Pick-ups sind Arbeitstiere. Doch in vielen Regionen der Welt sind sie auch Alltagsautos. In Ländern wie den USA oder Thailand stehen Pick-ups seit Jahrzehnten an der Spitze der Verkaufscharts. In den Vereinigten Staaten führt der grosse Ford F-150 seit bald einem halben Jahrhundert ununterbrochen die Bestenliste an, in Thailand war 2022 fast jeder zweite Neuwagen ein Pick-up. Bei uns sind sie hingegen noch immer Exoten, allerdings mit einer wachsender Beliebtheit. Wenn man darauf achtet, entdeckt man immer öfter grosse Pick-ups, die über die schmalen Schweizer Strassen cruisen.
Mehrere europäische Hersteller haben deshalb ihr Glück in diesem Sektor versucht und einen Lifestyle-Pick-up lanciert. Nachdem VW 2010 mit dem Amarok startete, brachten auch Renault (Alaskan), Fiat (Fullback) und sogar Mercedes-Benz (X-Klasse) eigene Modelle auf den Markt. Abgesehen vom Amarok waren die europäischen Pick-ups aber keine Eigenentwicklungen. Alaskan und X-Klasse basierten auf dem Nissan Navara, der Fullback war unter dem Blech ein Mitsubishi L200. Und abgesehen vom Amarok wurden sie alle wegen mangelnden Erfolgs wieder vom Markt genommen.
Auch dem Amarok wurde fast der Stecker gezogen. Die Produktion der ab 2010 gebauten ersten Generation wurde im Mai 2020 grösstenteils eingestellt, nur in Südamerika wurde sie seither noch gebaut und verkauft. Dass VW nun einen Nachfolger lanciert, ist also nicht selbstverständlich – es brauchte dazu sogar die Unterstützung eines Konkurrenten. «Ohne die Kooperation mit Ford hätte es keine zweite Modellgeneration gegeben», gibt Pressesprecher Andreas Gottwald offen zu. Denn der neue Amarok ist technisch ein Ford Ranger. Nur das Design, die Ausstattung und die Abstimmung stammen aus Deutschland.
Dass Autohersteller solche Kooperationen eingehen, ist nicht ungewöhnlich. Ford und VW haben 2020 einen Kooperationsvertrag abgeschlossen, wonach die beiden gemeinsam rund acht Millionen Nutzfahrzeuge produzieren wollen. Ford übernahm von VW den Hochdachkombi Caddy und formte diesen zum Transit respektive Turneo Connect um, im Gegenzug läuft der neue Amarok bei Ford in Südafrika vom Band. Als drittes Modellpaar wurden im Kooperationsvertrag die Lieferwagen VW Transporter und Ford Transit festgehalten. Doch da wird es etwas komplizierter: Ford wird zwar den Nutzfahrzeugnachfolger des Transporters T6.1 entwickeln, den Nachfolger der sehr beliebten PW-Version (Multivan) hat VW hingegen von der Kooperation ausgeschlossen und produziert diesen als T7 auf Basis des PW-Baukastens MQB in Hannover (D) nur für sich.
Überraschend komfortabel
Doch zurück zum VW Amarok. Dass er ein enger Verwandter des Ranger ist, sieht man nur im Cockpit. Dort zeugen der grosse Touchscreen im Hochformat sowie die digitalen Instrumente hinter dem Lenkrad von der Technikkooperation mit Ford. Die Benutzeroberfläche des Infotainmentsystems wurde aber von VW individualisiert. Der Amarok ist erstaunlich edel ausstaffiert, natürlich abhängig von der Ausstattungsvariante. Die von uns an der Fahrvorstellung gefahrenen Topversionen Aventura und Panamericana – die eine ist auf Offroad-Kompetenz, die andere auf den Strassenkomfort fokussiert – überzeugen beide mit bequemen Sitzen, hochwertigen Materialien sowie einer tadellos wirkenden Verarbeitungsqualität.
