Suburban – wahre Grösse!

Mit Grösse ist Geld zu machen, das beweist der Chevrolet Suburban. Er ist seit 1935 (!) im GM-Programm und eines der profitabelsten Modelle des Herstellers überhaupt – und ein wahrhaft grosser Klassiker!

Der Tank fasst 40 Gallonen Benzin, das sind rund 150 Liter Treibstoff, der Motor ist ein 454-Kubik-Inch-Big-Block (7.4 l), der seine völlig stressfrei produzierte Leistung von rund 240 PS an eine GM-Turbo-Hydramatic mit drei Gängen weitergibt. Der Antrieb erfolgt über eine Starrachse an Blattfedern, dazu gibt es eine Differenzialbremse. Unser Modell von 1986 gehört zur siebten Generation des Suburban. Das Auto wurde in dieser Form von 1973 bis 1991 nahezu unverändert gebaut. Der Suburban ist, trotz seiner Definition als Truck, ­einer der grössten serienmässig gebauten Personenwagen überhaupt – und das bis heute. Wer sich aber den Chevrolet Suburban im europäischen Kontext zu Gemüte führt, sieht sich eher an ­einen 3.5-Tonnen-Minibus erinnert denn an ­einen Personenwagen. Die von diesem Auto in Anspruch genommene Grundfläche entspricht tatsächlich etwa jener eines Mercedes Sprinter. Aber ist es ein Zeichen amerikanischer Masslosigkeit, dass der Suburban nicht so ganz in unser Verkehrsgefüge zu passen scheint? Um etwas Klarheit zu schaffen, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit und auf die Welt, aus der der Suburban zu uns kam. Doch lassen wir das starke, grosse Stück US-amerikanischen Automobilbaus erst einmal unvoreingenommen auf uns wirken und steigen mit an Bord des Exemplars von Ulrich Frede. Sein Suburban Silverado R20 von 1986 ist vermutlich eines der besten Exemplare dieser Modellreihe, das in der Schweiz zu finden ist.

Unübersehbar Der Suburban ist 5.56 Meter lang, zwei Meter breit und 1.88 Meter hoch. Serienmässig gibt es sechs Plätze, auf Wunsch war eine dritte Sitzbank lieferbar.
Bei einem Leergewicht von 2650 Kilogramm beträgt die Nutzlast 850 Kilogramm, und er darf 3.5 Tonnen ziehen. Angetrieben wird dieser Suburban nur über die Hinterachse.

Raumgleiter

Zum Glück hat dieser Suburban ein seitliches Trittbrett, es hilft beim Aufstieg in die Kabine. Die Dreiersitzbank bietet bei diesem Auto tatsächlich drei Erwachsenen nebeneinander einen gleichwertigen Sitzplatz. Der Blick fällt auf ein überaus sachliches Armaturenbrett, keine Spur von Blingbling oder unnötigem Zierrat. Im  Zentrum steht ein runder Tacho, darum herum gruppieren sich weitere Rundinstrumente. Der Wählhebel sitzt in bester US-Manier an der Lenksäule und lässt so den Fussraum für den Passagier in der Mitte frei.

Der Blick führt weiter über diese grosse, weis­se Ebene – die Motorhaube! –, die bis zum Horizont reicht. Gross ist der Suburban, aber auch bestens in seiner Grösse überschaubar, der eckigen Form sei Dank. Dies erleichtert es, den Chevy durch dichteren Verkehr zu manövrieren. Und die erhöhte Sitzposition bietet ein ähnliches Gefühl, wie es viele Vanlife-Freunde und VW-Bus-Fans geniessen. Allerdings umgibt ­einen das Blech im Amerikaner wesentlich luftiger. Auch der Akt des Fahrens ist wie eine Tätigkeit, deren Wirkung nur weit entfernt zu spüren ist. Der Motor bleibt in den meisten Situationen kaum hörbar, die Leistung scheint aber mehr als angemessen. Als Neuwagen hatte der  Big-Block-Suburban mit 240 PS Anfang der 1980er-Jahre mehr Leistung als eine zeitgenössische Corvette.

Die Gangwechsel der Hydramatic sind zwischen den beiden unteren Gängen doch mit ­einem deutlichen Ruck verbunden. Dafür hat man das Gefühl, diese Schaltbox sei unzerstörbar. Die Beschleunigung geschieht mit Nachdruck und ist weit besser, als es die Dimensionen vermuten lassen. Aber in punkto Bremsen und Strassenlage kann höchstens ein Lieferwagen europäischen Zuschnitts zum Vergleich herangezogen werden. Für die Pässefahrt gibt es Besseres, und in der Innenstadt braucht man gar nicht erst nach einem Parkplatz zu suchen. Aber wie der Name Suburban suggeriert, liegt die Grenze des urbanen Vorstosses für dieses Auto wohl tatsächlich in der Vorstadt. Der Wagen braucht Weite und etwas Luft darum herum, selbst wenn unser Exemplar tatsächlich mitten in der Stadt Zürich zu Hause ist.

