Auf grosser Fahrt: Der Audi E-Tron GT im Test

Der Audi E-Tron GT ist schnell, komfortabel und ruhig. Eigentlich wäre er das perfekte Lang­streckenauto. Aber da ist halt noch die Batterie.

E-Tron GT nennt Audi den bislang grössten Spross der Elektroreihe. GT – also Gran Turismo. Ein sportliches Auto, das gutes Handling bei dynamischem Fahrstil bietet, gleichzeitig aber komfortabel genug ist, damit man mit ihm auch lange Strecken abspulen kann, ohne dass man anschliessend die Bandscheiben neu richten lassen muss oder die Knie Druckstellen kriegen. Üblicherweise sind die GT eher gross, fast immer sind sie eher teuer.

Heute sehen das die meisten Hersteller bei der Bezeichnung nicht mehr so eng, die Frage bleibt aber trotzdem: Ist der E-Tron GT ein echter Gran Turismo, der Fahrspass mit Langstreckenkomfort verbindet?

Schnellladen

Das grösste Einschränkung am Langstreckenkomfort bei einem Elektroauto ist üblicherweise weniger der Komfort, sondern viel mehr die Langstrecke selbst. Also die Batterie. Mit einer Nettokapazität von 93.4 kWh, davon nutzbar 83.7 kWh, gehört der E-Tron GT zum oberen Segment, was die Grösse der Batterie angeht. Er liegt gleichauf mit dem Taycan von Porsche und knapp hinter dem Model S von Tesla. Die offizielle Reichweite mit ­einer Batterieladung soll bis zu 488 Kilometer betragen, eine ziemlich lange Strecke also. Klar ist aber auch, dass das in der Praxis bei den Stromern meist weniger rosig aussieht.

Mit einem Verbrauch von 22.3 kWh auf der AR-Normrunde liegt der E-Tron GT leicht über dem Durchschnitt in seinem Segment. Dies macht er aber mit seiner grossen Batterie wieder wett, die genügend Energie liefert für rund 370 Kilometer. Von voll bis leer natürlich, wer die im Alltag üblichen 80 bis zehn Prozent fährt, bringt es auf 260 Kilometer. Wer eine lange Reise planen will, wird also viele Pausen einplanen müssen. Die Tatsache, dass der E-Tron GT beim Bremsen mit bis zu 265 kW rekuperieren kann, trägt auch dazu bei, so wenig Energie wie möglich zu verschwenden.

Anders als das Duo Audi E-Tron und E-Tron Sportback (die beiden SUV also), die auf einer modifizierten MLB-Plattform aufbauen, setzt der E-Tron GT auf die J1-Plattform des Porsche Taycan. Somit sind die Zellen im Unterboden und unter dem Rücksitz verbaut und bieten eine Batteriespannung von 800 Volt. Damit ist ein Aufladen mit bis zu 270 kW möglich, wobei in der Schweiz die Dichte von derart leistungsfähigen Schnellladern noch eher dünn ist. Stationen mit 150 kW sind aber ziemlich verbreitet, was auch schon ein schnelles Nachladen garantiert, sofern denn die Batterie vorkonditioniert ist. Wird über das Navi ein Ladestopp eingeplant, wird die Batterie temperaturmässig auf die hohen Ladeströme vorbereitet.

Hart oder weich

Zu einem Gran Tursimo gehört per Definition auch Sportlichkeit, und was die nackten Zahlen angeht, ist der E-Tron GT definitiv vorne mit dabei. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 245 km/h – beziehungsweise 250 km/h für den RS E-Tron GT – kann der elektrische GT nicht ganz mit den Verbrennerpendants mithalten. Was den Sprint dorthin angeht, muss sich der E-Tron aber definitiv nicht verstecken: 4.2 Sekunden dauert es von 0 auf 100 km/h im E-Tron GT und bloss 3.4 im RS (s. Box Seite 10). Das Zweigang-Getriebe sorgt dafür, dass der Antrieb die Balance hält zwischen tiefem Verbrauch und guten Fahrleistungen. Im Dauerbetrieb liefern die zwei Elektromotoren 140 kW (190 PS) an die beiden Achsen. Im Boost-Modus, bei aktivierter Launch-Control, kann der Antrieb kurzzeitig bis zu 390 kW (530 PS) und 640 Nm mobilisieren. Das Getriebe sorgt für einen nahezu linearen Durchzug aus dem Stand bis weit über 200 km/h hinaus.

