Es ist Montag, wir feiern Jubiläum. Heute mit dem NSU Wankel Spider, der vor 60 Jahren seine Weltpremiere erlebte.
- Zu Beginn mit 50 PS
- Lizenzverträge brachten NSU Millionen
- Heute glaubt nur noch Mazda an den Wankel
Die Massen drängten sich zeitweise in Zehner-Reihen um ihn, wirklich sehen konnte den winzigen sportlichen Zweisitzer des Kleinwagen-Spezialisten NSU aber nur, wer ganz vorne stand bei dieser Premierenparty auf der IAA 1963. Der nur 3,58 Meter lange und gerade einmal 50 PS starke NSU Wankel Spider war die Sensation der Automesse und überstrahlte sogar (zukünftige) Superstars wie Porsche 901 oder Mercedes 600. Sein Geheimnis: Als weltweit erstes Serienfahrzeug wurde er durch einen Kreiskolbenmotor angetrieben, den NSU in Kooperation mit dem Erfinder Felix Wankel realisiert hatte.
Bei aller Euphorie um das Motoren-Prinzip, bei dem rotierende Scheiben das Auf und Ab von Kolben ersetzen und so die Vorteile aussergewöhnlicher Laufruhe, geringen Gewichts und kompakter Bauweise bewirken, verhielten sich die Käufer gegenüber dem Wankel Spider aber zurückhaltend. Ganze 2375 Einheiten wurden bis 1967 verkauft, jenem Jahr, in dem die futuristisch designten Modelle NSU Ro 80 und Mazda Cosmo Sport 110 S den Wankelmotor endgültig den Durchbruch bringen sollten. Tatsächlich baute nur Mazda Kreiskolben-Modelle in Millionenauflage – und hält daran bis heute fest, wie der Plug-in-Hybrid MX-30 R-EV zeigt. Dort sorgt ein Wankelmotor als Stromgenerator für mehr Reichweite. Für alle anderen Firmen von Alfa über Audi, Citroen, Ford, GM, Mercedes, Nissan oder Rolls-Royce bis zu Wartburg erwies sich das Kreiskolben-Prinzip als kostspieliger Irrweg.
Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen, Fachmedien glaubten in dem vor 60 Jahren vorgestellten NSU Wankel-Sportwagen die «Zukunft des Automobils» zu erkennen. Und NSU bestätigte diese Einschätzung ab 1967 durch entsprechende Werbung für die Wankel-Limousine Ro 80: «Ihre Armbanduhr wird durch eine Minibatterie gespeist. Sie sprechen Briefe auf Tonband. Und Ihr Sohn wird einen Beruf ergreifen, den es morgen erst gibt. Warum aber schliessen Sie bei Ihrem Auto Kompromisse?»
In einem Strassenbild, das 1967 von Heckmotor-Käfer oder Heckflossen-Mercedes bestimmt wurde, erschien der Ro 80 mit dem 115 PS leistendem Zweischeiben-Rotationskolbenmotor wie ein Raumschiff aus einer anderen Galaxie, so spektakulär waren seine stilprägend aerodynamischen Linien. Ähnlich rar wie ein Ufo verkaufte sich der Ro 80 auch: Bis 1977 wurden nur 37’398 Einheiten dieses automobilen Avantgardisten produziert, dann machte er dem Audi 100 (C2) Platz, der auf Wunsch von Ferdinand Piёchs Wunsch mit 170 PS abgebendem Wankel erprobt wurde, um dann im Serienalltag mit neuartigen Fünfzylinder-Hubkolbenmotoren zu reüssieren. Die Marke NSU, im Jahr 1969 mit Audi fusioniert, war plötzlich Vergangenheit.
Andererseits wäre die Fusion von NSU und Audi ohne den Wankelmotor vielleicht nie erfolgt. Diese Technologie, in den 1950ern von Felix Wankel als Drehkolbenmotor erfunden und von seinem Kooperationspartner NSU als Kreiskolbenaggregat zur Serienreife geführt, füllte die Kassen der beiden Pioniere via Lizenzverkäufe. Geld, das NSU für seine Transformation vom Motorradspezialisten zum Generalisten mit Modellen wie Prinz, Ro 80 und K70 benötigte. Es ging dabei um hohe Millionenbeträge, schliesslich erwarben in den Jahren 1958 bis 1973 rund 30 Firmen Lizenzen auf den kleinen, leichten und vibrationsarmen Wankel als Nachfolger für konservative Hubkolben-Triebwerke.