Arbeitstier

Gross und amerikanisch, mit einer chrombewehrten Front und mit Chromfelgen erscheint uns der Suburban wie ein Statussymbol. Diese Deutung funktioniert in den USA allerdings in keiner Weise. Der Suburban ist dort ein Arbeitstier für praktisch veranlagte Menschen. Als erster grosser Kombi auf einem Truck-Chassis 1935 lanciert, ist der Begriff Suburban der am längsten im Automobilbau beibehaltene Modellname. Wer in den USA seine Ausrüstung nicht unbewacht auf der Ladefläche seines Pick-ups liegen lassen will, wer einen grossen Hund, oder – mit ­einer dritten Sitzbank – eine grosse Familie zu transportieren hat, ist mit dem Suburban bestens bedient. Auch als Shuttlebus für Unternehmen und Transportdienste ist der Chevy dank seiner robusten Natur erste Wahl. Und natürlich dient der Suburban auch all jenen Freizeitaktivitäten, welche diese Art Auto mit dem Wort Sport erst in Verbindung gebracht haben: in der Bezeichnung Sports Utility Vehicle, kurz SUV. Der Suburban ist ein perfektes Gerät für alle Arten von Outdoor-Sport, und dank seiner Anhängelast von hierzulande 3500 Kilogramm, in den USA dürften es noch etwas mehr sein, zieht er auch ein grösseres Sportboot oder einen Pferdeanhänger ohne Mühe vom Fleck. Und selbst wenn in den USA ein Käufer keinen dieser Ansprüche an seinen Suburban stellt, zeugt diese Wahl jenseits des Atlantiks von einer grundsoliden Auffassung, wie ein Alltagsauto geschaffen sein sollte.

Im öffentlichen Dienst

Der Schweizer Automobilmarkt war ab den 1920er-Jahren stark von amerikanischen Automarken geprägt, sie lieferten zeitweilig knapp die Hälfte aller Neuwagen. Mit der Aufnahme der Automontage in Biel BE durch GM am 5. Februar 1936, als der erste Montage-Suisse-Chevrolet vom Band lief, wurde die Marke noch stärker schweizerisch geprägt. Die Gründungsgeschichte mit dem Namensgeber Louis Chevrolet, der aus La Chaux-de-Fonds NE in die USA auswanderte, ist hinlänglich bekannt. Ein Chevrolet im Schweizer Behördendienst war nichts Aussergewöhnliches.

Mehrere Chevy Suburban dienten beispielsweise der Kantonspolizei Luzern ab 1951 als Tatbestandsaufnahmefahrzeug respektive als Unfallsachverhaltsaufnahmefahrzeug – robust, geräumig und auch mit einer für die Polizei nicht ganz unerheblichen Präsenz am Unfallort.

Familienfahrzeug

Das Auto als kleines, eigenes Universum, als schwimmende Insel im Verkehrsozean, vielleicht auch als Trutzburg und Rückzugsort – der Suburban verkörpert solche Qualitäten hervorragend. Dank seines Status als Klassiker rückt er zudem aus dem Fokus zur Frage nach dem Sinn. Er gefällt, kostet nicht die Welt, ist einfach im Unterhalt – vielleicht abgesehen von den Benzinkosten, man erinnere sich, eine Füllung fasst 150 Liter –, und Teile dafür gibt es dank seiner langen Bauzeit und der Verwendung vieler Gleichteile aus anderen Modellen des GM-Programms zur Genüge und aus den USA auch zum kleinen Preis. Der fehlende Allradantrieb dieses Suburban – er war auf Wunsch damit lieferbar, allerdings dann mit vorderer Starrachse – ist nicht weiter von Belang, er würde sowieso kaum im Gelände gefahren. Dieser Suburban aber verkörpert ein gutes Stück amerikanischer Alltagskultur und ist, wenn die Klischees und Vorurteile aussen vor bleiben, ein durchaus lustvolles und tatsächlich auch praktisches Auto. Als Zugwagen vor einen Airstream Silver Bullet, einen typischen, amerikanischen Wohnwagen, gespannt wäre er in seinem Element. Und wer ab und zu eine Oldtimerveranstaltung besucht, mag die herunterklappbare Hecklade zu schätzen lernen. Auf ihr kann man sich bestens niederlassen und das Geschehen geniessen – ganz easy, relaxed und souverän.

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