«Das ist nicht ganz das Niveau, das ich von einem Bundesrat erwarten würde»

Bedeutet die Stromkrise das Ende für die Elektromobilität? Nicht für Christoph Erni. Der Gründer des Ladegerätherstellers Juice Technology verortet das Problem viel eher in der Politik als in der Technologie.

Er ist ein untypischer Fürsprecher der Elektromobilität und stellt sich auch gern einmal mit markanten Worten gegen die grüne Politik und ihre Vertreter. Dass die drohende Energiekrise ein Problem für die Elektromobilität – oder umgekehrt – sei, glaubt Christoph Erni, Gründer und CEO von Juice Technology, einem weltweit führenden Anbieter mobiler Ladestationen, trotzdem nicht. Und das Ende des Verbrennungsmotors hält er auch ohne ein Verbot für besiegelt.

AUTOMOBIL REVUE: Ganz Europa spricht von Stromknappheit. Sie sagen: Elektroautos haben nichts damit zu tun. Aber wenn wir in grossem Stil zusätzliche Verbraucher einführen, braucht das doch viel mehr Strom?

Das ist der Irrglaube. Es braucht gar nicht mehr Strom! Das ist der wichtigste Punkt in dieser ganzen Diskussion. Ich glaube, die meisten Autofahrer sind sich nicht bewusst, wie viel graue Energie in ihrem Treibstoff steckt. Für die Herstellung eines einzigen Liters Benzin verbraucht die lokale Raffinerie rund 1.5 kWh Elektrizität, für Diesel sogar rund 2.5 kWh. Wenn ein Verbrenner also 10 Liter Benzin oder 6 Liter Diesel verbraucht, dann gehen allein 15 kWh Strom für die Raffinierung drauf. Aber damit fährt ein E-Auto – je nach Modell – schon 100 Kilometer. Mit anderen Worten: Gleicher Stromverbrauch, aber den Umweg übers Öl kann man sich getrost sparen. Zudem muss das Benzin zuerst gefördert, dann transportiert werden, das braucht auch wieder Energie, die Tankstellen benötigen Strom und so weiter. Ich bin überzeugt: Wenn wir das summieren, haben wir keinen Mehrverbrauch bei den Elektroautos.

Wo ist dann das Problem? Wer ist für die drohende Krise verantwortlich?

Naja, wenn unsere Klavierlehrerin im Bundeshaus einfach entscheidet, dass jetzt die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, ist das nicht ganz das Niveau, das ich von einem Bundesrat erwarten würde. Der müsste von mir aus gesehen schon etwas weiter vorausdenken. Denn die Bandenergie bildet in der Schweiz das Fundament der Stromversorgung und wird aus Kernenergie gewonnen. Zusätzlich haben wir die Wasserkraft, die zwei Drittel der benötigten Energie liefern kann. Und mit noch etwas Solar- und Windkraft wäre die Schweiz komplett energieautonom. Deshalb sollten keine vorschnellen Entscheide gefällt und die Formen von Strom, die wir haben, genutzt werden – auch wenn sie nicht perfekt sind. Erst recht nicht, wenn jetzt der Plan ist, das Manko durch Gas zu ersetzen, durch das wir uns in die Abhängigkeit eines totalitären Staats begeben. Da muss man sich schon fragen, was die politische Absicht dahinter ist. Ich verstehe auch nicht, wieso die Linke in der Schweiz damit immer wieder durchkommt. Wenn so ein Vorschlag von Vertretern des rechten Lagers gekommen wäre, hätte man diese gesteinigt.

Hat die Politisierung des Themas der Verbreitung der Elektromobilität am Ende mehr geschadet als genützt?

Ich denke, das schadet heute nicht mehr.  Noch vor einigen Jahren bedeutete elektrisch fahren für viele Verzicht – vor allem, was Luxus und Design anging. Unter anderem dank Elon Musk ist die Elektromobilität aus der Öko-Ecke herausgeholt worden. Inzwischen ist das Angebot an Elektroautos vielfältig. Es ist für alle etwas dabei, deshalb ist diese Politisierung verschwunden. Der Spassfaktor ist beim Umstieg viel entscheidender als der ökologische Aspekt. Testet man ein E-Auto, merkt man direkt, dass es viel angenehmer zu fahren ist als ein Verbrenner. Es ist leise, ruhig, fährt vielleicht sogar schon via Autopilot. Und dann setzt man sich etwas mehr damit auseinander und merkt, dass es auch ökologischer ist, weil es weniger Energie braucht und beim Bremsen und Bergabfahren sogar wieder Energie gewinnt. Nach zehn Minuten Fahrt ist jeder überzeugt.

Aber viele Elektroautos kommen mit überirdischen Motorleistungen daher, das ist doch auch Blödsinn?

