Der Chef von Ford, Jim Farley tat, was man von Chefs erwartet: Er machte eine klare Ansage. Eine glasklare. An einer Investorenkonferenz bekannte er sich zu einem vollständigen Übergang zu Onlineverkäufen von Elektro-Fords: «Wir müssen hundertprozentig auf Onlineverkäufe umstellen. In der Markenvertretung stehen keine Autos mehr. Die Fahrzeuge werden direkt an die Kunden geliefert oder von ihnen an einigen Abholstellen übernommen.» Den Händlern, die dann eigentlich keine Händler mehr sind, diesen Händlern komme sehr wohl noch eine Bedeutung zu. «Im Vergleich zu reinen Onlineanbietern werden wir mit unserem Händlernetz bestimmt punkten können», so Farley, «aber diese Händler werden brutal hohe Standards erfüllen müssen.»
Nun muss man nicht jedes Wort eines Unternehmensleiters auf die Goldwaage legen, schliesslich kommt es im Angesicht von potenziellen Geldgebern stets gut an, wenn sich ein Firmenchef entschlossen disruptiv gibt. Ausserdem hat Jim Farley – bei aller Klarheit – zwei wichtige Punkte offengelassen. Er hat, soweit bekannt, nicht erklärt, wo auf der Welt und bis wann ein neues Vertriebssystem umgesetzt sein soll. Zumal in den USA den etablierten Marken in vielen Bundesstaaten einem solchen vertikalen Modell wettbewerbsrechtliche Schranken gesetzt sind.
Jim Farley hat in seiner Rede auch skizziert, welche Vorteile «online only» aus Herstellersicht bietet. So behält dieser die Hoheit über die Preise: Keine Rabattschlachten wie in den letzten 50 Jahren, keine spontanen Aufschläge wie in der heutigen Zeit der Angebotsverknappung. Zudem soll Ford Geld sparen. Die heutige Vertriebsstruktur erzeuge, verglichen mit Tesla, Zusatzkosten von 2000 Dollar, davon ein Drittel für die Lagerhaltung bei den Händlern und ein Drittel für Werbung.
B2B oder B2C?
Der Ruf aus dem fernen Amerika versetzt diesseits des Atlantiks die Betroffenen noch nicht in Aufruhr. Auch deshalb nicht, weil allen wachen Zeitgenossen klar ist, dass sich das Geschäft mit Autos dem allgemeinen Trend zur Digitalisierung nicht komplett entziehen kann. Zumal Tesla, längst kein Newcomer mehr, den Digitalkauf längst salonfähig gemacht hat. Die Konfiguration und die Begleichung der Reservationsgebühr sind in weniger als zwei Minuten erledigt. Wobei der US-Elektropionier die Ausnahme darstellt. Ansonsten gilt der saloppe Spruch auf der Website der schwedisch-chinesischen Marke Polestar noch: «Heutzutage bekommt man fast alles online, ausser ein neues Auto.» Doch auch Polestar, ein Nischenplayer mit grossen Wachstumsplänen, setzt auf ein Vertriebsmodell, das starke Onlineorientierung mit dem Direktvertrieb kombiniert, vom Hersteller ohne Umwege zum Kunden.
Man kann sich zwar in derzeit drei Spaces oder im Rahmen einer permanenten Roadshow über den Polestar 2 informieren, der eigentliche Kaufprozess läuft aber digital ab. Die Fahrzeugübernahme geschieht an drei Handover-Centres. Für Service und Reparaturen kann sich die junge Marke auf das Volvo-Garagennetzwerk abstützen. Für die Übergabe von Neuwagen seien auch Hauslieferungen denkbar, sagt Sascha Heiniger, Managing Director Switzerland bei Polestar, «in anderen Märkten machen wir das bereits». Noch sei man auf der Suche nach dem idealen Mix von digitaler und physischer Präsenz, räumt Heiniger ein, «doch am Grundprinzip, dass wir bei Polestar ein B2C-Modell, vom Hersteller zum Kunden, betreiben, wird sich nichts ändern.»
Etablierte Hersteller dagegen betreiben bislang ein B2B-Modell. Sie oder die Importeure verkaufen ihre Fahrzeuge den Händlern, die sie wiederum den Endkunden veräussern. Ford, VW, Renault und andere suchen die von Heiniger angesprochene Balance vom anderen Ende her, ausgehend von einem Netzwerk von Niederlassungen, ein gerade in der Schweiz ausgesprochen dicht gewobenes Netz. In der Neuverteilung der Aufgaben muss es den Händlern nicht gleich an den Kragen gehen, doch ihre Rolle soll sich ändern. Meist wird dabei von einem Agenturmodell gesprochen, aus dem Händler wird ein Dienstleister, der seine Aufwendungen dem Hersteller/Importeur verrechnet.
