Die Strasse eine Handbreit unter uns, den Fahrtwind im Gesicht. Die Sonnenbrille schützt die Augen vor der nasskalten Märzluft, die auf den Wangen brennt. Durch den offenen Gitterrohrramen des Kyburz eRod sehen wir die Strasse unter uns vorbeifliegen und unser Gefühl sagt uns, dass wir ganz schön schnell unterwegs sind. Ein Blick auf den Tacho bestätigt es … wir fahren gerade einmal sechzig.
Während die Hersteller den Weg zu immer grösseren, schwereren, sichereren, autonomeren Fahrzeugen eingeschlagen haben, marschiert Kyburz entschlossen in die entgegengesetzte Richtung. Der eRod ist sozusagen das Anti-Auto. Für den Alltag komplett ungeeignet, für den Winter sowieso — aber wer konnte schon wissen, dass das Wetter so umschlagen würde an diesem schönen Märzmorgen. Das Einzige, was den eRod auf den ersten Blick mit einem modernen Auto verbindet, ist der Elektroantrieb.
Der eRod Kurven schlagend auf der selbst gebauten Teststrecke.
Sowieso ist Kyburz kein Autohersteller wie jeder andere. Die Firma hat in den frühen 90er-Jahren mit der Produktion von Elektrofahrzeugen für Senioren begonnen. Den Namen Kyburz kennt denn auch kaum einer, eines ihrer Fahrzeuge hat aber bestimmt schon jeder einmal gesehen, sind doch 8000 Fahrzeuge im Verkehr — alleine in der Schweiz. Und zwar sind es die gelben dreirädrigen Fahrzeuge, mit denen die Pöstler unterwegs sind.
Fahrspass elektrisch
Vom Pöstler-Töffli zu einem echten Roadster? So abwegig ist der Gedanke nur auf den ersten Blick, denn es gibt durchaus Parallelen zwischen den DXP genannten Zustellfahrzeugen der Post und dem eRod. So widerspiegeln sie beide den Pioniergeist des Patrons Martin Kyburz. Aus einer Vision heraus sind sie entstanden und aus der eigenen Tasche finanziert worden, ohne konkreten Auftraggeber und ohne zu wissen, ob sich ein Käufer finden wird.
Diese Vision zu zeigen, dass elektrisch fahren auch Spass machen kann, zu einer Zeit, als gerade mal der Tesla Roadster etwas Ähnliches zu bieten vermochte, war es, die dann auch zu einem ersten Prototyp führte. Von diesem internen Prototyp bestehen bloss noch einige Fotos, und heute kann Martin Kyburz in Genf sichtlich stolz das Tuch von der Serienversion des eRod ziehen.
Aber auch technisch gibt es Gemeinsamkeiten zwischen dem DXP und dem eRod. «Wir konnten von der jahrelangen Erfahrung im Bereich Elektroantriebe und Batteriesysteme pro tieren», erklärt Projektleiter Daniel Wenger, der sich während der Präsentation zwar im Hintergrund gehalten hatte, aber dem der Stolz auf das Fahrzeug nicht minder anzusehen ist. «Der Antriebsstrang ist natürlich komplett neu, aber die Batterien sind die gleichen.»
Und Wenger weiss, wovon er spricht, schliesslich hat er das Projekt fast von Anfang an begleitet und entwickelt. Wenn Visionär Kyburz der geistige Vater des eRod ist, so ist Wenger der technische. Als Projektarbeit im Studium hat Wenger, damals im vierten Semester an der Fachhochschule in Biel BE, das Gesamtkonzept für den eRod entworfen und damit den Grundstein gelegt, auf dem auch das heutige Fahrzeug basiert. Der angehende Automobil-Ingenieur war damals so fasziniert von dem Projekt, dass er im darauffolgenden Semester auch noch das Fahrwerk entwickelte und als Diplomarbeit schliesslich den Stahlrahmen konstruierte.
Startbereit
Das war vor zwei Jahren, als Wenger sein Studium abschloss und von Kyburz angestellt wurde. In der Zwischenzeit hat sich so einiges getan am Projekt «eRod». So ist das Fahrzeug, das in Genf gezeigt wird, eigentlich schon die Version 2, mit augenscheinlich überarbeitetem Design gegenüber dem Vorgänger.
Und technisch, was hat sich da verändert? «Natürlich wurde in den letzten zwei Jahren einiges angepasst. Aber das Fahrzeug, das wir in den letzten zwei Jahren gebaut haben, war immer als Prototyp gedacht. Wir haben getestet, angepasst, wieder getestet, wieder angepasst usw. Ich denke, das ist ein natürlicher Ablauf. Jetzt haben wir ihn noch einmal grob überarbeitet und sind an einem Punkt, an dem wir ihn kommerzialisieren können», so Wenger. «Bereits sechs Stück sind bestellt, die in diesem Jahr noch ausgeliefert werden können. Zurzeit sind wir an der Zertifizierung und hoffen, dass es noch reicht für eine Serienzulassung. Ansonsten müssen wir diese per Einzelabnahme einlösen.»
Die Bestellungen, die folgen, werden im Jahr 2017 ausgeliefert. Wie gross die Nachfrage sein wird, weiss man zurzeit noch nicht so genau. Man hat Kapazität für eine Fertigung von rund 20 bis 50 Stück, die bis zum nächsten Sommer gefertigt werden könnten.