Nein. Viele Leute begreifen nicht, dass grosse Elektromotoren verbrauchsärmer sind. Die Leistung ist ein Nebenprodukt, dass man hin und wieder zum Überholen nutzt. Im täglichen Leben braucht man sie tatsächlich kaum. In den ersten paar Tagen mit dem neuen E-Auto ist das noch neu und grossartig auszuprobieren, aber mit der Zeit merkt man, dass es einfach wesentlich entspannter ist, elegant im Verkehr mitzuschwimmen. Drückt einer rein, hebe ich nur den Fuss ein wenig und rekuperiere sofort. Es hat schon auch eine mentale Komponente, wenn ich im Leben nicht dauernd auf der Bremse stehen muss.

Die politische Motivation für Elektromobilität ist der CO2-Ausstoss. Gerade in Deutschland ist ja der Strommix alles andere als CO2-neutral. Was nützt dann das?

Ja, das ist so. Ich habe aber mit einem anderen Aspekt mehr Mühe: Ich halte die politische Motivation an sich für problematisch. Das, was der Menschheit am meisten und wirklich nützt, wird sich am Ende auch durchsetzen. Und deshalb finde ich auch jede Form von Förderung von Elektroautos oder Ladeinfrastruktur für Privatpersonen einen Witz. Entweder setzt sich etwas von selbst durch und bleibt. Oder man fördert es, und sobald die Förderung weg ist, ist auch das Interesse weg. Deshalb sind wir in der Schweiz keinen so schlechten Weg gefahren, indem wir das bei den Kunden kaum gefördert, sondern sie einfach über den Spass motiviert haben. Verzicht hat sich noch nie durchgesetzt. Dennoch ist es elementar, über den Strom und dessen Gewinnung zu sprechen. Die Chinesen haben das übrigens extrem gut gemacht. Die haben in den vergangenen Jahrzehnten zwar mit fossilen Energien rasch 300 Jahre Entwicklung aufgeholt, aber jetzt ziehen sie das konsequent weiter und bauen Tausende Wasserkraftwerke. Das müsste bei uns auch geschehen. Wir müssen E-Mobilität als Gesamtkonzept betrachten und dazu gehört auch die Energiegewinnung dazu. Wir müssen den Ansporn nutzen, um wirklich sauber zu werden.

Sie haben sich aber positiv zum Verbrennerverbot in Europa geäussert. Wenn ab 2035 der Verbrennungsmotor verboten ist, ist das doch ein viel schwerwiegenderer Eingriff in den freien Markt als die Förderung von Elektroautos?

Ich denke, es ist vor allem ein Zeichen: Da ändert sich etwas. Das ist von mir aus gesehen das Positive daran. Aber das Verbrennerverbot ist im Grunde die Lachnummer schlechthin, weil zu jenem Zeitpunkt sowieso schon seit fünf Jahren keine Verbrenner mehr verkauft werden. Der Markt ist immer schneller als die Regulatoren. Immer. Wir haben mit Lars Thomsen einen Zukunftsforscher im Verwaltungsrat, der überzeugt ist, dass 2029 in Europa der letzte Verbrenner gebaut wird. Ich denke, dass der wirklich allerletzte etwas später vom Band läuft, aber die grosse Masse wird definitiv dann an ihr Ende kommen. Auch die Industrie bewegt sich in diese Richtung. Schauen Sie doch das Beispiel von ­Fiat an: Die haben faktisch Tesla den Bau des Werkes in Brandenburg finanziert.

Wie das?

Über das CO2-Pooling. Anstatt dass Fiat vier Milliarden Euro CO2-Bussen bezahlt, bezahlt man lieber eine Milliarde an Tesla. Und das, obwohl sie damit einem der ärgsten Konkurrenten Entwicklungshilfe leisten und dafür sorgen, dass er einen erst recht überholt. Man muss sich das einmal vorstellen! Das kann kein Geschäftsmodell sein, da muss und da wird sich etwas ändern. Schauen Sie sich nur den riesigen Erfolg des elektrischen Fiat 500 an. Das Auto geht weg wie warme Weggli, das hat der Marke unheimlich viel frischen Wind verliehen. Und das gibt ­eine Eigendynamik, die den Wechsel beschleunigt. Wenn wir weniger Verbrenner haben, dann lohnen sich gewisse Tankstellen nicht mehr, also schliessen sie. Damit wird das Netz dünner, und plötzlich haben wir eine Situation wie heute mit den Ladestationen, einfach unter umgekehrten Vorzeichen. Da überlege ich mir als Kunde schon, ob ich wirklich nochmals einen Verbrenner kaufen soll, wenn ich den vielleicht gar nicht mehr betanken kann. Erst recht, wenn die Elektroautos billiger sind als die gleichwertigen Verbrenner-Modelle, was in der Oberklasse bereits jetzt der Fall ist und langsam auch auf die Mittelklasse durchdrückt. Dazu kommt, dass Benzin teurer wird, wenn weniger Leute tanken und die Mengen geringer werden. Plötzlich werden die Kosten für die alte Technik höher als die für die neue– und der Umstieg ist besiegelt. Genau da stehen wir heute. Stehen die Verbrenner bei den Händlern erstmal auf Halde, werden die Hersteller die Produktion schnell beenden.

