Eine Branche steht gewaltig unter Strom 

Im Fall von Stromknappheit kann der Bundesrat die Nutzung von Elektroautos für Freizeitfahrten verbieten. Wir haben Reaktionen.

Es ist keine Überraschung, dass der Massnahmenplan des Bundesrates für den Fall einer Stromknappheit in der Schweiz von der Automobilbranche abgelehnt wird. Denn unter anderem ist es ab der dritten Stufe von vier des Plans verboten, ein Elektroauto in der Freizeit zu benutzen, zudem wird die Geschwindigkeit auf Autobahnen auf 100 km/h begrenzt. Jürg Grossen, Nationalrat der Grünliberalen, eröffnet den Reigen der Unzufriedenen. Kein Wunder, denn der Berner leitet Unternehmen und Verbände, die sich für Elektromobilität oder erneuerbare Energien einsetzen. «Die Beschränkung von Freizeitfahrten mit Elektroautos ist nicht nachvollziehbar und steht quer in der Landschaft», empört sich der Präsident der Grünliberalen. «Weshalb soll ich mit meinem Elektroauto, das ich mit Solarstrom vom eigenen Dach auflade, nicht zur Musikprobe fahren dürfen? Der Bundesrat ist nicht auf der Höhe der Aufgabe und muss nun nachbessern.» Das Schweizer Unternehmen Juice, das auf mobile Ladegeräte für Elektroautos spezialisiert ist, sieht das ähnlich. «Der gesamte Notfallplan des Bundesrats wirkt in vielerlei Hinsicht etwas hilflos», sagt CEO Christoph Erni. «Einige Massnahmen sind fragwürdig oder sogar kontraproduktiv. Aber geradezu gefährlich inkompetent ist die Forderung, E-Autos faktisch zu verbieten, dabei sorgen gerade diese für einen geringeren Stromverbrauch.» Der Juice-Chef erklärt, dass die Förderung, der Transport und die Raffinierung von Erdölprodukten sehr viel mehr Strom verbräuchten als der Betrieb von Elektroautos.

Zu Fuss in die Sauna?

Bei Auto-Schweiz, der Vereinigung der Schweizer Automobilimporteure, geht man mit dem Bundesrat nicht milder ins Gericht. «Die Grundsätze der Verhältnismässigkeit erscheinen uns klar verletzt, wenn in Hotels noch Saunen, Dampfbäder und Whirlpools sieben Stunden am Tag betrieben werden dürfen, aber keine Anreise mit Elektroautos erlaubt ist», ärgert sich Direktor Andreas Bur­gener. Elektroautos verbrauchten 2021 nur 0.4 Prozent des gesamten schweizerischen Stromverbrauchs. «Nach unserem Verständnis sollte in ­einer Strommangellage Mobilität vor Wellness gehen.» 

Das für diese Massnahmen zuständige  Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) weist diesen Vorwurf zurück. Es werde nicht möglich sein, eine Sauna zu besuchen, während andere zu Fuss zum Yoga gehen. «Das Verbot, private Saunen oder Solarien zu betreiben, ist bereits in der Eskalationsstufe 1 der Nutzungsbeschränkungen vorgesehen, also vor allen Massnahmen, die Elektroautos betreffen», erklärt das BWL. Dennoch zeigt die Organisation Mitgefühl mit den Besitzern von Elektroautos, die bestraft würden, obwohl sie etwas für das Klima tun. Das BWL gibt zu: «Die Unzufriedenheit aller Personen, die auf Elektroautos umgestiegen sind, ist verständlich. Leider kann eine Stromknappheit eines Tages alle Anwendungen betreffen, die auf Strom angewiesen sind. Es wird alles getan, um zu verhindern, dass es so weit kommt.»

