IN DER MITTE LIEGT DIE KRAFT

«In der Ruhe liegt die Kraft» heisst es sprichwörtlich. Lancia wandelte das Ganze mit dem Beta Montecarlo ab. Da liegt die Kraft in der Mitte. Oder besser gesagt: im Mittelmotor.

Die Geschichte des Beta Montecarlo beginnt mit einem «Seitensprung». Ursprünglich als Ergänzung für den X1/9 im Hause Fiat gedacht, trug er beim Marktstart den Namen von Lancia. «Fiat geniesst im Bau von sportlichen Wagen höherer Kategorie nicht das gleiche Renommee wie Lancia», erklärte ein AR-Redaktor vor 40 Jahren (AR 43/1976 vom 21. 10. 1976). «Zudem war es stets der ausdrückliche Wunsch von Fiat-Chef Agnelli, dass Lancia auch nach der Übernahme durch ­Fiat als selbstständiges Unternehmen technisch hochstehende Klassewagen mit ungewöhnlichen Lösungen weiterbauen soll», heisst es weiter.

Teurer als ein Porsche
Also stand die von Pininfarina entworfene Schönheit am Auto-Salon Genf von 1975 auf dem Stand von Lancia, obwohl die Spezialisten einen Fiat X1/20 erwartet hatten. Trotz dem Namenswechsel konnte der Montecarlo seine Abstammung nicht ganz verbergen. Sein Mittelmotor, ein 2-L-Vierzylinder, entstammt dem Fiat Campagnola, die Leistung wurde von einst 80 PS auf 120 gesteigert. Die Messwerte, die unser Testteam von damals ermittelt hatte, wiesen eine Zeit von 9.1 s von 0 auf 100 km/h aus; für den stehenden Kilometer benötigte der Montecarlo 30.6 s. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 193 km/h. Damit liess der Lancia Konkurrenten wie den Alfa Romeo Alfetta 2000 GTV, den Datsun 260 Z und sogar einen Porsche 924 hinter sich – Höchstgeschwindigkeit ausgenommen. «Der Montecarlo erfüllt die Erwartungen», konstatierten unsere Tester.
Auch wenn diese Resultate unsere Redaktoren begeisterten, gab es durchaus auch Kritikpunkte am Beta Montecarlo – der ab der zweiten Generation von 1980 bloss noch Montecarlo hiess. Mit einem Verkaufspreis ab 29 200 Fr. (entspricht heute rund 60 000 Fr.) war der Lancia 6000 Fr. teurer als der Alfetta 2000 GTV oder 3750 Fr. teurer als ein Porsche 924. Dazu kamen noch gravierende Probleme bei der Abstimmung der Bremskraftverstärkung, was zur Folge hatte, dass die Räder ungleich schnell blockierten. Die Tester stellten fest, dass «der Testwagen auf nasser Strasse manchmal seitlich auszubrechen droht», weil «die Vorderräder ungleich abgebremst wurden oder sogar einseitig blockierten». «Offenbar stimmte hier etwas nicht», konstatierten sie.

Zwei Jahre ausgesetzt
Der Autor wusste während des Schreibens noch nicht, wie recht er behalten sollte. Im Jahr 1978 musste Lancia die Produktion des Montecarlo in der Tat für zwei Jahre unterbrechen, um die Bremsprobleme in den Griff zu kriegen. Die Lösung? Der Bremskraftverstärker wurde ausgebaut. Der Produktionsstopp und dieses Missgeschick spiegelten sich auch in den Absatzzahlen wider: Rund 5780 Stück des Coupés erblickten zwischen 1975 und 1981 das Licht der Welt. Ein verhaltener Erfolg, der aber die durch­aus vorhandenen Qualitäten des Lancia nicht mindern konnte. «Schon wenn man in das enge Cockpit schlüpft, zeigt es sich, dass der Lancia Beta Montecarlo ein echtes Fahrerauto ist», hiess es 1976. «Schon nach den ersten Metern fühlt man sich in diesem Wagen zu Hause. Die Lenkung ist ausserordentlich leichtgängig und sie ist sportlich-direkt untersetzt. Der Strassenkontakt ist hervorragend.»

Auch das Fahrverhalten in den Kurven wird in denselben hohen Tönen gelobt, das Auto sei «agil und wendig» dank seinem Mittelmotor. Der Tester erwähnt, wie das Auto vom Untersteuern am Kurveneingang zum Übersteuern am Kurvenausgang übergeht, wenn man es mit dem rechten Fuss übertreibt. Dank dem «progressiven und vorausfühlbaren» Verhalten sei es für einen «routinierten, aufmerksamen Fahrer» kein Problem, den Montecarlo im Griff zu halten. Noch besser ist, dass die Sportlichkeit weder zulasten des Komforts, der «sich ohne Weiteres auch zum Bewältigen langer Tagesetappen» eignete, noch zulasten des Verbrauchs geht. Letzterer betrug beim Beta Montecarlo im Schnitt 11.7 l/100 km und lag bei 120 km/h bis zu drei Liter unter der Konkurrenz. Das Gewicht von 1015 kg erklärt auch, wie dieser, für damalige Verhältnisse, schmeichelhafte Wert zustande kam. Im Gegenzug liess die Schalldämpfung zu wünschen übrig, wie das Innengeräusch von 79 dB(A) bei 100 km/h bewies.

Ein echter Lancia
Trotz seiner Herkunft von Fiat, passt der Lancia Beta Montecarlo «ausgezeichnet in die Lancia-Philosophie, die den konstruktiv aufwendig gebauten, auf hohe Ansprüche ausgelegten und individuellen Klassewagen jeder banalen Alltagslösung vorzieht». Heute gelingt es dem Montecarlo langsam, das Interesse der Sammler auf sich zu ziehen, mit sehr schönen Exemplaren, die auf Auktionen für bis zu 35 000 Fr. den Besitzer wechseln. Auf dem Occasionenmarkt findet sich aber durchaus noch das eine oder andere Schnäppchen zu einem besseren Preis. Aber psssst, sagen Sie’s bloss nicht weiter …

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