Was da kommen sollte, schürte von Beginn weg Befürchtungen. Der Plan der Europäischen Kommission, die CO2-Emissionen von Neuwagen in Europa ab 2035 auf null zu senken, kündigte die EU-Exekutive im Juli 2021 an, vor rund einem Monat stimmten die Europa-Abgeordneten und die Mitgliederstaaten der Europäischen Union dem Plan hin zur Klimaneutralität zu. Damit wird es auch künftig nicht verboten sein, neue Autos mit Verbrennungsmotor in Verkehr zu setzen. Die Automobilhersteller dürfen diese weiterhin verkaufen, aber sie werden mit erheblichen Sanktionen belegt. In der Praxis bedeutet es jedoch, dass die EU neuen, mit Benzin oder Diesel betriebenen Personen- und Lieferwagen bis spätestens 2035 den Garaus macht. Die Politik hat es damit geschafft, ein Jahrhundert der Automobilentwicklung zunichtezumachen.
Die Entscheidung der EU wirft die Frage auf, ob die Schweizer Behörden denselben Weg einschlagen? Die Schweiz sei formell frei und müsse damit die Zielwerte, die sich die EU gesetzt habe, nicht übernehmen, weil diese Regelungen im Zusammenhang mit der Klimapolitik nicht von den bilateralen Verträgen abgedeckt seien, erklärt das Bundesamt für Energie (BFE) auf Anfrage der AUTOMOBIL REVUE. Hingegen habe der Bundesrat am 16. September die Botschaft zur Klimapolitik 2025–2030 verabschiedet und an das Parlament weitergeleitet. «Nach dem Vorbild der Europäischen Union sollen die CO2-Zielwerte für Fahrzeuge bis 2030 verschärft werden. Hingegen äussert sich die Botschaft nicht zu einem allfälligen Ende von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren bis 2035. Der Bundesrat wird der Bundesversammlung zu gegebener Zeit Vorschläge für die Weiterentwicklung der Klimapolitik für die Zeit nach 2030 unterbreiten», führt das BFE aus. Kurz gesagt: Wie genau die Schweizer in Zukunft unterwegs sein werden, ist noch nicht bestimmt.
Gegen den Strom?
Welche Entscheidung die Schweiz auch trifft, Fakt ist, dass sie sich einen Alleingang kaum leisten kann. Schliesslich werden die Autohersteller niemals die Ressourcen bewilligen, um Fahrzeuge speziell für ein Land mit achteinhalb Millionen Einwohnern zu entwickeln. Diese Meinung vertritt auch Andreas Burgener, Direktor von Auto-Schweiz, dem Dachverband der Schweizer Automobilimporteure: «Wichtig erscheint es mir, einen endgültigen Beschluss der EU – noch müssen alle Regierungen der Mitgliedsstaaten zustimmen – und die Überprüfung der Vorgabe 2026 abzuwarten, bevor die Schweiz einen so massiven Markteingriff in ein Gesetz giesst. Sollte die EU tatsächlich diesen Pfad verfolgen, wird es eines Tages kein Angebot mehr an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren in Europa geben, was ein zusätzliches Verbot in der Schweiz eigentlich hinfällig macht.» Tatsächlich hatten die meisten grossen Autohersteller das Ende des Verbrennungsmotors schon lange vor dem EU-Urteil im Kalender stehen. Einige Hersteller wollen sogar schon vor 2035 mit der Nutzung von Kohlenwasserstoffen aufhören. «Eigentlich sollte der Markt entscheiden, welche Technologie sich durchsetzt. Die Dampflok wurde ja bis heute auch nicht verboten, aber es gibt mittlerweile deutlich bessere Technik. Viele Automobilhersteller haben entsprechende Entscheide für sich bereits getroffen und planen den Ausstieg aus Verbrennungsmotoren in Personen- und Lieferwagen, zumindest in Europa», sagt Burgener. Was den möglichen Import von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor aus anderen Kontinenten in die Schweiz betrifft, so werde dies «in Zukunft aufgrund der zunehmenden Komplexität der Assistenzsysteme und anderer technischer Vorschriften immer schwieriger werden», fügt Burgener hinzu. Mit anderen Worten: Den Schweizer Autofahrern blüht letztlich wohl oder übel dasselbe Schicksal wie denen in der europäischen Nachbarschaft.
