Man spricht bayerisch

Wer sich seit 50 Jahren mit einer Marke ­beschäftigt, weiss wovon er spricht. Doch Kurt Kistler kann nicht nur mitreden, er hat sein Wissen auch erfolgreich weitergegeben.

Kommt vorbei und schaut herein! So lautete der Grundtenor auf unsere Anfrage, der Geschichte und dem Betrieb der Garage Kistler in Niederurnen GL etwas näher auf den Grund zu gehen. Ein Blick auf die Website ergab das Bild einer durch und durch inhabergeführten Garage mit einer überaus engagierten Familie im Hintergrund. Und nicht zuletzt pflegt man hier, am Eingang zum Glarnerland, die Leidenschaft für die wilde Zeit von BMW auf deren Weg nach oben.

Nun sind wir also hier. Ganz am Ende der Strasse steht sie, eine moderne, grosszügig gestaltete Halle, ja ein ganzer Garagenbetrieb. Er kommt etwas unerwartet, denn normalerweise stehen Garagen wie diese heute an den Hauptstrassen grös­serer Ortschaften. Viele kleinere Familienbetriebe sind längst nicht mehr offizielle Markenvertretungen, und viele Markenvertretungen sind längst nicht mehr mitten in einem Dorf zu finden oder wie hier, in Niederurnen, in einem Industriequartier. «Wir sind BMW Spezialisten», beschreibt Seniorchef Kurt Kistler die Beziehung zu seiner Lieblingsmarke. Bei genauerem Blick in den gros-sen Showroom zeigt sich in der Tat, dass die darin glänzenden Autos alle bereits einige Jahre auf dem Buckel haben. «Ich habe mit BMW vor gut 50 Jahren angefangen, das war die Zeit der 2002 oder des 3.0 CSL, das waren meine Traumwagen. Nach der Lehre war ich bald Garagenchef, ich habe auch Rennwagen aufgebaut, auch für mich selber einen BMW 2002 oder einen 320i E21. Vieles habe ich damals selber gebaut, immer geschraubt, Acht-Stunden-Tage gab es eigentlich nie. 1980 machte ich mich selbständig. Die Garage habe ich selber gebaut und später vergrössert», berichtet Kurt Kistler bei einem Kaffee inmitten einer Sammlung von BMW aus den 1970er- bis in die frühen Nullerjahre. «Klassik hat in den letzten zehn Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Wir haben nicht nur auf den meisten dieser Autos gearbeitet, als sie noch neu waren, sondern besitzen auch viele Werkzeuge aus dieser Zeit und die entsprechenden Unterlagen. Auch alte Teile haben wir nie entsorgt. Die Versorgungslage ist zudem bei BMW nicht immer prächtig, allerdings hilft unser Netzwerk, an vieles heranzukommen», sagt Kistler über die Ursprünge als Klassikspezialist. Dabei ist der Fokus recht klar umrissen: «Vorkriegswagen machen wir nicht, das ist eine andere Welt, auch die 1950er-Jahre sind nicht unsere Spezialität. Stark sind wir bei Fahrzeugen ab den 1970er-Jahren.» Kurt Kistler und seine Frau Doris sind auch aktive Mitglieder des BMW Z3-Clubs Vierwaldstättersee.

Eine eigene Sammlung

Als erstes öffnen wir die Türe eines Nachbargebäudes, darin steht der Inbegriff eines frühen Sport-BMW der 1970er-Jahre, ein 3.0 CSI, aufgebaut als CSL. Flügelbewehrt und ohne Stossstangen, dafür mit Front- und Heckspoiler und den charakteristischen Gummileisten auf der Motorhaubenkante steht das Auto da – betriebsbereit. Man beginnt den Chef zu verstehen. 3.0 CS und CSI waren ursprünglich eher Grand-Tourer und keine Rennwagen, der CSL aber wirkt wild und unbändig. Doch das ist nicht alles, das Batmobil, wie es Fans nennen, teilt seinen Platz mit einem Wagen, der Fans wiederum irritieren könnte. Doch Kistler vertritt seinen Standpunkt so überzeugend, dass man ihm als Mann mit Erfahrung sofort vertraut: Es ist ein BMW M3 E30 mit Sechszylindermotor! «Der hält, was man vom Vierzylinder nicht unbedingt behaupten kann», bemerkt Kurt Kistler. Ein Frevel? Wohl kaum, der Umbau sieht dermassen überzeugend aus. Wenn auf der Website der Garage von Tuning die Rede ist, dann weiss man, dass es hier nicht um lärmende Auspuffe und absurd tiefergelegte Poser-Mobile geht, sondern dass bei Kistler der Sinn des Wortes noch bekannt ist: optimieren, ein Auto besser, schneller machen.