Für Sportlichkeit braucht es nicht nur eine schnelle Beschleunigung, sondern auch eine entsprechende Fahrdynamik. Mit einem Leergewicht von 2.3 Tonnen wird das schwierig für den E-Tron. Die Hinterachslenkung hilft beim Einlenken mit. Aber trotzdem stellt sich eine gewisse Ernüchterung ein, sobald das Auto um die Kurven dirigiert werden soll. Einerseits fehlt eine adäquate Rückmeldung von der Strasse, andererseits beginnt das Fahrzeug irgendwann über beide Achsen zu schieben, sobald die Regelung nicht mehr mithalten kann. Ein Problem, das eigentlich keines ist, da der Grenzbereich sehr hoch angesetzt ist.

Wie üblich bei Audi gibt es die vier Modi: Comfort, Efficiency, Dynamic und Auto. Die optionale, adaptive Luftfederung sorgt dafür, dass das Fahrverhalten des E-Tron GT tatsächlich zu einem Gran Turismo passt. Im Comfort-Modus ist er komfortabel. Längere Autobahnfahrten stellen trotz ultraflacher Reifen kein Problem dar, das hohe Fahrzeuggewicht und der lange Radstand sorgen für Stabilität und einen ruhigen Geradeauslauf. Der Dynamic-Modus sollte dem wirklich sportlichen Fahren vorbehalten bleiben, schliesslich wird das Fahrwerk dann doch sehr hart. Für die Überführungsfahrten zwischen den Passetappen ist das auf Dauer zu hart.

Stoff oder Leder

Auf den vorderen Sitzen fühlt man sich gut platziert neben der hohen Mittelkonsole und mit genügend Kniefreiheit. Wer im GT sogar noch weitere Passagiere mitnehmen will, kann das problemlos, denn auch die hinteren beiden Plätze sind geräumig ausgelegt. Für und Wider gibt es beim Kofferraum: Die 405 Liter hinter der Rückbank genügend bestens für ein Wochenende oder auch eine Woche Ferien zu zweit. Wer ein Familienauto sucht, wird eher mehr Platz benötigen und vor allem: eine grössere Heckklappe. Dass diese erst unter der Heckscheibe öffnet, ist wenig praktisch. Sehr praktisch ist hingegen die mehrfach geteilt abklappbare Rückbank, sodass das Kofferraumvolumen bei Bedarf um ein Vielfaches zunimmt. Zusätzlich bietet auch der vordere Kofferraum, der Frunk, noch einige Liter Stauraum, zum Beispiel für das Ladekabel oder ein kleines Gepäckstück. Für Verwirrung sorgt aber, dass die Entriegelung für den vorderen Laderaum nicht am gleichen Ort ist wie diejenige für die Heckklappe, sondern an der Türverkleidung.

Ansonsten gibt es an der Ergonomie nicht viel auszusetzen. Die meisten Funktionen sind wie gehabt bei Audi. Im E-Tron GT weicht das Bedienkonzept ab von den zwei untereinander angeordneten Touchscreens, das beispielsweise im E-Tron oder im Q8 zu finden ist. Unterhalb des intuitiv bedienbaren 10.1-Zoll-Infotainments sitzt die Bedienkonsole der Klimaanlage mit den zwar unbeleuchteten und unbeschrifteten, aber immerhin physischen Knöpfen.

