«Elektrofahrzeuge müssen nicht so aussehen, wie sie heute aussehen»

Die Elektromobilität verändert die ­Anforderungen der Kunden ans Auto nachhaltig. Deshalb verfolgt die neue Marke Aehra einen neuen Ansatz bei Aufbau und Design. Gründer und CEO Hazim Nada im Interview.

Die Transition zum Elektroauto werde die Definition des Attributs Premium nachhaltig verändern, ist Hazim Nada überzeugt. Das sei auch der Grund, weshalb er zusammen mit seinen Partnern – an vorderster Front Sandro Andreotti – die Marke Aehra gegründet habe. Die Autos, die Aehra auf den Markt bringen will, haben nichts mit dem zu tun, was man heute erwartet. Und schon gar nichts mit dem, was historisch im Segment der Premium­autos gewachsen ist. Sein SUV bildet die Basis für eine ganze Modellpalette und verfolgt einen Ansatz, der radikal an das neue Denken in der Welt der Elektromobilität angepasst sei, einer Welt, die sich grundlegend von der bisherigen unterscheide.

Der Radstand ist mit über drei Metern ausserordentlich lang, das SUV mit knapp 5.1 Metern Gesamtlänge aber auch. Das wirklich Auffällige aber ist die Linie: Noch konsequenter als beim Mercedes EQE spannt sich diese von der vordersten Kante des Fahrzeugs bis ganz zum Heck, kompromisslos auf maximale Platzausnutzung und perfektionierte Aerodynamik ausgelegt. Und auch wenn Hazim Nada den Namen Mercedes im Gespräch nicht erwähnt und sich bei der Benennung der direkten Konkurrenz nicht auf die Äste herauslässt, so ist klar, auf welche Kundschaft Aehra abzielt. Das konsequente Auslassen von gewissen – vermeintlich – wichtigen Details zieht sich durch das Gespräch. So gibt er keine Leistungsangaben zum Erstling bekannt, weil diese seiner Meinung nach in der neuen Welt nicht mehr relevant seien. Und er verwendet auch den Begriff SUV für sein Auto nur sehr ungern und hadert deshalb jedes Mal, wenn er ihn trotzdem aussprechen muss.

Automobil Revue: Was bedeutet der Name Aehra?

Hazim Nada: Der Name Aehra stammt vom lateinischen Wort Aera ab, was so viel wie episch bedeutet, aber auch an das Element erinnert, in dem Veränderungen stattfinden. Es erinnert auch an die Aerodynamik. Die Kernidee hinter dem Projekt kommt aus der Aerodynamik.

SUV stehen normalerweise im Widerspruch zu aerodynamischen Formen. Und trotzdem ist ihr erstes Modell ein SUV.

Richtig, das ist genau der Grund, weshalb wir mit einem SUV begonnen haben: Sie sind so weit verbreitet und gleichzeitig sehr unaerodynamisch. Wir wollten beweisen, dass es aerodynamisch geformte SUV geben kann, die nicht so langweilig aussehen müssen wie die heutigen Karosserien, ohne dass der Innenraum darunter leidet. Der wichtigste aerodynamische Punkt im vorderen Teil des Fahrzeuges ist der Winkel zwischen Windschutzscheibe und Motorhaube, den wir fast komplett eliminiert haben, indem wir ein Monobody-SUV entwickelt haben. Zusätzlich haben wir die typische Tropfenform des Fahrzeugs. Das Heck hat auch aktive aerodynamische Elemente, der Diffusor und der Flügel bewegen sich.

Und unter der aerodynamischen Karosserie gibt es noch eine neue Plattform?

Ja. Für die elektrische Plattform gibt es bereits heute viele Drittanbieter, die fertige Lösungen anbieten. Aber bei uns ist die Spritzwand deutlich nach vorne verlagert, was mit den meisten Architekturen nicht kompatibel ist. Gleichzeitig gibt es aber ein Ökosystem von Herstellern von Teilkomponenten wie elektrischen Achsen oder Batterieherstellern, die auch gleich das gesamte Batteriemanagementsystem anbieten. Daraus haben wir die Schlussfolgerung gezogen, dass der Markt für Unterkomponenten für elektrische Systeme immer mehr zur Massenware wird.

Wie werden sich denn die Hersteller untereinander differenzieren, wenn nicht durch die Motorleistung?

