Seit der Bundesrat im November 2014 beschlossen hat, offizielle Besuche bei Veranstaltungen im Inland neu zu regeln, gilt nicht mehr die ungeschriebene Regel, dass der jeweilige Bundespräsident den Genfer Automobil- Salon eröffnet. Und so kam denn zur Eröffnung des 86. internationalen Autosalons von Genf nicht Bundespräsident Johann Schneider-Ammann, sondern Innenminister Alain Berset.
Homo Automobilus
Dieser wies in seiner Ansprache, die er praktisch aus dem Stegreif hielt, darauf hin, wofür das Auto alles stehen kann. Er nannte Geschichte, Kultur, Wissenschaft, industrielle Revolution, Entdeckungen und Freizeit. All dies habe zum heutigen «Homo Automobilus» geführt. Und er erwähnte auch die «Automobil Revue», die 1906 als erste Automobilzeitung der Schweiz und Europas erschien. Das Auto sei eigentlich ein Spiegelbild unserer Entwick- lung und habe unsere Gesellschaft völlig verändert, obwohl es noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf grossen Widerstand stiess. So war es bis in die 1920er- Jahre etwa im Kanton Graubünden verboten. Es brauchte zehn Abstimmungen, bis das Auto als Verkehrsmittel zugelassen wurde.
Nein zur Milchkuh-Initiative
Dass ein Bezug zur aktuellen Verkehrspolitik nicht fehlen durfte, war zu erwarten. So bezeichnete der Innenminister das Ja der Stimmbürger zur zweiten Gotthard-Strassenröhre in der Abstimmung vom vergangenen 28. Februar als Ausdruck einer sinnvollen Ergänzung zur Bahn, welche im Juni dieses Jahres die Neat-Bahnlinie eröffnet. Umgekehrt lehnte er die Milchkuh-Initiative, die am 5. Juni zur Abstimmung gelangt, deutlich ab, da sie das ver- kehrspolitische Gleichgewicht zerschlage und gleichzeitig die nanzielle Flexibilität einenge. Die Verkehrs- und Transportpolitik sei eine stetige Suche nach dem Gleichgewicht. Dieses würde bei einer Annahme der Initiative aus dem Lot geraten. Man dürfe die verschiedenen Verkehrsarten nicht gegeneinander ausspielen, bekräftigte Berset. Trotzdem sei die Initiative als politisches Mittel unverzichtbar in einer Demokratie. Sie ermögliche es, in harten Auseinandersetzungen das bestmögliche Resultat hervorzubringen.
Mehr Geld für die Strasse
Zuvor hatte Salonpräsident Maurice Turrettini in seiner Rede darauf aufmerksam gemacht, dass die Strasseninfrastrukturen nicht mit der Entwicklung des motorisierten Strassenverkehrs mitgehalten hätten, «weil unsere Politiker vor allem den Bahnverkehr gefördert haben». Die Argu- mente der Milchkuh-Initiative – mit ihr sollen sämtliche Mineralölsteuer-Einnahmen vollständig der Strasse zugutekommen, denn heute fliessen diese Einnahmen zur Hälfte in den Strassenverkehr und zur Hälfte in die allgemeine Bundeskasse liegen deshalb nach Turrettini auf der Hand. Die Autofahrer zahlten immer mehr, steckten aber häufiger im Stau. Das von den Automobilisten bezahlte Geld müsse vorrangig in die Strasseninfrastruktur fliessen. Es sei ferner höchste Zeit, den Bau des Nationalstrassennetzes zu vollenden, und schliesslich müssten die Autofahrer das Recht haben, über jeden neuen Abgabevorschlag befragt zu werden. Darüber hinaus sei in Erinnerung gerufen, dass von den 9,4 Mia. Franken, welche die Autofahrer an Steuern, Gebühren, Abgaben und sonstigen Umlagen dem Staat jährlich ablieferten, bloss 3,8 Mia. Franken für Strasseninfrastrukturen verwendet würden.
Von grosser Bedeutung
Zu Beginn seiner Ansprache erinnerte Turrettini an die Bedeutung des Genfer Automobil-Salons und an diejenige der Automobilbranche für unser Land. Diese beschäftige gegen 220 000 Mitarbeiter in 21 000 Unternehmen und realisiere einen Umfang von 90,5 Mia. Franken pro Jahr. Das entspreche 15 Prozent des Bruttoinlandprodukts.
François Longchamp, Präsident des Genfer Staatsrats, versuchte in seiner Ansprache verständlich zu machen, weshalb Genf und Waadt als einzige Kantone gegen die zweite Strassenröhre am Gotthard gestimmt hatten. Die Umfahrungsauto- bahn von Genf werde täglich von 75 000 Fahrzeugen benutzt, viermal mehr als am Gotthard. Sie sei saturiert. In 14 Jahren werde die Umfahrungsautobahn mindestens 110 000 Fahrzeuge aufnehmen. Hier seien die grossen Probleme zu lösen, sagte Longchamp abschliessend.