Es geht noch mehr
«Falls wir von der Nachfrage überrascht werden sollten, könnten wir die Fertigung nötigenfalls auch ausbauen», sagt Flurin Vicentini, Leiter Entwicklung bei Kyburz. Läuft man mit ihm über das Firmengelände in Freienstein ZH, glaubt man ihm das sofort.
Noch vor wenigen Jahren war Kyburz ein kleines Unternehmen mit einem beschränkten Produktionsvolumen. Als dann der Zuschlag der Post für die Fertigung des DXP kam, musste man die Fertigung massiv ausbauen. Heute läuft die Produktion sozusagen am Band. «Im Moment ist es relativ ruhig. Bei Bedarf könnte alle neunzig Minuten ein DXP die Hallen verlassen», erzählt Vicentini. Ein gutes Dutzend Mitarbeiter ist in den ehemaligen Hallen der Spinnerei Blumer in der Fertigung des DXP tätig. Jeder von ihnen kennt seine Handgriffe und Arbeitsschritte genau, bevor er das Fahrzeug an seinen Kollegen bei der nächsten Arbeitsstation weitergibt.
Ganz so ausgebaut ist die Produktion des eRod natürlich noch nicht. Die Fertigung und die Montage geschehen in einer kleinen Werkstatt am Rande des Firmengeländes. «Wir machen bei uns vor allem Entwicklung und Montage. Eigentliche Fertigung haben wir relativ wenig», erklärt Vicentini. So wird beispielsweise der fertig geschweisste Rahmen vom selben tschechischen Lieferanten bezogen, der auch die Rahmen der DXP fertigt. Wieder andere Teile werden eingekauft und auf die eigenen Bedürfnisse angepasst. So entstammen die Radträger ursprünglich dem Mazda MX-5. Oder die Motorsteuerung, die komplett eingekauft wird. «Da gibt es Firmen, die jahrelange Erfahrung damit haben. Das überlassen wir dann denen», so Vicentini.
Und so wird der eRod – im Zeitraffermodus – hergestellt.
Und all das fliesst dann zusammen in der Heiligen Halle in Freienstein, in der der eRod-Schriftzug gross an der Wand prangt, und die Platz bietet für drei Fahrzeuge. Während unseres Besuchs ist das ein Serie 2, der sich noch im Aufbau befindet, ein Serie 1 mit Zulassung und Nummernschildern und ein geheimnisvolles drittes Fahrzeug, das offensichtlich mit einem anderen Antriebsstrang ausgerüstet ist als die anderen beiden.
Kalte Finger …
Man gewährt uns eine Testfahrt in einer Serie 1, da die einzige zugelassene Serie 2 zur Zeit unseres Besuches am Auto-Salon in Genf steht. «Unser einziger Satz Winterreifen im Übrigen auch», merkt Vicentini mit einem Lachen an, als wir das Auto auf den Hof schieben und das Wetter umschlägt in eine Mischung aus Schnee und Hagel. Egal.
Auf dem Display auf der Mittelkonsole liessen sich diverse Werte zu Ladezustand, Batteriespannung, -temperatur und Stromfluss ablesen. Unsere Konzentration gilt erst einmal der Strasse. Auf der feinen Schicht Schneematsch, die inzwischen den Asphalt bedeckt, wollen wir die Grenzen der Fahrphysik nicht zu weit ausdehnen. Wer weiss schon, wie schnell wir die feine Linie kontrollierten und unkontrollierten Fahrens überschreiten, in einem solchen Gefährt ohne ABS und ESP.
Nach einigen Metern gewöhnen wir uns daran, dass an dem Auto alles ungewohnt ist. Die Sitzposition ist knapp über dem Boden, die eisige Luft im Gesicht, der Motorensound fehlt komplett, und das Fahrgefühl, das ist intensiv. Die gerade einmal 45 kW des eRod beweisen auf eindrückliche Weise, dass mehr Fahrspass eben nicht nur das Resultat von mehr Leistung sein muss.
Der Faktor Purismus spielt auch eine ganz entscheidende Rolle in dieser Gleichung. Das merken wir, als wir uns auf der kurvigen Landstrasse im Zürcher Unterland doch trauen, den Grenzbereich zu suchen, ohne dass wir uns abseits der Strasse in einem Baum wiederfinden. Mit den 140 elektrischen Newtonmetern, die bei jedem Gasstoss an die Hinterachse drängen, braucht es doch ein ordentliches Mass an Selbstbeherrschung, um der Versuchung nicht zu erliegen und einfach einige Kurven mal im Querschritt zu nehmen.
«Auf dieser Strecke hat jede Kurve einen Namen», erzählt uns ein kahlköpfiger Mitarbeiter, als wir zurückkehren. «Sie wird jeweils nach demjenigen benannt, der dort tödlich verunfallt.» Wir können darauf vorerst verzichten.
Evolution 3
Und wie geht es weiter mit dem Projekt «eRod»? Gibt es schon bald eine Serie 3? «Weiterentwickelt wird immer, das ist klar», meint Wenger verheissungsvoll zum Abschluss unseres Gespräches in Genf. Und wer nicht warten mag, für den gibt es ja noch das mysteriöse Fahrzeug in Freienstein – die Version Race. Mit 150 kW und 305 Nm.