«Wir wollen in Le Mans unbedingt gewinnen»

Der Schweizer ist Leiter des LMDh-Projekts bei Porsche Motorsport und träumt von einem Sieg in Le Mans. Im Interview erklärt er, wie das Team mit der Doppelbelastung Langstrecken-WM und amerikanische Imsa-Serie umgeht.

Für Porsche wie auch für viele andere Hersteller ist die Hypercar-Klasse ein Glücksfall. Denn die übereinstimmenden Vorschriften des Autoweltverbands FIA und des amerikanischen Verbands Imsa ermöglichen es, ein gemeinsames Fahrzeug zu entwickeln. Somit kann der Porsche 963 auf beiden Seiten des Atlantiks antreten. Doch die Herausforderung ist gross, die Konkurrenz hart. Porsche beauftragte den Schweizer Urs Kuratle mit der Leitung des Comeback-Projekts. Er kennt die Langstreckenszene sehr gut, da er bereits bei mehreren Engagements für Sauber und Porsche Erfahrungen sammelte (s. Box «Zur Person»).

AUTOMOBIL REVUE: Nach diversen Teilnahmen an Langstreckenrennen mit Sauber-Mercedes im Jahr 1989 und dann mit Porsche im Jahr 2014 kehren Sie jetzt zu Ihren Wurzeln zurück?

Urs Kuratle: Auf jeden Fall! Und es ist eine erfrischende Rückkehr zu meinen Wurzeln, muss ich sagen. Langstreckenrennen sind vielleicht nicht so spektakulär wie die Formel 1, aber es ist ein toller Sport. Es ist eine sehr gute Form des Motorsports.

Was sind Ihre Ziele für die Saison 2023?

Wir wollen gewinnen. Unser klares Ziel ist es, einige Rennen zu gewinnen. Je mehr, desto besser. Wir sind nicht hier, um Spass zu haben, das ist klar. Wenn Porsche in einer Disziplin antritt, ist es das Ziel, so gut wie möglich zu sein.

Der Porsche 963 wird nicht nur in der Lang-
strecken-WM eingesetzt, sondern auch in der amerikanischen Imsa-Serie. Welche Meisterschaft ist die schwierigste?

Ich habe oft darüber nachgedacht, und ich denke, sie sind einfach unterschiedlich, vor allem in der Art und Weise, wie sie die Rennen angehen.

Können Sie erklären, wie die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Teams und Porsche Motorsport funktioniert?

Wir arbeiten in einem Dreieck: Porsche Motorsport hat seinen Sitz in Weissach, das Team der Langstrecken-WM sitzt in Mannheim und das Imsa-Team in Moores­ville im US-Bundesstaat North Carolina. Beide Teams sind organisatorisch und strukturell nahezu identisch. Sie sind in der Lage, alle ihre Operationen völlig unabhängig durchzuführen. Sie verfügen über das gesamte Personal und alle Ingenieure, um getrennt zu arbeiten. Beide Teams haben jeweils zwei Autos und ein Testfahrzeug. Die Autos und Teile werden in Weissach gefertigt, es gibt keine Fertigung in Mannheim oder Moores­ville. Soweit mir bekannt ist, wird eine solche Organisation zum allerersten Mal im Motorsport aufgebaut. Ich glaube nicht, dass ein anderer Hersteller dies jemals getan hat. Es liegt auf der Hand, dass es zwischen den zwei Teams und Porsche eine Menge Interak­tion gibt. Wenn zum Beispiel ein Team ein Problem hat, werden die Massnahmen zu dessen Lösung auf beiden Seiten des Atlantiks um­gesetzt. Es ist eine echte Heraus­forderung, das Ganze zu orchestrieren und zu managen, aber ich muss sagen, dass es ganz gut funktioniert.

Sind Sie mit den ­bisherigen Ergebnissen zufrieden?

