Konzessionen an vorderster Front

Endlose Lieferfristen, ­unzufriedene Kunden, sinkende Verkaufszahlen – seit dem Ausbruch der Pandemie kämpfen Autohäuser mit einer Vielzahl von Problemen.

Händler beklagen sich über mangelnde Kundenfrequenz, da die Menschen nicht mehr gleich oft in die Ausstellungs­räume kommen.

Sie haben seit einiger Zeit eine schwierige Rolle. Autohändler und andere Agenturen haben nämlich die Aufgabe, ihren Kunden mitzuteilen, dass das ersehnte Auto viel später als erwartet eintreffen wird. Jérôme Chessex, Direktor von Autociel, einer Autowerkstatt in La Conversion VD, musste seinen Kunden erklären, dass sie sich in Geduld üben sollten, bis sie ihren brandneuen Range Rover in Empfang nehmen konnten: «Ein Kunde, der vor neun Monaten ­einen neuen Range Rover bestellt hat, muss noch weitere zwölf Monate warten, wenn nicht sogar länger, bevor er sein Auto erhält», erklärte er in der Zeitung «Le Temps». 21 Monate, um auf ein Auto zu warten, ist ein Rekord, den Ferrari-­Kunden aufgrund der bewusst begrenzten Produktion bisher für sich in Anspruch nehmen konnten.

Land Rover ist ein Extremfall, die Zulassungszahlen des Herstellers gingen in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 in der Schweiz um 37.4 Prozent zurück und in Europa um 21.4 Prozent. Aber Land Rover ist nur bedingt eine Ausnahme. Die «normalen» Wartezeiten (Anführungszeichen sind leider erforderlich) betragen jetzt für die meisten Modelle auf dem Markt zwischen sechs und zwölf Monaten gegenüber drei bis vier Monaten vor der Verkettung von Krisen – Coronavirus, Halbleiterknappheit, Krieg in der Ukraine und Lieferprobleme. «Es gibt immer noch Kunden, die überrascht sind, wenn sie die Lieferzeit erfahren. Das ist eine Herausforderung für die Verkaufsberater», räumt Christoph Aebi, Direktor der Amag-Garage in Bern, ein. «Der grösste Teil der Personen, der in  unseren Showroom kommt, ist sich dessen jedoch bewusst, da die Presse ausgiebig über diese Probleme berichtet hat.» Die meisten Kunden sind denn auch verständnisvoll, andere sind nicht so entgegenkommend, wie der Leiter einer auf Premium­autos spezialisierten Garage in der Region Genf, der anonym bleiben möchte, erklärt. «Viele Kunden schimpfen, wenn sie von den Verzögerungen erfahren, und gehen wieder, ohne etwas bestellt zu haben», bedauert er.

Angesichts dieser unlösbaren Situation mussten sich die Autohäuser etwas einfallen lassen, um die Kundenwünsche zu erfüllen. «Die wenigen Problemfälle, mit denen wir zu tun hatten, konnten mit Übergangslösungen abgefedert werden», erklärt Carmelo Impusino, Direktor von Honda Zürich. So werden Leasingverträge verlängert, bis das neue Auto da ist, und alternativ werden Autos im Abonnement oder zur Miete angeboten. «Wir haben einmal einen Bestand an Gebrauchtwagen gekauft, die wir dann an Kunden vermietet haben. Wir haben damit aber kein Geld verdient», sagt der Genfer Händler.

Vollausstattung oder kürzere Wartezeit

Mehr noch als die Automarke oder das Modell entscheidet die Ausstattung über die Wartezeit: Halbleiterreiche Bauteile wie Matrix-LED-Scheinwerfer oder Head-up-Displays blockieren das Auto monatelang auf dem Fliessband. Sind die Kunden bereit, auf ein Auto mit den neuesten Gadgets zu verzichten, um es schneller zu erhalten? «In der Regel sagen einige Kunden, dass ihnen die eine oder andere Option nicht so wichtig ist und sie das Auto lieber schnell erhalten möchten», sagt Chri­stoph Aebi. «Andere Kunden wiederum sagen uns, dass sie nur alle fünf oder sechs Jahre ein neues Auto kaufen und es daher bevorzugen, möglichst viele Optionen zu haben.» Der Direktor der Amag Bern sieht auch Trends in Bezug auf das Fahrzeugsegment: «Kunden, die Fahrzeuge aus den oberen Segmenten kaufen, wollen nicht auf Optionen verzichten. Käufer von Kompakt- oder Stadtautos sind flexibler», betont er. Die Käufer luxuriöserer Modelle seien, wenig überraschend, etwas wählerischer. «Wenn sie ihr individuelles Auto haben wollen, gibt es keinen anderen Weg, als darauf zu warten», sagt der Genfer Garagist, der sich auf Premium­autos spezialisiert hat. Er tut jedoch sein Möglichstes, um die Wartezeit zu verkürzen, indem er den Kunden – selbst mehrere Monate nach Unterzeichnung der Bestellung – anbietet, dass sie auf das eine oder andere Zubehörteil verzichten könnten. «Manche haben die Nase voll von unseren Anrufen, in denen wir ihnen vorschlagen, auf diese oder jene Ausstattung zu verzichten, um die ursprüngliche Lieferfrist einzuhalten. Anderen hingegen ist das egal, sie wollen das Auto lieber so schnell wie möglich haben.» Glücklicherweise seien Stornierungen eher selten. Konsterniert ist der Händler dennoch: «Unsere Arbeit hat sich verändert, wir verkaufen nicht mehr, wir verbringen unsere Zeit damit, bereits getätigte Bestellungen zu ändern. Und seit der Corona-Pandemie gehen die Menschen weniger in die Ausstellungsräume.» Es stimmt, dass die Premiummarken mit ihren endlosen Optionslisten sich selbst im Weg stehen: Die grosse Vielfalt an Zubehörteilen führt zu logistischen Engpässen, und eine einzige fehlende Ausrüstung reicht aus, um ein Auto auf dem Fliessband zu blockieren. Bei Honda lacht man: «Unsere Fahrzeuge werden mit sehr umfangreichen Ausstattungspaketen angeboten, die nur sehr wenige Optionen erfordern.»