Langfristige Schäden

Diese Einschränkungen, die dem Elektroauto in einer herausfordernden Zeit wie aktuell drohen, könnten von denjenigen, die sich ein Elektroauto gekauft haben, als widersprüchliches Signal und im schlimmsten Fall als Strafe empfunden werden. In der Automobilbranche ist man deshalb vor allem über die langfristigen Auswirkungen besorgt. Konkret: Autobesitzer könnten künftig stärker zögern, auf ein Elektroauto umzusteigen. «Seit mindestens fünf Jahren wird die Bevölkerung auch von der Politik zum Umstieg auf Elektroautos ermutigt, die jetzt auf einmal der Nutzung dieser Autos Beschränkungen auferlegt», bedauert Domenic Lanz, der Geschäftsführer von Gofast, dem Unternehmen, das das grösste Schnellladenetz der Schweiz baut und betreibt. «Die langfristigen Schäden sind gravierender als die paar Kilowattstunden, die wir heute einsparen.» Dennoch relativiert der Gofast-Chef seine Aussage und argumentiert, dass eines dieser Verbote allein nicht ausreichen würde, um potenzielle Interessenten von Elektroautos zu vergraulen. Es bräuchte eine «Anhäufung widersprüchlicher Botschaften», damit die Kunden den Kauf eines Elektroautos «in Frage stellen» würden. Domenic Lanz rechnet auch nicht mit einem Umsatzrückgang und investiert weiterhin in den Ausbau seines Netzwerks.

Unruhige Kundschaft

Auch die Händler vertrauen darauf, dass das Interesse an Elektroautos intakt bleibt und sich potenzielle Käufer momentan noch nicht abschreckenlassen. «Wir stellen eine leichte Zurückhaltung der Kunden fest, die aber auch mit den derzeitigen Lieferzeiten zusammenhängen kann», räumt Dino Graf, Sprecher der Amag-Gruppe ein. Wie Auto-­Schweiz berichtet, hätten andere Importeure aber eine steigende Unruhe bemerkt. «Unsere Mitarbeiter berichten uns, dass die Kunden bereits beginnen, Fragen in dieser Richtung zu stellen», sagt Andreas Burgener von Auto-Schweiz. Angesichts des enormen Mobilitätwandels hin zum Elektroantrieb, der in den kommenden Jahren auf die Automobilbranche zukomme, sei jeder Kunde, der Zweifel habe, einer zu viel. 

Wie entscheidet das Parlament?

Das BWL stellt sich jedoch taub und verweist auf die Notsituation, in welche die Schweiz im tiefsten Winter geraten könnte. Die Energiesicherheit habe Vorrang: «Eine Stromknappheit hätte schwerwiegende Folgen für die Gesellschaft und die Wirtschaft. In diesem Stadium können Interventionen nicht auf politische oder soziale Entwicklungen Rücksicht nehmen, sondern müssen die Versorgung des Landes sicherstellen.»

Die Frage ist, ob das Parlament dieser harten Linie, die vom Bundesrat und vom BWL angestrebt wird, folgen wird. Dies wird am kommenden Montag, 12. Dezember, nach Abschluss der Vernehmlassung entschieden. 

Der Plan der Bundesrats

Um einen Zusammenbruch der Stromversorgung zu verhindern, hat der Bundesrat für die herausfordernde Zeit mit Stromknappheit vier Stufen von Massnahmen erlassen. Bei der ersten Stufe darf man Wäsche nicht mehr bei 95 Grad waschen, und Reklameleuchten müssen nachts zwischen 23 und fünf Uhr ausgeschaltet werden. Beim zweiten Schritt muss sich die Bevölkerung mit höchstens 19 Grad in der Wohnung begnügen. Wenn die dritte Stufe ausgelöst wird, müssen die Menschen in der Schweiz auf den Gebrauch von Elektroautos in der Freizeit verzichten. Autos, auch mit Verbrennungsmotoren, dürfen auf Autobahnen höchstens 100 km/h schnell fahren. Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) erklärt dazu, dass «eine solche Beschränkung den Verbrauch von Erdölprodukten reduziert, die dann für den Betrieb von Notstromaggregaten oder Zweistoffanlagen zur Verfügung stehen». Auf Stufe drei wird auch die Energie für Unternehmen mit hohem Stromverbrauch kontingentiert. Die letzte Stufe sieht kontrollierte Stromabschaltungen ganzer Städte vor. 

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