Es gibt bereits Autos wie Lucid mit 1000 PS und einer Reichweite von 800 Kilometern. Die Frage, die sich uns stellte, war also, was der Kunde braucht, wenn das alles auf dem Markt ist. Es wird nicht mehr Leistung sein. Es wird auch nicht mehr Reichweite sein. Es werden all die anderen Elemente eines Fahrzeugs sein, in erster Linie das Design, der Innenraum und die Fahrdynamik. Wir werden uns also auf die Aerodynamik, das Fahrwerk, die Materialien und die Fahrzeugdynamik konzentrieren. Unser Zielgewicht für dieses SUV mit einer 120-kWh-Batterie ist zum Beispiel zwei Tonnen. Das liegt weit unter dem Standard des EV-Marktes.

Leistung sei in Zukunft nicht mehr wichtig, wie meinen Sie das?

Die Motorleistung, die die Kunden eigentlich benötigen, wird von den meisten Elektroautos schon jetzt bei Weitem übertroffen. Und sie ist leicht zu erreichen. Die technische Herausforderung ist also verschwunden. Deshalb glauben wir, dass andere Elemente eine grössere Rolle spielen werden. Die meisten aktuellen Fahrzeuge erreichen nicht den Grad an Emotionalität, den der Kunde haben möchte.

Weil hohe Motorleistungen mit Elektromotoren so einfach möglich sind, verlieren sie an Faszination?

Ganz genau! Beim Verbrennungsmotor ist der Aufwand für zusätzliche zehn PS enorm. Mit dem Elektromotor ist es extrem einfach, 300 zusätzliche PS zu erhalten. Das ändert den Stellenwert von Motorleistung komplett.

Sie sagten, dass Sie die traditionellen Autohersteller nicht als Konkurrenten sehen. Dennoch werden Sie Ihre Kunden von anderen Marken abwerben müssen.

Wir sind im oberen Premiumsegment angesiedelt. Unsere Marktstrategie sieht vor, in einer ersten Phase mit den USA, Deutschland, den Beneluxländern, der Schweiz, Italien und Grossbritannien zu beginnen. Die zweite Phase werden der Rest der EU, die arabischen Länder und China sein. Die dritte Phase wird der Rest der Welt sein. Wir glauben, dass der typische Kunde irgendwo zwischen dreissig und Ende fünfzig ist, das ist die Altersgruppe, die unserer Meinung nach am offensten für diese Art von Fahrzeug ist. Das zieht möglicherweise Kunden des oberen Preissegments an, in dem wir uns eigentlich nicht befinden. Aber das Design wird auch diese Kunden ansprechen. Als wir vor ein paar Wochen die Skizzen veröffentlicht haben, haben uns einige Zeitschriften bereits in die Liga des Purosangue gestellt, obwohl wir uns nicht in dieser Preisklasse bewegen. Aber aufgrund der Designsprache und weil wir aus einem bekannten Ort in Italien kommen, ziehen wir auch einige dieser Kunden an. Gleichzeitig werden wir durch den erweiterten Innenraum und die Funktionalität auch Märkte ansprechen, die sich nicht mit Supercars beschäftigen. Deshalb denken wir, dass wir einen viel breiteren Kundenstamm haben werden.

Marken in diesem Segment haben in der Regel einen bekannten Namen und ein grosses Erbe, das Teil ihrer Faszination ist …

Tesla hat absolut keine Geschichte und ist aktuell trotzdem die erfolgreichste Marke der Welt. Die Statistiken zeigen klar, dass die Markentreue abnimmt und damit auch der Stellenwert des Markenerbes. Gleichzeitig kommen viele neue Namen auf den Markt, einige von ihnen werden wahrscheinlich nicht erfolgreich sein, andere schon. Wenn die Menschen nach neuen Dingen suchen, verändert sich automatisch auch der Markt in Bezug auf die Markentreue. Der chinesische Markteintritt in Europa im unteren Premiumsegment wie beispielsweise von Nio zeigt, dass dies möglich ist. Und es gibt noch ein weiteres Schlüsselelement für uns: Die Welt verbindet das obere Premiumsegment automatisch mit Europa. Aber in Bezug auf die Transition hin zu Elektroautos hängen die europäischen Marken immer noch weit hinter Start-ups wie Tesla und anderen zurück. Da gibt es also eine Marktlücke, die aktuell keine Marke in Europa füllen kann.

Wie sind Sie zu dieser Erkenntnis gekommen? Sind Sie eines Morgens aufgewacht und hatten eine Eingebung?

