Nein, er kommt nicht. Ford macht kein Hehl daraus, dass man für Europa anderes im Sinn habe, als das Lieblingskind amerikanischer Käufer nach Europa zu bringen. Seit 1977 führt der Ford-Pick-up die US-Zulassungsstatistiken an. Seit 2021 gibt es den Fullsize-Truck auch als Elektroversion. Das mag zunächst absurd erscheinen, immerhin haben gerade bei den Pick-ups uramerikanische Merkmale wie Starrachsen, Leiterrahmen und grossvolumige V8-Motoren das Auf und Ab der Automobilrezeption in den USA recht unbeschadet überstanden. Doch im Land der Tesla und vieler weiterer E-Auto-Start-ups ist die Autowelt längst nicht mehr so weit und unberührt wie einst die Prärie des Mittleren Westens. Das Summen der Zero-Emissions-Fahrzeuge hat auch den Kern der amerikanischen Autoliebe erreicht, jene für grosse Trucks wie den F-150.
Vom Erfolg überrannt
Ford hat 2022 bis dato 13 558 Lightning verkauft, im kommenden Jahr sollen davon jeden Monat annähernd so viele gebaut werden – oder rund 150 000 Exemplare im ganzen Jahr. Ford ist derweil weder grössenwahnsinnig noch leichtsinnig geworden. Die Produktionsslots für den E-Truck sind bis tief hinein ins Jahr 2024 vorbestellt oder verkauft. Kein Wunder, gibt es wenig Hoffnung, dass Ford angesichts dieser Nachfrage die US-Käufer wegen Exporten nach Old Europe noch länger warten liesse.
Wer nach besagter Wartezeit – amerikanische Elektroauto-Käufer sind allerdings seit Längerem auf dieses zuvor wenig verbreitete Phänomen eingestimmt worden – endlich eines Lightning habhaft wird, erhält ein Fahrzeug mit einer Reichweite zwischen 370 und 515 Kilometern und mit bis zu 580 PS. Dank des Drehmoments von über 1000 Nm beschleunigt der Alleskönner in unter fünf Sekunden von null bis Tempo 100.
Ja, er ist gewaltig, über seine Spiegel misst der F-150 in der Breite fast so viel wie ein Überland-LKW, rund 2.5 Meter. Und auch die Länge, allein der Radstand misst 3.7 Meter, sorgt dafür, dass eine normale Vorfahrt europäischen Ausmasses selten für eine Wende reicht. An Parkhäuser und Innenstadtparkplätze wollen wir gar nicht erst denken. Dafür glänzt der Lightning mit dem entrücktesten Fahrverhalten aller in jüngerer Zeit zur Probe gefahrenen Autos. Wie es um den Untergrund steht, auf dem der F-150 gerade unterwegs ist, scheint egal zu sein. Der E-Motor gibt zudem keinerlei Hinweise darauf, welcher Belastung das Auto gerade standhalten muss. Das dicke Trumm reisst einen buchstäblich von dannen. Leer wiegt der Lightning mit der grössten Batterie und trotz Aluminiumaufbau – aber mit solidem Leiterrahmen – knapp drei Tonnen. Ein klein wenig fühlt sich das an wie ein Muscle-Car der 1960er-Jahre, das gilt auch für das Fahrwerk: Es ist weich gefedert und lasch gedämpft. Die Bremsen hingegen scheinen, auch dank Rekuperationsfunktion, ganz o. k. zu sein.
Multifunktionstool
Wer will, kann mit der Lightning-Batterie sein Haus drei Tage mit Strom versorgen oder eine Outdoorparty ausrichten. Auch andere Elektroautos lassen sich mit dem externen Anschluss laden, der Lightning ist damit quasi eine übergrosse Powerbank. Damit wird der Elektro-Pick-up einer Aufgabe gerecht, die in den USA immer wieder von besonderer Bedeutung ist: Das Auto ist der ganz besondere Kraft- und Fluchtort der Amerikaner. Aber in Europa? Wie erwähnt kommt der F-150 offiziell nicht über den grossen Teich, selbst wenn einige Zahlen, die richtige Verwendung vorausgesetzt, durchaus für ihn sprechen. So kann er bis zu 4.5 Tonnen ziehen, allein sein vorderer (!) Kofferraum, da wo beim Bruder alter Schule der grosse V8 sitzt, fasst 400 Liter. Und dank seines Stromvorrats könnte er vielleicht tatsächlich helfen, das Stromnetz zu stabilisieren – zumindest dann, wenn er hierzulande in ähnlichen Mengen abgesetzt werden könnte wie drüben.
Zwölf Minuten stand uns der einzige F-150 Lightning zur Verfügung, mit dem Ford Europe aktuell die hiesige Journalistenschar beglückt. Das schränkt natürlich die Summe der Eindrücke erheblich ein. Der F-150 ist aber zum Glück kein Kind subtiler, erst spät erkennbarer Merkmale. Eben, seine Grösse …