Ein nahtloser Übergang
Ein Umbau ist beispielsweise auch bei Mercedes im Gang. Bis Ende dieses Jahres sollen global in 38 Märkten Onlineshops etabliert sein. Mit Folgen für den Vertrieb. So hat die Marke unter anderem in Österreich und Schweden mit ihren Händlern neue Verträge für ein Agenturmodell abgeschlossen. Die Schweiz bleibt von der Bewegung nicht ausgespart. Hier ist die Merbag mit 16 Niederlassungen und rund 1300 Mitarbeitenden die führende Handelsgruppe von Mercedes. Fragen zur Thematik wollte CEO Thomas Kast mit Rücksicht auf laufende Verhandlungen mit dem Mutterhaus nicht beantworten.
VW hat in Deutschland schon vor zwei Jahren vorgespurt und mit den Händlern neue Verträge für den Verkauf der ID-Elektromodelle ausgehandelt. Laut Berichten mit einer hundertprozentigen Verbleibequote der Händler. Aus Herstellersicht stellt sich die Neuverteilung der Aufgaben so dar: «Mit dem Agenturvertrag werden Volkswagen und Handel aus Kundensicht eins. Genau dieses nahtlose, abgestimmte Kauferlebnis über alle Kontaktpunkte hinweg erwarten unsere Kunden», so Holger Santel, Vertriebsleiter in Deutschland, gegenüber dem Fachorgan autohaus.de. Es werde damit die vertragliche Basis geschaffen, um das Onlinegeschäft und den stationären Handel ineinander verschmelzen zu lassen.
Im Modell von VW agieren die Niederlassungen als Vermittler von Verkäufen an Privat- und kleine Gewerbekunden. Sie kümmern sich um die Akquisition, Beratung, Probefahrten, Geschäftsabwicklung sowie die Auslieferung in Abstimmung mit VW. Alles wie gewohnt, mag man sagen, aber eben nicht mehr auf eigene Rechnung. Der vom Kunden am Anfang des Verkaufsprozesses genannte Händler erhält Provision und Bonus analog zum stationären Geschäft, auch wenn das Fahrzeug im Internet direkt beim Hersteller gekauft wird.
Dirk Weddigen von Knapp, Vorsitzender des Volkswagen und Audi Partnerverbands (VAPV), kommentierte die möglichen Vorteile des Ansatzes aus Händlersicht: «Das Agenturmodell ist gerade in diesen Zeiten eine signifikante finanzielle Entlastung für die Händler. So können unsere Partner sich darauf konzentrieren, was den Handel unersetzlich macht: die persönliche, kompetente Kundenbetreuung.»
An den Faktor Mensch glaubt auch Markus Hesse, Vorstandsmitglied des Auto Gewerbe Verbands Schweiz (AGVS). «Garagisten bleiben Partner des Vertrauens in Sachen individueller Mobilität. Für die Kundschaft bleibt der Autokauf in starkem Mass Vertrauenssache. Hat man mit seinem Wagen ein Problem, kann man beim Händler vorbeischauen. Das ist etwas anderes als nur eine Website und eine Servicenummer als Gegenüber. Die Technologie entwickelt sich massiv, der Mensch in seinem Verhalten passt sich nicht im selben Tempo an.»
Angesichts geringer Margen im Neuwagenverkauf könnte man denken, dieser Bereich sei für die Garagen verzichtbar. «Verliere ich den Verkauf aus den Händen, verliere ich auch die Kontrolle über die Aftersales der nächsten Jahre», konstatiert aber Hesse, der die Emil-Frey-Niederlassungen in Ebikon LU und Kriens LU leitet.
Nicht zwingend eine Revolution
Der Verband stellt sich aber nicht grundsätzlich gegen Agenturmodelle. Primär müssten die Bedingungen für die Händler stimmen, wie Geschäftsleiter Markus Aegerter in einer Videokonferenz skizzierte: «Für den AGVS ist es entscheidend, dass die Händler in einem Agenturmodell für alle ihre Aufwendungen angemessen entschädigt werden und keine Vorfinanzierung der Fahrzeuge tragen müssen. Auch die Kosten für Lagerhaltung und Ausstellungsfahrzeuge sollten nicht mehr auf die Händler abgewälzt werden. Und ein echtes Agenturmodell sollte losgelöst von Stückzahlen sein.»