Nein, überhaupt nicht. Ich war stark in den Ölhandel involviert. Wir transportierten hauptsächlich Rohöl aus Lateinamerika in die USA, und wir haben dabei gesehen, dass sich diese Ströme zu verändern begannen und es einen Wandel gab, insbesondere in Kalifornien. In Verbindung mit der grossen Anzahl von Studien über die Energiewende und die Umstellung auf Elektrofahrzeuge auf allen Märkten begannen wir, verschiedene Ideen zu diskutieren. Und dann haben wir eine weitere Beobachtung gemacht, nämlich dass der Norden Italiens sehr stark in diesen Wandel involviert ist, indem von dort aus eine Menge Beratung und Entwicklung für all die etablierten Firmen aus Kalifornien und China geleistet wird. Es gibt so viel Know-how – und trotzdem gibt es kein italienisches Start-up, das etwas anderes als nur ein weiteres Hypercar entwickeln will. Warum gibt es in Europa kein Start-up, das ein annähernd normales Auto baut, obwohl es ein erhebliches Know-how gibt? In Verbindung mit dem Hintergrund in der Aerodynamik, den mein Kollege Sandro Andreotti und ich haben, entstand die Idee von Aehra. Wir sassen im Zug und diskutierten darüber, warum Elektrofahrzeuge so aussehen, wie sie aussehen. Daraus entwickelten sich ein Prozess und später ein Auto.

Aehra war also eine rationale Entscheidung und kein Traum, den Sie schon immer hatten?

Auf jeden Fall. Diese Entwicklung eines radikal neuen Designs wird früher oder später sowieso passieren – und wenn wir es nicht tun, wird es jemand anderes tun. Der Markt braucht eine Veränderung, denn Elektrofahrzeuge müssen nicht so aussehen, wie sie heute aussehen. Und ich bin überzeugt, dass der Markt von dem heutigen Aussehen gelangweilt ist. Deshalb war es für uns wirklich ein Muss, das zu tun.

Und doch bauen Sie ein elektrisches Premium-­SUV. Das ist das, was jede andere Marke zurzeit auch macht.

Ja, aber das ist nun einmal die Richtung, in die sich der Markt entwickelt. Der Premiummarkt ist das am stärksten wachsende Segment, und innerhalb dieses Segments wachsen die Elektrofahrzeuge noch einmal überproportional stark. Elektroautos werden kommen, es sei denn, es gibt eine riesige Energiekrise, die das Leben mit Elektroautos praktisch unmöglich macht. Was wir uns gefragt haben, war: Welche anderen Elemente, ausser dem Antrieb, müssen sich verändern? Eines davon ist die Form, mit der wir Energieeffizienz und aerodynamische Effizienz erreichen können und gleichzeitig ein emotionales Design schaffen, das mit traditionellen Linien bricht. Für die Kunden sind die emotionalsten Designs immer die Supersportwagen. Wir nehmen deren Gestaltung auf, ohne Platz im Innenraum dafür opfern zu müssen.

Aehra wird also immer Premium sein?

Wir könnten uns preislich etwas nach unten öffnen, aber wir werden immer Premium bleiben. Alles zu seiner Zeit! Wir wollen keine grossen Ankündigungen machen, die wir nicht einhalten können.

Und das Auto wird in Italien gebaut?

Die einzige Region, die die für das Auto wichtigen Kohlefaserelemente liefern kann, ist Italien. Wir werden deshalb so nahe wie möglich an Italien sein. Wir würden auch gern bei einem Auftragshersteller bauen, der bereits über die nötigen Qualifikationen verfügt.

Alteingesessene Autohersteller haben in der Regel auch ein grosses Erbe, was das Design angeht.

Das erste, was unser Designer Filippo Perini getan hat, war, dass er mich zur Autoclassica in Mailand mitnahm. Er tat das, weil er mir ein bestimmtes Auto zeigen wollte – einen Jaguar F-Type, mit seiner superlangen Haube und einer kleinen Kabine. Aber was ich wollte, war das genaue Gegenteil davon. Und heute ist auch er der festen Überzeugung, dass Elektroautos eine Monobody-Karos­serie haben müssen.

Eine letzte Frage: Wie werden Sie die Autos benennen?

Gar nicht. Sie werden keine Namen haben, sie heissen einfach nur Aehra. 

Zur Person

Aehra Gründer und CEO Hazim Nada

Hazim Nada (39) wurde in den USA geboren und wuchs in Norditalien auf. Er hat einen Master-Abschluss in theoretischer Physik und einen Doktortitel in angewandter Mathematik. Später gründete er sein eigenes Rohstoffhandelsunternehmen. Als freiberuflicher Pilot und Fallschirmspringer baute Nada 2015 zusammen mit Sandro Andreotti Aero Gravity, den grössten vertikalen Windkanal Europas, und 2018 das Elektroauto-Start-up Aehra auf.

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