen. Auf so viele Menschen war ich nicht gefasst gewesen. Was mich auch beeindruckt hat, war dieser permanente Stress, den ich beim GP von Malaysia einen Monat später überhaupt nicht gespürt habe. Ich war aus familiären Gründen in Singapur an diesem Wochenende und liess es mir nicht nehmen, den Umweg über Kuala Lumpur zu machen. Es ist wichtig für das Team, dass die Leute unsere Beteiligung spüren, dass sie wissen, mit wem sie es zu tun haben, dass wir nicht einfach ein Phantom im Hintergrund sind …
Mario Luini