Aber es wird doch immer Gegenden geben, wo es nie die nötige Dichte an Ladestationen
geben wird?

Klar wird es noch Randregionen und Nischen geben, wo die Verbrenner auch langfristig bleiben werden. Irgendwo in Afrika in der Wüste werden wohl noch lange Explosionsmotoren herumfahren. Aber in der westlichen Welt, bei uns in Europa, da wird das Verbrennerverbot keine Bedeutung haben. Das hat nur symbolischen Charakter.

Wieso nicht einfach synthetische Treibstoffe nutzen? Die kann man dort herstellen, wo es genügend saubere Energie gibt, und man kann sie gut lagern und transportieren.

Und dann? Man muss sie immer noch um die halbe Erde transportieren – Strom kann lokal produziert werden. Das scheint mir eine verzweifelte Lösung zu sein, um den Verbrennungsmotor am Leben zu erhalten. Es gibt ein Sprichwort: «Wenn dein Pferd tot ist, steig ab!» An diesem Punkt sind wir jetzt mit dem Verbrennungsmotor. Doch anstatt das zu akzeptieren und alle Ressourcen sinnvoll in den Fortschritt zu investieren kommt man jetzt mit der dummen Idee, an den unmöglichsten Orten der Welt noch einmal eine neue Industrie für teure synthetische Treibstoffe zu errichten. Das mag vielleicht als Lösung zur Besitzstandswahrung funktionieren, wer noch einen Verbrenner besitzt, der darf ihn so weiterfahren. Aber es lohnt sich überhaupt nicht, denn für die paar Autos kann man auch aus Erdöl noch Treibstoff raffinieren, da braucht es keinen synthetischen. Im Übrigen sind letztere Well-to-Wheel, also gerechnet von der Quelle bis zu dem was am Rad ankommt, noch ineffizienter als Benzinmotoren. Solche Konzepte klingen in der Theorie immer ganz schön. Aber für die breite Masse sind sie absolut sinnfrei.

Aber Batterien sind auch nicht unproblematisch, was das Errichten von dreckiger Industrie an den unmöglichsten Orten der Welt angeht.

Wenn wir die Batterien sauber herstellen und mit sauberem Strom betreiben, dann ist das es auch sauber. Ebenfalls wichtig: Batterien können rezykliert werden, es können daraus wieder neue Batterien hergestellt werden. Was bedeutet, dass all die Rohstoffe, die wir heute für die Batterieproduktion abbauen, nicht verloren gehen. Das Recyclingpotenzial bei Batterien ist gigantisch, wir können auch in 500 Jahren noch neue Akkus aus demselben Material machen. Nichts verbrennt oder geht verloren. In meinen Augen muss das doch die Zukunft sein und nicht, dass man wieder einen neuen Rohstoff herstellt, den man irgendwie lagern und transportieren muss, nur um ihn dann wieder zu verheizen.

Die Zeit der Verbrennungsmotoren ist für Sie also definitiv vorbei?

Ein Verbrennungsmotor ist wie eine mechanische Uhr. Er ist ein wunderbares Kunstwerk, wir haben ihn während hundert Jahren fast bis zur Perfektion entwickelt. Und jetzt braucht es ihn einfach nicht mehr? Ich verstehe schon, dass das frustrierend ist. Deshalb denke ich, es wäre schön, einige von ihnen aufzubewahren und weiter zu betreiben. Wie das Dampfschiff auf dem Thunersee, da fahre ich auch gern mal damit. Das ist beeindruckend – aber nicht mehr alltagstauglich. Mit dem Verbrennermotor ist das genau dasselbe. Da führen wir Tausende Explosionen in der Sekunde herbei, bringen die Bewegung des Kolbens in eine Kreisbewegung und dann über ein kompliziertes Getriebe auf die Räder. Das ist technisch wahnsinnig komplex und beeindruckend, aber auch völlig unnötig, wenn ich eigentlich nur ein Auto bewegen will. Da sollte man sich definitiv eingestehen, dass es Zeit ist für etwas Neues

Mit dem Juice-Booster, einer mobilen Wallbox für Elektroautos, wurde Juice Technology gross. Heute gehört die Firma aus dem Zürcher ­Unterland zu den Marktführern – trotz Halbleiter-Lieferproblemen.

Zur Person

Christoph Erni ist Gründer und Verwaltungsratspräsident von Juice Technology in Bachenbülach ZH, einem weltweit führenden Hersteller von portabler Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Ausserdem ist er Mitgründer sowie in manchen Fällen Investor bei verschiedenen Start-up-Unternehmen in den Bereichen Elektromobilität und erneuerbare Energien.

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