Dennoch ist es von entscheidender Bedeutung, dass sich die Schweiz gegen das EU-Gesetz stellt und so die Forschung und Entwicklung anderer Technologien unterstützt. «Eigentlich sollten nicht Verbrennungsmotoren, sondern fossile Brennstoffe als solche verboten werden», sagt Christian Bach, Laborleiter für Fahrzeugantriebstechnologien an der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). «Gemäss dem europäischen Plan dürfen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die vor 2035 verkauft wurden, auch nach diesem Datum noch benutzt werden. Wenn sie mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, werden sie weiterhin CO2 ausstossen. Meiner Meinung nach wäre es besser, wenn die Autos stattdessen saubere synthetische Kraftstoffe verwenden würden, und zwar so früh wie möglich.» Synthetische Kraftstoffe werden in Regionen mit grossen ungenutzten Energieressourcen, zum Beispiel in Wüsten- oder Küstengebieten, durch Syntheseverfahren aus Wasserstoff und CO2 hergestellt. Ihre Verbrennung ist kohlenstoffneutral, da sie nur die Menge an CO2 freisetzen, die zuvor bei ihrer Herstellung gebunden wurde.
Aufschub in Europa
Auf ihrem Weg zur Klimaneutralität gibt die EU aber auch synthetischen Kraftstoffen noch eine Chance. Diese ist aber mit einer zeitlichen Klausel versehen. Denn als das neue EU-Gesetz das Schicksal des Verbrennungsmotors besiegelt zu haben schien, fügte die deutsche Regierung, die sich plötzlich ihres industriellen Know-hows bewusst wurde, in letzter Minute eine Bestimmung hinzu, die es den Herstellern erlaubt, weiterhin Autos mit Verbrennungsmotoren zu verkaufen. Natürlich nur unter der Bedingung, dass sie mit kohlenstoffneutralen, das heisst mit synthetischen Treibstoffen betrieben werden.
Der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing erklärte, dass damit «das Verbot des Verbrennungsmotors von der Landkarte gestrichen» sei. In Wirklichkeit handelt es sich aber eher um einen Aufschub für den Verbrennungsmotor, da seine Befürworter nur gerade vier Jahre Zeit haben, um die EU-Gesetzgeber davon zu überzeugen, dass synthetische Kraftstoffe die Anforderungen der Null-Emissions-Politik erfüllen. Schon im Jahr 2026 wird die Europäische Union erneut über die Durchführbarkeit der Technologie urteilen und damit das Schicksal des Verbrennungsmotors erneut auf den Prüfstand stellen. Bisher scheinen jenseits der Schweizer Landesgrenzen nur Hersteller Porsche und Teilelieferant Bosch wirklich auf synthetische Treibstoffe zu setzen. In der Schweiz ist vor allem Synhélion daran interessiert. Das Unternehmen machte jüngst von sich reden, weil es in einer deutschen Anlage im industriellen Massstab kohlenstoffneutrales Flugkerosin herstellte.
Aufwändige Elektrifizierung
In der Schweizer Politik gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, ob das EU-Gesetz übernommen werden soll oder nicht. SVP-Politiker Thomas Hurter, Mitglied der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrats, ist der Meinung, dass es «interessant wäre, synthetische Kraftstoffe zu fördern, da sie eine schnelle Umstellung aller Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ermöglichen. Ausserdem wäre es nicht notwendig, neue Infrastrukturen zu errichten, da alle Autos, Tankstellen und andere Betankungsfahrzeuge beibehalten werden könnten. Im Unterschied dazu bringt die Elektrifizierung grosse Veränderungen mit sich.»
Auch FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen teilt diese Ansicht: «Um die Kohlendioxidemissionen weiter zu senken, ist die Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors und seines zukünftigen Treibstoffs, der Synfuels von entscheidender Bedeutung. Viele Unternehmen investieren in diese Technologie. Es ist auch wichtig, den Verbrennungsmotor nicht zu verbieten. Andernfalls wird die gesamte Forschung sofort eingestellt.»
Im Gegensatz dazu fordert SP-Nationalrätin Gabriela Suter in ihrer parlamentarischen Initiative zur Abschaffung von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 die Schweiz auf, «im Gleichschritt mit der EU zu handeln». Das Urteil wird zweifellos in einigen Jahren gefällt.
Ökologische Herausforderungen hin oder her: Es ist bedauerlich, dass die Zukunft einer der wichtigsten Erfindungen des Menschen, des Verbrennungsmotors, und mit ihm der Förderung der Mobiltät der Gesellschaft heute so in die Enge getrieben wird. Letztlich sollte der Markt über das Schicksal dieser oder jener Technologie entscheiden. Und es ist sicher, dass der Verbrennungsmotor noch eine Zukunft hätte – wenn nur die Autofahrer entscheiden würden.
Sicher sollte der Konsument entscheiden und nicht die Politiker die selten von der Materie umfassend Bescheid wissen. Oft gelten dort ideologische Pläne mehr als Fachwissen.