Nein, das sind wir nicht. Wir hatten drei Rennen, zwei in der Imsa und eines in der Langstrecken-WM. In der Imsa hatten wir technische Probleme und dann im zweiten Rennen eine Massen­karambolage. In der Langstrecken-WM hatten wir nur ein Rennen, in dem wir ebenfalls erfolglos blieben. Dieses Team in der Langstrecken-WM hat weniger Erfahrung mit der Arbeit als Team, weil es so neu ist. Um die Wahrheit zu sagen, haben wir gerade erst den Rekrutierungsprozess abgeschlossen. Wir haben eine grosse Herausforderung vor uns, zumal die Konkurrenz in der Langstrecken-WM mit LMH wie Toyota und Ferrari sehr stark ist. (Inzwischen dürfte Kuratle zufriedener sein, denn das Interview wurde vor den Rennen in Portimão und Long Beach geführt. Beim WM-Lauf in Portugal wurde ein Porsche 963 Dritter, das Imsa-Rennen in Long Beach gewann Porsche. – Red.)

Warum haben Sie sich entschieden, in der Langstrecken-WM in der LMDh anzutreten, wo bestimmte Komponenten standardisiert sind, und nicht in der LMH, die eine grössere technologische Freiheit erlaubt?

Das LMH-Reglement erlaubt in der Tat die Entwicklung von mehr Komponenten, aber letztlich ist es für die in der LMH registrierten Hersteller sehr schwierig, sich Leistungsvorteile zu verschaffen. Diese Vorteile werden am Motorausgang durch einen Drehmomentsensor geregelt und kontrolliert, und an diese Messung muss sich jeder Hersteller halten. Der zusätzliche Aufwand, die Teile selbst zu entwickeln, erschien und erscheint uns unnötig. Das Wichtigste für uns war die richtige Balance zwischen den Kosten und dem Leistungszuwachs.

Apropos Kosten: Wie hoch sind die Kosten für die Entwicklung des 963 und ganz allgemein die Kosten für eine Saison in einem Hypercar?

Sie werden verstehen, dass wir es vorziehen, nicht über Zahlen zu sprechen. Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass im Motorsport alles teurer wird als ursprünglich geplant. Andererseits geben wir dank der Standardisierung, die das LMDh-Reglement vorschreibt, weniger aus als die Teams, die in der LMH antreten. Aber um wie viel genau, weiss niemand so genau.

Natürlich gibt es nur eine Chance, das 24-Stunden-Rennen von Le Mans bei seiner hundertsten Austragung zu gewinnen. Wie gerne würden Sie diese einzigartige Jubiläumsveranstaltung gewinnen?

Wir würden wirklich gerne gewinnen, aber wir wissen auch, dass wir nicht die Einzigen sind, die das wollen. Es stimmt, dass es nur eine einzige Chance gibt, ein so einzigartiges Rennen zu gewinnen. Für uns, für die Marke Porsche, die ja auch ihr 75-jähriges Bestehen feiert, ist das ein sehr wichtiges Rennen. Und ja, es ist klar, dass wir in Le Mans unbedingt gewinnen wollen. Natürlich fahren wir jedes Rennen mit der Hoffnung, es zu gewinnen, aber Le Mans ist wirklich etwas ganz Besonderes. Diese Hundertjahrfeier wird grossartig werden. Die Ausgabe im nächsten Jahr wird aber ebenfalls grossartig sein, weil noch mehr Hersteller am Rennen teilnehmen werden.

Sie sind das einzige Team, das sein Auto Kundenteams wie dem Hertz Team Jota, JDC Miller Motorsports und Proton Competition zur Verfügung stellt. Was sind die Vorteile einer solchen Partnerschaft?