Doch auch auf Originalität legt man grossen Wert in Niederurnen. Wir steigen in den Keller unter dem benachbarten Werkstattgebäude. Hier lagern nicht nur Teile, Werkstattbücher und allerlei Gerätschaften, mit denen ältere BMW gewartet und auch wieder instand gestellt werden können. In diesem Untergeschoss tut sich die wahre BMW-Leidenschaft in diesem Haus auf. Hier stehen Autos, die nicht in Vergessenheit geraten sollen, dicht geparkt und nicht zwingend nach Begehrlichkeiten geordnet – eine kleine Fundgrube der ganzen Modellgeschichte der Münchner, nicht nur der M-Modelle oder der Z-Roadster. Allerdings zählt gerade das Urmodell Z1 zu Kistlers Spezialitäten. Und neben einem Exemplar dieses Exoten mit versenkbaren Türen und kunststoffbeplanktem Stahlskelett als Karosserie ist auch ein grosser Z8 vertreten. Als eines von wenigen Autos schaffte es der Z8, quasi direkt vom Neuwagen zum Liebhaberobjekt zu werden. Aber auch wenn dessen Preis heute wieder deutlich sechsstellig sein kann, scheint das nicht das Kriterium zu sein, weshalb bei Kistler so ein Wagen steht.

Zurück im Showroom zeigt uns Kurt Kistler ­einen roten BMW 2002. Das Auto ist unrestauriert, der Innenraum wirkt neuwertig, die Begeisterung dafür ist echt, ein Traumwagen. Dasselbe gilt auch für den Alpina B6 2.8, der erste 3er-BMW mit dem mächtigen Sechszylinder ist trotz des typischen Dekors ein echter Wolf im Schafspelz, von den Felgen bis zu den originalen Sitzbezügen stimmt alles an diesem Auto.

Wissen bewahren und weitergeben

Mit den Lehrlingen sei es eher schwierig heutzutage, meint der Gründer und Inhaber der Garage, die heute neun Mitarbeitende zählt. Dabei gehört zur Ausbildung ein weites Spektrum. «Der Klassikbereich macht mittlerweile über 30 Prozent unseres Umsatzes aus», beziffert Kurt Kistler die Bedeutung von Service, Reparaturen und Restaurationen von klassischen BMW in seinem Unternehmen. Da ist es gut, dass der Senior noch immer voll anpackt und sein BMW-Wissen aus fünf Dekaden einbringen kann. Grund zur Sorge, dass dieses Know-how dereinst verschwindet, besteht kaum. Die Söhne Remo und Simon Kistler sind nicht nur für die Weiterführung des Betriebs zur Stelle, ganz offensichtlich scheint Vater Kistler seinen Söhnen auch das Klassikgen weitergegeben zu haben. Auch ihr Herz schlägt nicht nur für BMW, sondern auch für die Vergangenheit der Münchner Autobauer. Eine Idealsituation? Absolut, viel zu oft verschwindet mit der vorangehenden Generation wertvolles Wissen oder gleich ein ganzer Betrieb. Bei Kistler aber spürt jeder sofort, dass er hier auch in Zukunft mit seinem BMW aus den 1960er-Jahren bis zu jenem der Gegenwart bestens betreut wird. «Unsere Kunden kommen mittlerweile aus der ganzen Schweiz zu uns. Es spricht sich herum. Leider ist die Pflege der Klassiker nicht gerade ein Steckenpferd der grossen BMW-Vertretungen, bei uns gibt es jedoch das ganze Programm», betont Kurt Kistler.

Vielleicht half dem Seniorchef auch der Motorsport, selbst wenn er heute keine Rennen mehr fährt: «Ich nehme nur noch an Schaufahrten teil, natürlich gehört dazu etwa die Fahrt auf den Kerenzerberg.» Das ist sozusagen Kistlers Heimveranstaltung, und man merkt, dass das Motorsport-Virus immer noch ganz tief sitzt. Ebenso deutlich wird die Begeisterung der ganzen Familie für die Marke BMW. Hier ist Kundenservice etwas ganz Natürliches und wird gelebt. Mag für die Hersteller ein noch so gros­ser Stab an Verkaufs- und Marketingexperten geniale Konzepte erstellen, so geht in punkto persönlicher Betreuung absolut nichts über jene durch einen inhabergeführten Betrieb. Wenn zudem dem klassischen Fahrzeug eine ebenso gros­se Aufmerksamkeit geschenkt wird und das in Jahrzehnten gesammelte Know-how noch immer zur Anwendung kommt, ist dies ein echter Glücksfall. Erst recht, wenn er wie mit der Garage Kurt Kistler Bestand haben und das Feuer an die nächste Generation weitergegeben wird. 

Weitere Informationen www.kistlerbmw.ch

Familiensache

Kurt Kistler hat seine Garage in Niederurnen 1980 zusammen mit seiner Frau Doris gegründet und gebaut. Was zunächst mit Datsun begann, fand 1983 zur Wunschmarke BMW. Seither hat sich nicht nur die Modellpalette der Bayern stark verändert, sondern auch das Händlernetz. Heute ist die Garage Kurt Kistler AG eine offizielle BMW-Servicestelle. Daneben spielen die Klassiker eine wichtige Rolle. Bemerkenswert bei 50 Jahren Berufserfahrung ist Kurt Kistlers (r.) gelungene Weitergabe seines Wissens und seiner Leidenschaft an die Söhne Simon (l.) und Remo (M.). In der Werkstatt und im Büro tragen fünf von neun Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen denselben Familiennamen: Kistler!

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