Mangel an Gebrauchtwagen

Einige Käufer können jedoch nicht ein Jahr lang warten, bis ihr Auto ankommt, und greifen dann oft auf Gebrauchtwagen zurück. Auch hier ist die Lage angespannt, da der Markt in den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 um 8.56 Prozent geschrumpft ist verglichen mit den 400 000 Gebrauchtwagen, die im ersten Halbjahr 2021 verkauft wurden. Die höhere Nachfrage hat laut der Vergleichswebsite Comparis zu einem Preisanstieg von 28 Prozent geführt. Unser Genfer Garagist ist skeptisch: «Dieser Anstieg wird auf Grundlage der angezeigten Preise berechnet, nicht auf Grundlage des Preises, der im endgültigen Vertrag steht. Einige versuchen einfach, von der Knappheit zu profitieren, indem sie zu viel für ihr Auto verlangen.»

Der Mangel an Gebrauchtwagen ist logischerweise eine Folge des Mangels an Neuwagen, da der Markt weit von seinem Tempo vor der Pandemie entfernt ist: Von Januar bis September wurden 162 606 neue Autos verkauft, 9.7 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Jahres 2021 – das bereits ein schlechtes Jahr war. Man denke nur daran, dass in den ersten drei Quartalen 2019 noch 226 310 Neuwagen verkauft wurden. «Wir haben unser Verkaufsvolumen halbiert», räumt der Händler in Genf ein. Bei der Amag Bern ist die Stimmung weniger trüb, Christoph Aebi freut sich über eine Performance «über dem Schweizer Durchschnitt mit einigen Marken». «Wir haben ­eine hohe Anzahl von Verkaufsverträgen in Reserve», fügt Christoph Aebi hinzu. «Die Stimmung unter den Verkäufern ist daher stabil.» Das Unternehmen hat sich seit Beginn der Krise nicht von Mitarbeitern getrennt, im Gegenteil. Es hat sogar einige zusätzliche Personen im Bereich des Kundendienstes eingestellt. Aufgrund der längeren Lieferzeiten behalten die Kunden ihre Autos länger. Die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, dass das Durchschnittsalter des Schweizer Fahrzeugbestands im Jahr 2021 9.3 Jahre betrug, während es im Jahr 2020 noch neun Jahre und im Jahr 2000 sogar 6.9 Jahre betrug.

Welche Lehren werden also aus diesen Krisen gezogen? Werden die Produktionsprozesse der Hersteller, die auf Just-in-time-Produktion ohne Vorräte oder Reserven beruhen, überarbeitet? Der Genfer Garagist bezweifelt das: «Die Automobilindustrie ist sehr träge und sehr komplex. Einige Hersteller arbeiten mit einem Dutzend Zulieferern, andere mit mehr als 200. Diese Krise hat gezeigt, welche Marken ihre Lieferkette im Griff haben und welche nicht.» Dennoch ist Christoph Aebi positiv gestimmt und sieht das Ende des Tunnels in sechs Monaten erreicht. Er fügte jedoch eine wichtige Einschränkung hinzu: «Die nächste Herausforderung ist die Stromversorgung im Winter, und es ist schwierig, Vorhersagen zu treffen.» Ein Strommangel brächte die europäischen Fliessbänder zum Stillstand, was schlechte Nachrichten für die Kunden bedeuten würde. Es wird ein langer Winter werden. 

Christoph Aebi, Direktor der Amag-­Garage in Bern, schätzt, dass die Rückkehr zur Normalität in sechs Monaten erreicht sein könnte.

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