Vom freundlichen Assistenten zum gläsernen Autofahrer

Fahrhilfen zeichnen viele Daten auf und speichern sie auch in der Blackbox des Fahrzeugs. ­Können diese Informationen gegen uns verwendet werden?

Müdigkeitswarnung, Spurhalteassistent, Verkehrszeichenerkennung – Fahrerassistenzsysteme in vielfältiger Form sind mittlerweile auch in Autos der unteren Preisklasse zu finden. Allerdings sind diese Hilfen ein zweischneidiges Schwert. Aus juristischer Sicht werden aus ihnen schnell falsche Freunde. Denn die gespeicherten Daten können in einem Strafverfahren nach einem Unfall auch leicht gegen den Fahrer verwendet werden. Und selbst bei einem Versagen des Assistenten sieht die Justiz den Autofahrer grundsätzlich als voll verantwortlich an.

Seit 6. Juli 2022 sind unter anderem Unfall­datenschreiber für alle neu typgenehmigten Fahrzeugmodelle in der Schweiz und in Europa obligatorisch. Wohlgemerkt: In diesem ersten Schritt geht es um die Homologation neuer Modelle. Im zweiten Schritt müssen dann tatsächlich alle Neuwagen, die erstmals immatrikuliert werden, ab 7. Juli 2024 neben der «ereignisbezogenen Datenaufzeichnung» (Blackbox) unter anderem serienmässig über einen intelligenten Geschwindigkeitsassistenten (inklusive Schildererkennung), einen Notfall-Spurhalteassistenten sowie Rückfahr- und Notbremsassistenten aufweisen so wie heute schon ESP oder ABS. Vor allem aber müssen diese Systeme über eine einheitliche Diagnoseschnittstelle zugänglich sein. Diese Pflicht ermöglicht Justizbehörden den Zugang zu den Daten des Unfallschreibers. Wenn ein Richter oder Staatsanwalt das Auslesen dieser Informationen anordnet, kann ein Sachverständiger die Daten auswerten.

Die Blackbox sichert die Fahrinformationen einige Augenblicke vor und nach einem Unfall. Prinzipiell muss also ein Crash stattgefunden haben, damit die Daten gespeichert werden. Mit anderen Worten: Versicherung oder die Strafverfolgungsbehörden können glücklicherweise nicht jederzeit auf die Daten zugreifen, um zu überprüfen, ob irgendwann einmal ein Verstoss begangen wurde. Interessanterweise gehen die meisten Hersteller jedoch über die gesetzlichen Anforderungen hin­aus und speichern die Daten im Fahrzeug dauerhaft und kontinuierlich. Im Falle eines Verstosses könnten die Strafverfolgungsbehörden daher auch die Erhebung dieser umfangreicheren Aufzeichnungen anordnen – und bei weiteren dokumentiertenVerstössen diese ebenfalls strafrechtlich verfolgen. Die Frage, inwieweit eine solche breit angelegte Datensuche zulässig ist, wurde jedoch noch nicht endgültig geklärt. Mit anderen Worten: Fahrhilfen helfen einstweilen nur so lange, wie man sich nichts zuschulden kommen lässt.

Die Meldungen der Müdigkeitswarnung werden in der Blackbox des Autos gespeichert. Wenn sich kurz nach einer Warnung ein Unfall ereignet, kann dies gegen den Fahrer verwendet werden.

Was ist bei Versagen des Systems?

Was ist aber, wenn das Fahrerassistenzsystem nicht gut gearbeitet und damit den Unfall nicht verhindert hat? Das Bundesgericht hat in einem Urteil darauf hingewiesen, dass der Fahrer auch bei ­einer Fehlfunktion einer Fahrhilfe für die vollständige Kontrolle über sein Fahrzeug verantwortlich ist (Urteil 6B_1201/2021). Im zugrunde liegenden Fall verfügte das Fahrzeug des Autofahrers über ein System zur Erkennung von Verkehrsschildern. Bei der Einfahrt in eine Ortschaft wurde er mit 80 km/h statt der signalisierten 50 km/h geblitzt. Der Beschwerdeführer verteidigte sich: Sein Verkehrszeichenerkennungssystem habe das Schild falsch gelesen und deshalb nicht automatisch abgebremst. Er sei von der Fehlfunktion völlig überrascht worden und habe einige Augenblicke gebraucht, um selbst zu bremsen. Das Bundesgericht wischte die Verteidigung beiseite. Einerseits müsse der Fahrer den Beweis für ein Versagen des Systems erbringen. Andererseits sei man bei einem solchen Mangel verpflichtet, das Fahrzeug sofort zur Reparatur zu bringen – was der Autofahrer erst spät getan hatte, nämlich mehrere Wochen, nachdem er geblitzt worden war.

Schliesslich erinnerte das Bundesgericht daran, dass Autofahrer trotz Fahrhilfen jederzeit die Kontrolle über ihr Fahrzeug behalten müssen. Im vorliegenden Fall war das Schild aus einer Entfernung von 126 Metern sichtbar. Der Autofahrer hätte also schneller reagieren können und müssen.

Nur wenn das Versagen der Technik die Kontrolle über das Fahrzeug definitiv unmöglich macht, kann der Autofahrer von seiner Schuld befreit werden. Dies ist etwa der Fall, wenn die Bremsen mitten in einer Abfahrt versagen. Aber auch dann könnte der Fahrer schuldig sein, wenn er sein Auto nicht regelmässig gewartet hat. Auch eine Fehlfunktion des Tachos ist keine Entlastung. Sobald der Autofahrer das bemerkt, sollte er langsam genug fahren, um sicherzugehen, dass er das festgelegte Limit nicht überschreitet.

Die Fälle, in denen ein Autofahrer die Schuld auf sein Fahrzeug schieben kann, sind damit äusserst selten, und daran ändern auch die immer besseren Fahrhilfen nichts. 

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