Kundenprogramme haben bei Porsche eine lange Tradition, Porsche hat in der Vergangenheit seine Fahrzeuge immer an Privatkunden verkauft. Das bringt einige Vorteile: Ein zusätzliches Auto bedeutet zusätzliche Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln. Natürlich sind diese Partnerschaften auch einschränkend, die Autos müssen fertig sein, bevor sie an die Kunden übergeben werden. Da diese viel Geld ausgeben, um einen 963 zu fahren, wollen sie ein funktionierendes Produkt. Das ist ­eine grosse Herausforderung für Porsche Motorsport, denn das Auto, das irgendwo zwischen ­einem LMP2 und einem LMP1 liegt, ist aus technischer Sicht noch ein Prototyp. Im Moment sind wir der einzige Hersteller, der einen solchen Service anbietet, aber wir wissen, dass auch andere Hersteller über Kundenprogramme nachdenken.

Stellen Sie nur das Auto zur Verfügung oder auch das Personal, das die Fahrzeuge betreut?

Zunächst einmal stellen wir das Auto zur Verfügung, dazu einige obligatorische Ausrüstungsgegenstände und Ersatzteile. Porsche Motorsport stellt auch ein Kundenbetreuungsprogramm zur Verfügung, sodass die Kunden bei Problemen jemanden haben, an den sie sich wenden können. Schliesslich werden sie auch die Möglichkeit haben, Teile direkt an den Rennstrecken zu kaufen. Das ist ein spannender Teil meiner Arbeit, denn es geht darum, im Voraus abzuschätzen, wie viel Material wir zu einem bestimmten Rennen mitnehmen müssen. In den anderen Serien funktioniert das genauso, nur dass die Teile für den 963 teurer sind. Der eigene Bestand der Kunden ist also in der Regel kleiner.

Man hört, Sie hätten einige Schwierigkeiten gehabt, die Autos rechtzeitig zu liefern. Können Sie erklären, woran das lag?

Es war sehr ehrgeizig, den Kunden im ersten Jahr des Betriebs Autos anzubieten. Normalerweise dauert es mindestens ein Jahr, bis die Fahrzeuge den Kunden zur Verfügung gestellt werden können. Mit dem LMDh-Programm verfolgen wir ­einen anderen Ansatz. Wir wollen es gleich im ersten Jahr machen. Aber wir mussten den Kunden sagen, dass ihr Auto nicht vor April ausgeliefert wird. Diese Entscheidung hat uns nicht gefallen, aber wir mussten sie treffen, weil es früher nicht möglich gewesen wäre.

Porsche verdient viel Geld mit seinen verschiedenen GT3-Programmen, für die es 911er verkauft. Glauben Sie, dass das Geschäftsmodell des LMDh profitabel sein kann?

Der LMDh ist viel teurer als die 911er, die in den verschiedenen GT-Klassen eingesetzt werden. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass die Kunden ihren 963 nach ein paar Jahren zum gleichen Preis wie beim Kauf weiterverkaufen können, vor allem wenn das Auto wichtige Trophäen gewinnt. Der Grund, warum wir uns entschlossen haben, in den Langstreckenrennsport zurückzukehren: Wir glauben, dass wir an der Schwelle zu einer neuen Ära des Langstreckenrennsports stehen, in der wir wieder das erleben können, was in den 1980er- und 1990er-Jahren mit dem 956 und dem 962 geschah, als Kundenteams gegen die Werksautos antraten, manchmal mit Erfolg.

Das hat zwar nichts mit Langstreckenrennen zu tun, aber was halten Sie als ehemaliger Sauber-Mitarbeiter von Audis Einstieg in die Formel 1 und Hinwil?

Das ist eine interessante Frage. Egal ob Audi oder ein anderer Hersteller, wenn ein grosser Name ein Team kauft, ist das immer eine gute Sache, weil es Sicherheit bringt. Ich denke, es ist eine sehr gute Sache für Sauber, ich würde das Team gerne an der Spitze der Startaufstellung sehen. Ich freue mich für die Leute, die dort sind! 