Die Liste der Lizenznehmer liest sich wie ein Who’s Who des Automobilbaus: Curtiss-Wright (1958), Fichtel & Sachs (ab 1960, u.a. Citycar-Prototyp mit Wankelmotor), Mazda (ab 1961 für Pkw, Bus, Pick-up, Rennwagen), Alfa Romeo (ab 1962, Spider-Prototypen), Automobilwerk Zwickau (Wankelmotor-Entwicklung für Trabant 601 und Wartburg 353 ab 1962), Skoda (ab 1964 für Modell 1000 MB), Isuzu (ab 1964), Porsche (ab 1965), Rolls-Royce (ab 1965, erster Wankel-Diesel), Citroen (ab 1967 Comotor als gemeinsames Motorenwerk mit NSU und 1969 bzw. 1973 Serien-Pkw Citroen M35 und GS Birotor), Mercedes-Benz (Supersportwagen C 111 von 1969/1970), Suzuki (ab 1970), Ford Köln (ab 1971), Nissan (ab 1971, Sunny Rotary Coupé), Toyota (ab 1971 Prototypen), American Motors AMC (ab 1973, u.a. Pacer Prototyp), Chevrolet (ab 1973, Corvette Concept) sowie Lada (ab 1973 für Behörden- und Polizeifahrzeuge). Hinzu kamen Konzepte, etwa 1976 von John Z. DeLorean, der ein Mazda-Wankel-Aggregat statt des Euro-V6 für seinen Sportwagen wünschte, oder die Stilstudie Opel GT/W von 1974.
Für den Neustart von NSU als Pkw-Produzent war die Zusammenarbeit mit dem Erfinder Felix Wankel (1902-1988) ein Glücksfall, ebenso aber auch die Innovationsfreude des japanischen Ingenieurs Tsuneji Matsuda, Sohn des Mazda-Gründers Jujiro Matsuda. Genau wie NSU musste Mazda um 1960 neue Perspektiven finden, denn die japanische Regierung plante, nur noch drei unabhängige Automobilhersteller zuzulassen. Gleichermassen getrieben aus Begeisterung für die Wankeltechnik wie aus wirtschaftlicher Notwendigkeit wurden sich Mazda-Chef Matsuda und NSU 1961 über ein Lizenzabkommen einig. Bei der Präsentation des ersten serienmässigen Kreiskolbenmotors im Wankel Spider hatte NSU die Nase vorn, aber die neue Technik erwies sich als anfällig. Der Wankel-Spider ging deshalb erst 1964 in Serie, und seine Käufer waren unfreiwillige Testfahrer für NSU, ein Schicksal, das 1967 auch die Ro-80-Enthusiasten ereilte. Mazda liess sich Zeit, bis der Motor standfest war, und dennoch debütierte der Cosmo Sport als erstes Auto mit Zweischeiben-Rotationskolben im Mai 1967 knapp vor dem NSU Ro 80.
Allein Mazda vertraut seitdem unerschütterlich auf eine Zukunft mit Rotation. Vielleicht, weil es die Wankelmotoren waren, die Mazda die Tür zu neuen Märkten öffneten. In Europa brachten schnelle und standfeste Rotary-Typen wie R100 (ab 1968), RX-2 (ab 1970) und RX-3 (ab 1973) der Marke Bekanntheit – und der keilförmige RX-7 verkaufte sich sogar besser als die Porsche-Typen 924/944. In Nordamerika und Asien erzielte Mazda auch mit Pick-ups Erfolge. Und der Eunos Cosmo konterte europäische V12-Supercars. Während die Ölkrisen der 1970er die stets durstigen Wankel (nur Citroen behauptete, der GS Birotor sei effizienter als der Boxer-Vierzylinder) bei fast allen Unternehmen in die Archive schickte, hielt Mazda an Rotary-Typen fest.
Vielleicht, weil die japanischen Wankel auch mit Wasserstoff betrieben werden können, wie etwa Mazda Premacy und Mazda RX-8 zeigten. Als aber 2012 auch der erfolgreiche Sportwagen RX-8 ohne Nachfolger in den Ruhestand fuhr, schien das Kapitel Kreiskolben beendet. Doch die Japaner bleiben dem Rotary-Antrieb sogar im E-Zeitalter treu: Im Januar startete der elektrisch angetriebene Plug-in-Hybrid Mazda MX-30 R-EV mit einem Wankelmotor als Stromgenerator für zusätzliche Reichweite. Schliesslich gilt es, die Produktionsmarke von zwei Millionen Mazda mit Wankelmotor zu knacken. Neu ist die Idee vom Rotarier als Range-Extender übrigens nicht: Audi hat dieses System 2010 im A1 e-tron vorgestellt, aber rasch wieder in der Kiste verschwinden lassen. Zukunftsgläubige Japaner haben anscheinend weniger Angst vor Fehlern. (SP-X/AR)
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