Es sollten die Modelle der Alfa-Romeo-Renaissance werden. Giulia und Stelvio, die 2016 und 2017 vorgestellt wurden, markierten die Rückkehr der Marke zum Hinterradantrieb. Sie sollten die Rückeroberung des Terrains einläuten, das seit den 1980er-Jahren den deutschen Marken überlassen worden war. Während die Weltpresse Technik und Fahrverhalten bejubelte, reagierte der Markt zurückhaltend. Die Verkaufszahlen waren zwar kein Flop, blieben aber hinter den Erwartungen zurück, vor allem in den USA, wo Alfa Romeo nach jahrzehntelanger Abwesenheit ein Comeback feierte.
Diese mässige Resonanz erklärt vermutlich, warum man aufseiten von Alfa Romeo mit Investitionen und Aktualisierungen sparsam umging. So erhalten die beiden Modelle selbst nach mehr als sechs Jahren auf dem Markt keine echte Überarbeitung, sondern nur ein paar Retuschen, die sichtbarste zeigt sich an der Front, wo die Scheinwerfer zu Matrix-LED-Scheinwerfern werden. Der Dreifach-Scheinwerferblick erinnert an den Alfa Romeo S.Z./R.Z. und verstärkt die Verwandtschaft mit dem Tonale. Die Rückleuchten erhalten transparente Kalotten, die Leuchtelemente erstrahlen in passenden Farben. Der Reigen der Innovationen des Jahrgangs 2023 schliesst sich mit den Instrumenten, die digital werden. Der TFT misst 12.3 Zoll. Bei den Motoren gibt es keine Veränderungen, es bleibt bei Vierzylinder-Benzin- und -Dieselmotoren mit einer Leistung von 210 bis 280 PS. Von Hybridantrieb ist keine Spur zu finden, auch nicht von einem leichten Mildhybrid.
Klassische Innenausstattung
So schön alles ausschaut und sich im Innenraum anfühlt, Giulia und Stelvio zeigen erste Anzeichen von Falten. Das Infotainmentsystem hinkt im Vergleich zu den modernsten Systemen hinterher. Das ist nicht nur eine Frage der Bildschirmgrösse mit dem 8.8-Zoll-Display, sondern auch der Software. Der Tonale, übrigens mit 10.25-Zoll-Display, ist spürbar moderner. Das Gute ist, dass Alfa Romeo darauf verzichtet hat, alles auf die Bildschirme zu packen, und die physischen Tasten für die Klimaanlage beibehalten hat. Das neue Panel für die Instrumente ist sehr gut ablesbar und angenehm, allerdings nicht so angenehm wie ein echtes Head-up-Display, das noch nicht verfügbar ist. Ansonsten findet man einen Innenraum vor, der den Zahn der Zeit gut überstanden hat, wobei Materialien und Verarbeitung passen. Die Sitzposition ist hervorragend, vor allem in der Giulia, die für eine Testfahrt mit dem 280 PS starken Benzinmotor zur Verfügung stand.
Beim Druck auf den Startknopf gibt es einen Überraschungsmoment: Ist das nicht versehentlich doch ein Diesel? Das Klackern des Motorblocks erinnert an einen Motor mit Selbstzündung, was nie ein Kompliment ist. Hohe Drehzahlen sind nicht das Metier des Zweiliter-Turbos, bei 5500 U/min regelt die Elektronik die Party ab. Bis dahin aber dreht das 280 PS starke Triebwerk munter hoch, bezaubert durch seine Griffigkeit und die Fähigkeit, dank 400 Nm maximalen Drehmoments in jeder Situation zu beschleunigen. Das Achtgang-Getriebe von ZF unterbricht die Kraftanstrengung des Antriebs nicht, sondern schaltet schnell. Dies gilt vor allem beim Hochschalten, beim Herunterschalten nimmt es sich mehr Zeit.
Unterschiede zur Giulia von 2016? Kaum spürbar. Das gilt glücklicherweise auch für das Fahrverhalten. Die Fähigkeit, zwischen den Kurven zu tanzen und sich leichtfüssig in die Kurve zu werfen, bleibt beeindruckend. Die Giulia kommt mit einem Hauch von Bosheit aus der Kurve heraus, wobei die Hinterachse gerne etwas mehr Gas gibt, um die Spur zu schliessen. Die Limousine reagiert fleissig auf die sehr direkte und präzise Lenkung. Das Gefühl für das Bremspedal, das immer noch nicht perfekt ist, wurde mit der Modellpflege natürlicher. Die Giulia bleibt eine Referenz auf der Strasse und wird diejenigen begeistern, die den Schwerpunkt auf Fahrspass und nicht auf Spielereien legen. Zusammen mit dem Stelvio bleibt sie der beste Alfa Romeo der letzten 40 Jahre.
Sich selbst treu bleiben
Auch der Stelvio, das von der Giulia abgeleitete SUV, erhält die gleichen Updates wie die Limousine. Auf kurvenreichen Strecken kann der kräftige Brummer der dünnen Giulia nicht folgen, da bremst der hohe Schwerpunkt alle Ambitionen. Dennoch bleibt der Stelvio auf der Strasse eines der besten SUV des D-Segments. Eine Brillanz, die allerdings mit einer spürbaren Härte des Fahrwerks erkauft wird. Diese Härte garantiert jedoch eine ausgezeichnete Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten, wie wir auf der deutschen Autobahn feststellen konnten, wo sich der Stelvio unbeeindruckt zeigte. Da es keine Kombivariante der Giulia gibt, bleibt er die Wahl für alle mit hohen Ansprüchen an das Raumangebot. Preise? Ab 71 900 Franken für den 280 PS starken Zweiliter-Benzinmotor mit 4×4-Antrieb.