Für lange Fahrten wären Armauflagen für den Fahrer angenehm. Stattdessen sind die Becherhalten exakt dort, wo eigentlich der Unterarm zu liegen käme, und Kaffeebecher oder Wasserflasche sind permanent im Weg. Die Sitze hingegen passen wie angegossen und bieten guten Komfort und sehr viel Seitenhalt. Auch ist die Sitzposition relativ tief im Fahrzeug, ohne aber dass Ein- und Aussteigen mühsam wäre. Für die Sitze kommt wahlweise – und ohne Preisunterschied – echtes Leder, Kunstleder oder Stoff aus rezyklierten PET-Fasern zum Einsatz.

Gewichtiger Preis

Mit einem Basispreis von mindestens 109 900 Franken ist der Audi E-Tron GT Quattro preislich kein Leichtgewicht. Und gegen oben geht die Skala bis auf gute 200 000 Franken für den leistungsstärkeren RS E-Tron GT. Dafür gibt es aber auch ganz schön viel Auto.

Da sich der Audi die Plattform mit dem Porsche Taycan teilt und auch das Konzept und das Segment ähnlich sind, drängt sich ein Vergleich der beiden auf. Bis jetzt ist der E-Tron GT noch ein seltenes Gefährt auf unseren Strassen und fällt entsprechend auf wie ein bunter Hund. Als der Taycan damals neu war, war das ähnlich, heute ist er schon fast ein vertrauter Anblick.

Während die beiden in weiten Teilen sehr eng miteinander verwandt sind, gerade auch was Antrieb und Reichweite angeht, ist der Taycan mehr der Sportwagen, der leichtfüssig (sofern man das bei 2.2 Tonnen behaupten kann) und nervös unterwegs ist. Der E-Tron GT ist eher – ein GT eben, der gesetzter auf der Strasse liegt und Fahrkomfort auf Langstrecken garantieren soll und auch mit einer grossen Palette an Assistenzsystemen zu überzeugen weiss. Erstaunlicherweise wirkt der Audi auch sauberer verarbeitet und fügt sich nahtlos in Audis Modellpalette ein, die unaufhaltsam wächst. Dem Taycan merkt man auch im neuen Modelljahr den Status als Pilotprojekt der Elektromobilität noch an. Dafür bietet der Taycan aber einige praktische Vorteile wie den grösseren Kofferraum. 

Audi RS E-Tron GT: Gleich, aber noch mehr Leistung

Mit dem RS E-Tron GT drängt Audi noch mehr in Richtung der Spitzenkandidaten der Elektrolimousinen. Noch stärker, noch schneller, noch sportlicher ist die RS-Version des E-Tron GT. So bringen die beiden Elektromotoren im Boost-Modus bis zu 475 kW (646 PS) und ganze 830 Nm Drehmoment – deutlich mehr als der normale E-Tron GT. Aus dem Stand sollen 100 km/h in 3.3 Sekunden erledigt sein. Mit diesen Werte rückt er dem Porsche Taycan Turbo auf die Pelle. Tesla ist mit der Präsentation des Model S Plaid mit 750 kW (1020 PS) und einem Wert von 2.1 Sekunden für den Sprint von 0 bis 100 km/h wieder in weite Ferne gerückt. Der RS E-Tron GT bietet aber fahrdynamisch einige Vorteile. So ist er unter anderem serienmässig mit dem adaptiven Fahrwerk und der Querrsperre an der Hinterachse ausgerüstet. Das macht ihn im Kurvengeschlängel attraktiver, da er noch einmal agiler einlenkt. Dank des Zusammenspiels von der Quersperre und der Hinterachslenkung könnte man schon fast vergessen, wie gross das Fahrzeug eigentlich ist. Mit Ausnahme des Kofferraums, der im RS E-Tron GT bloss noch 350 Liter fasst, ändert sich nichts Grundsätzliches.

Die technischen Daten und unsere Testdaten zu diesen Modellen finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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