Apropos Strassenkomfort: In diesem Punkt liefert der neue Amarok wohl die grösste Überraschung. Denn anders als sein Vorgänger fährt sich der 5.35 Meter lange Pick-up nicht wie ein Nutzfahrzeug, sondern wie ein nobles SUV. Von Motor-, Wind- und Abrollgeräuschen ist im Innern nur wenig zu hören, das Fahrwerk mit MacPherson-Einzelradaufhängung vorne und Starrachse hinten liefert einen guten Federungskomfort und lässt das rund 2.5 Tonnen wiegende Schwergewicht manierlich um Kurven fahren. Die Grösse und das hohe Gewicht des Pick-ups sind aber spürbar, und die Lenkung dürfte etwas direkter abgestimmt sein. Doch die elektromechanische Servolenkung arbeitet präzise und vermittelt ein gut nachvollziehbares Feedback. Natürlich bietet die neue Modellgeneration auch mehr modernere Assistenzsysteme als der Vorgänger: Rund 30 elektronische Helfer sind verfügbar, 20 davon sind neu in dieser Baureihe, darunter ein Spurführassistent oder LED-Matrix-Scheinwerfer.
Nur mit Selbstzünder
Obwohl der Amarok zumindest hierzulande klar als Lifestyle-Pick-up positioniert ist und entsprechend nur als Doublecab mit vier Türen und einer 1.62 Meter langen Ladefläche angeboten wird, sind in der Schweiz ausschliesslich Dieselmotoren im Angebot. Das Basismodell wird von einem Zweiliter-Vierzylinder-Turbodiesel mit 125 kW (170 PS) und Sechsgang-Schaltgetriebe angetrieben, darüber rangieren der doppelt aufgeladene Zweiliter-Vierzylinder mit 151 kW (205 PS) sowie der Dreiliter-V6 mit 177 kW (240 PS), beide gekoppelt an ein Zehngang-Automatikgetriebe.
Alle Modelle sind serienmässig mit Allradantrieb (4Motion) ausgestattet, allerdings kommen je nach Motorvariante zwei unterschiedliche Systeme zum Einsatz. Das Einstiegsmodell bietet drei Antriebsarten, die über einen Drehschalter in der Mittelkonsole gewählt werden: 2H für sparsames Fahren mit reinem Heckantrieb, 4H mit permanentem Allrad sowie 4L für ein möglichst hohes Drehmoment bei niedriger Geschwindigkeit, bei dem die Antriebskraft über ein Planetengetriebe geleitet und das Übersetzungsverhältnis von 1:1 auf 2.73:1 geändert wird. Ebenfalls per Drehschalter sind die Fahrprogramme wählbar: Eco und Normal für die Strasse, die Einstellungen Schlamm/Spurrillen, Sand und Rutschig helfen durchs Gelände. Zudem gibt es den Modus Ladung/Anhänger, denn der Pick-up ist auch als Zugfahrzeug bestens geeignet, da er bis zu 3.5 Tonnen ziehen und als Gespann ein Gesamtgewicht von bis zu 6.5 Tonnen haben darf.
Der stärkere Vierzylinder sowie der Sechszylinder sind mit einem erweiterten zuschaltbaren Allradsystem ausgestattet, das neben dem elektromechanischen Zweigang-Verteilergetriebe auch über eine elektronisch betätigte Lamellenkupplung verfügt. Diese Variante bietet als vierten Antriebsmodus 4A, eine intelligente Kraftverteilung, die das Antriebsmoment je nach Bedarf zwischen den beiden Achsen verteilt. Auf der Strasse wird die Kraft möglichst nur auf die Hinterachse geleitet, bei mangelnder Traktion wird in Millisekunden die Vorderachse dazugeschaltet. Bei diesem Allradsystem beträgt das Übersetzungsverhältnis im 4L-Offroadmodus 3.06:1. Eine per Tastendruck zuschaltbare Differenzialsperre an der Hinterachse ist optional erhältlich (im Panamericana serienmässig).
Ob VW vom neuen Amarok eine ähnliche Power-Variante plant, wie sie Ford mit dem Ranger Raptor auf den Markt brachte, will Markensprecher Andreas Gottwald nicht beantworten. Auch auf die Frage, ob VW an einer elektrifizierten Antriebsform für den Pick-up arbeite, gibt es keine konkrete Antwort. «Möglich ist auf dieser Plattform vieles», sagt er aber vielsagend. Klar, ein Elektro-Pick-up oder zumindest ein Plug-in-Hybrid wäre sehr willkommen, und die Ford-Plattform liesse das auch zu. Vorerst bleibt es aber bei den Dieseln, die im April zu den Händlern kommen. Die Schweizer Preise waren zum Zeitpunkt der Publikation noch nicht bekannt.
Wer erinnert sich noch an den VW Taro (Toyota Hilux)? Nichts Neues also.