Porsche betreibt ein Doppel-Engagement in der Langstrecken- WM (2 Fahrzeuge l.) und in der Imsa (r.). Urs Kuratle steht in der Mitte neben Roger Penske.

Ein Rennwagen mit viel Liebe zum Detail

Der Porsche 963 ist der späte Nachfolger des 962, der in den 1980er-Jahren siegreich war. Er ist ästhetisch weit von den Serienprodukten entfernt, hat jedoch Vier-Dioden-Scheinwerfer und ein hinteres Lichtband, das an den 911 erinnert. Im Gegensatz zu den Fahrzeugen der LMH müssen die LMDh auf einem LMP2-Chassis basieren, das von einem der vier Ausrüster (Multimatic, Oreca, Dallara und Ligier) geliefert wird. «Wir haben das Paket ausgewählt, das uns am verlockendsten erschien, und uns für Multimac entschieden», erklärt Urs Kuratle. Porsche hat ausserdem eine Geschichte mit Multimatic, «weil wir schon mehrmals in der LMP1 zusammengearbeitet haben», wie Kuratle ausführt. Die Zusammenarbeit funktioniert auch in anderen Klassen, der Ausrüster liefert Komponenten für den Porsche 911 RSR, GT3 R und GT3 Cup. Während die LMDh-Vorschriften vorschreiben, dass Hybridkomponenten und das Xtrack-Getriebe standardisiert und kostengünstig sein müssen, lassen sie bei der Wahl des Verbrennungsmotors einen grossen Spielraum. Porsche Motorsport hat sich für den V8-Motor des 918 Spyder mit 4.6 Litern Hubraum entschieden. Mit einer Änderung: Der ursprünglich als Sauger arbeitende Motor wird nun von zwei Turbos zwangsbeatmet. Die Lader des niederländischen Herstellers Van der Lee erhöhen den Druck um nur 0.3 bar, damit der Motor nicht zu leistungsstark wird. Platziert werden sie in die 90-Grad-Öffnung des V-Motors. Den Elektromotor des Hybrids, der zwischen Motor und Getriebe sitzt, steuert Bosch bei. Williams Advanced Engineering kümmert sich um die Lithium-Ionen-Hochspannungsbatterie mit einer Kapazität von 1.35 kWh. Die Ausgangsleistung des Antriebsstrangs ist auf 500 kW (680 PS) begrenzt, wobei sein Mindestgewicht bei 180 Kilogramm liegt. Das Gesamtgewicht des Fahrzeugs darf 1030 Kilogramm nicht unterschreiten. Die Bremsen sind vom Typ Brake-by-Wire. Der 963 wird an den Hinterrädern angetrieben, im Gegensatz zu den LMH-Rennern, die Allradantrieb haben.

Zur Person

Der am 8. Oktober 1968 geborene Bündner Urs Kuratle, der eine Lehre als Mechaniker absolviert hatte, trat Anfang 1989 im Alter von 20 Jahren bei Sauber Motorsport ein. «In diesem Jahr nahm ich mit Sauber zum ersten Mal an Le Mans teil», erinnert er sich. Es war die Zeit der siegreichen Sauber-Mercedes C9 und C11. 1993 wechselte Kuratle mit Sauber in die Formel 1, eine Disziplin, die er heute sehr gut kennt, da er den Schweizer Rennstall fast 20 Jahre lang begleitete. «Und dann, vor zehn Jahren, am 1. März 2013, habe ich bei Porsche hier in Weiss-ach zu arbeiten begonnen. Ich war für den gesamten Betrieb des LMP1-Programms verantwortlich. Nachdem ich seit der Einstellung des Rennbetriebs bei den Prototypen im Jahr 2017 in verschiedenen Positionen tätig war, bin ich heute für den gesamten LMDh-Betrieb verantwortlich, einschliesslich der Leitung der Kundenteams», erklärt Kuratle, der heute die Position des Projektleiters innehat.

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