Sowohl Chancen wie Risiken für die Händler sieht Unternehmensberater Marco Feser, der mit seiner Firma Fokus Auto Importeure berät und Verkäufer schult. «Agenturmodelle verändern das Geschäftsmodell sehr stark», sagt Feser, doch solange die Bedingungen nicht bekannt seien, sei es zu früh, um zu jammern. Klar scheint ihm aber, dass es künftig weniger Agenturen als heute noch Händler brauchen werde. Was vielleicht in einem natürlichen Prozess ablaufe: «Schon lange wird prophezeit, Händler würden verschwinden. Bisher ist das nicht geschehen. Doch mit den Schwierigkeiten vieler Betriebe bei der Nachfolgeregelung könnte dies in den nächsten Jahren sehr wohl geschehen.» Marco Feser vermutet, dass etablierte Hersteller teils selbst noch rätseln, wohin genau die Reise bezüglich Vertriebsstrukturen gehen werde. «Da wird in den nächsten Jahren viel ausprobiert werden.» Und viele Prozesse in der von den CEO erträumten digitalen Welt seien noch nicht zu Ende gedacht.
Experimente müssen auch nicht gleich revolutionärer Natur sein. Subaru Schweiz hat vergangene Woche seinen Online-Carshop lanciert, in dem Autos geordert werden können, die entweder im Importlager oder bei einem Schweizer Subaru-Vertreter stehen. Und Vertragspartner ist nicht der Hersteller und auch nicht der Importeur, sondern weiterhin die Subaru-Niederlassung.
Naturgemäss tun sich neue Marktteilnehmer ohne historischen Rucksack leichter bei der Umsetzung innovativer Geschäftsmodelle. Mit kleinen Stückzahlen kann trainiert werden, was später funktionieren muss. So ist Genesis erst vor einem Jahr in Europa gestartet. Die Edelmarke des Hyundai-Konzerns spart sich ein Händlernetz, treibt dafür einen grossen Aufwand bei der individuellen Betreuung. Ansprechpartner für die Kundschaft ist ein oder eine Personal Assistant. Der Interessent trifft ihn oder sie in einem Genesis-Studio (derzeit in Zürich und Genf) oder auch bei sich zu Hause. Auch Probefahrten werden vor Ort organisiert. Dem onlinezentrierten Modell spiele der Trend zu Elektroautos in die Karten, so Piergiorgio Cecco, Chef von Genesis Schweiz: «Motor- und Batterieleistung treten in den Hintergrund, die emotionalen Entscheidfaktoren sind eher Design, Komfort und Service-Erlebnis.»
Meist erfolge der Verkauf zuletzt im Genesis-Studio, doch dabei handle es sich nur noch um die Finalisierung des Vertrages. Auch nach dem Kauf bleibt übrigens der Personal Assistant die Anlaufstelle für den Kunden. «Er wird sich um den Service, den rechtzeitigen Radwechsel oder den Ersatzwagen kümmern», verspricht Cecco. Denn das wertvollste Gut und der grösste Luxus des Menschen sei die Zeit, und diese will der koreanische Newcomer seiner Kundschaft möglichst erhalten.
Ich fahre seit 3 Jahren ein Tesla Model 3 und bin sehr zufrieden mit dem Auto. Trotzdem überlege ich mir, das nächste Elektro-Auto nicht mehr bei Tesla zu kaufen. Der Kaufprozess war zwar sehr gut: Online Buchung der Probefahrt, Probefahrt mit Verkäuferin von Tesla (sehr kompetent) und dann online bei Tesla in Cham bestellt (auf dem Computer der Verkäuferin…).
Dann kam der mühsame Teil: Auto selbst einlösen, Abholen in Höri (wo ist denn das?), Auto nicht sauber, kleine Lackschäden, die Verkäuferin war natürlich nicht mehr zuständig, sondern ein Servicemitarbeiter, der das Ganze nicht interessiert hat.
Ich bin ein grosser Online-Fan und kaufe fast alles über das Internet. Beim Auto hört es aber auf. Ohne Probefahrt kaufe ich kein Auto und wenn ich es nur an 2 oder 3 Orten in der Schweiz abholen kann, dann bin ich mir nicht sicher, ob ich das mache.
Vor einem Monat bin ich einen Polestar Probe gefahren: Mitten in Zürich neben dem Parkhaus Urania. Wer will denn mit dem eigenen Auto zuerst in die Stadt rein und dann mit dem Demoauto wieder aus der Stadt raus (und danach wieder rein)?? Ich habe die Logik nicht verstanden und das hat mich ähnlich abgeschreckt wie Tesla.
Wieso nicht beide Möglichkeiten anbieten anstatt den Kunden zwingen? Wer alles gerne online hat, soll das können und wer lieber den persönlichen Kontakt zu seiner Garage hat, der soll dies machen können. Die Bevormundung von Kunden ist immer heikel…