«Den Wettbewerb und den Druck vermisse ich nicht sehr»

Als Töffweltmeister war er einst für viele Schweizer Talente ein Vorbild auf dem Weg an die Spitze. Als Sportdirektor fördert er sie heute auf andere Art.

Treffen wir uns doch auf dem Schallenberg!», hatte Tom Lüthi vorgeschlagen.  Das Naherholungsgebiet ist einerseits vertrautes Terrain für den 36-jährigen Emmentaler, andererseits ist es auch ein Paradies für Töfffahrer. Er hatte ausserdem vorgeschlagen, uns im Restaurant Gabelspitz zu treffen, einem bekannten Töfftreffpunkt. Tatsächlich standen an diesem sonnigen Mittwoch Ende September mehr Motorräder vor der Beiz als Autos. Ob die AUTOMOBIL REVUE mit dem Töffstar an so einem Ort ungestört würde plaudern können, war deshalb mehr als fraglich.

Wir blieben ungestört, und letztlich hat uns seine anhaltende Popularität auch geholfen, nämlich beim Fotoshooting. «Sie können Ihr Auto hier nicht hinstellen! Wir arbeiten!», schrie uns ein Lastwagenfahrer lauthals aus der Ferne zu, kaum hatte Lüthi seinen BMW M4 ausgerichtet und abgestellt. «Nur ein paar Minuten. Wir gehen bestimmt gleich wieder», antwortete Lüthi höflich. Selbstverständlich bekamen wir die paar Minuten, nachdem der Lastwagenfahrer bemerkt hatte, wen er da vor sich stehen hatte: «Ach so, das ist ja der Lüthi Tom. Grüezi wohl!»

Der neue Auftritt von Tom Lüthi

Zugegeben, der Lüthi Tom sieht anders aus als in der Vergangenheit, als er noch Töffrennen fuhr und man ihn vor allem mit Lederkombi und in sportlich legerer Kleidung kannte. Seit diesem Jahr ist er Sportdirektor des deutschen Grand-Prix-Teams Prüstel Racing. Und als solcher tritt er nun adrett auf, schick im Jackett und sogar mit ordentlich gefaltetem Einstecktuch in der Brusttasche. Aber auf die Frage, ob wir ein Foto im Stile des Filmagenten James Bond machen sollen, winkte er mit einem Lachen ab.

«Ich habe mich in meinem neuen Job gut eingelebt. Vieles ist aber auch nach dem ersten Jahr noch neu, obwohl die Umgebung bei einem Grand Prix mir ja bestens vertraut ist. Aber nun erlebe ich sie aus einer anderen Perspektive, nicht mehr als Rennfahrer, sondern als Manager», sagt Tom Lü­thi später, als wir in der Beiz Platz nahmen. Draussen auf der Terrasse war es zwar sonnig, aber zugig – und es hatte zu viele plaudernde Motorradfahrer an den Tischen. Das Interview hätten wir da kaum ohne störende Nebengeräusche aufzeichnen können.

Den ganzen Rummel als Töffstar bei einem Grand Prix vermisst Lüthi heute nicht. «Den Wettbewerb und den damit verbundenen Druck von mir selbst, vom Team, von Sponsoren, Medien und so weiter und so fort vermisse ich aktuell nicht sehr», sagt er, ohne mit der Wimper zu zucken. Und das schnelle Töfffahren? «Natürlich kribbelt es bisweilen, Töff fahren ist meine Leidenschaft. Aber zum Glück bin ich mit BMW oft an der Rennstrecke und kann da dann auch Runden drehen. So bekomme ich das Kribbeln weg.»

Um etwas kommt Tom Lüthi aber auch heute nicht herum: Auf die Reiserei rund um den Globus, von Grand Prix zu Grand Prix, hätte er auch als Rennfahrer schon gut und gerne verzichten können. Einmal, vor vielen Jahren, bei einer gemeinsamen Reise zu einem Grand Prix, ächzte er nach einer Zwischenlandung, sich in einem menschenleeren Warteraum auf einem kalten, harten Plastikstuhl fläzend: «Meinetwegen könnten diese Rennen rund um Linden herum stattfinden.» Dort, im Emmental, wo er auf dem elterlichen Bauernhof aufgewachsen ist, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen und wo einst ein Goldschmied – tatsächlich! – den Goldjungen entdeckt hatte, hat sich Tom Lüthi längst ein eigenes Haus gebaut.

Leidenschaft macht leidensfähig

«Auf die Reiserei habe ich eigentlich absolut keine Lust mehr. Zuletzt wurde es wegen der Pandemie sogar noch umständlicher.» Aber, sagt er, für seine Leidenschaft, den Töffrennsport, und seinen neuen Job komme er eben nicht darum herum. «Ich war dieses Jahr bei allen Grand Prix in Europa. Aber bei jenen in Übersee lasse ich auch einmal einen aus.» Ob das so bleibt, lässt Lüthi offen. Er sei noch jung in der GP-Parallelwelt hinter den Boxenmauern. «Dieser Job ist ein erster Schritt, ich muss noch viel lernen. Was genau will ich künftig tun? Was eher weniger? Wie packe ich was an? Das sind Fragen, die sich mir in meiner neuen Karriere stellen.» Er sei eben nicht nur Sportdirektor, sagt er: «Privat arbeite ich weiter mit langjährigen Sponsoren zusammen. Das schätze ich sehr, denn wir haben uns gemeinsam etwas aufgebaut. Und beim Schweizer Fernsehen sitze ich bei den Grand Prix, bei denen ich vor Ort bin, als Experte in der Kommentatorenbox.»

Tom Lüthi: 2019 auf einer Moto-2-Kalex, als er die WM als Dritter beendete.

Das schwere Erbe

Denn nicht nur allein wegen seiner Passion für den Motorradrennsport will er die Nähe zum glamourösen GP-Zirkus wahren. Er will auch die Karriere von Noah Dettwiler fördern. Der 17-jährige Basler ist das nächste Schweizer Talent, das bis in die WM vorstossen könnte und sich dieses Jahr die Sporen in der nationalen Meisterschaft von Spanien, der weltweit grössten Töffnation, abverdient. Leicht werde es für ihn nicht, «er muss Resultate liefern, die Chance packen». Dettwiler habe ja ein grosses Vorbild an der Seite, wirft die AUTOMOBIL REVUE im Gespräch ein. «Natürlich, ich weiss, wie Rennfahrer ticken. Aber jetzt, aus der neuen Perspektive, sehe ich gewisse Dinge auch anders. Ich kann heute besser nachvollziehen, warum ein Manager oder Teamchef mir früher dies oder das sagte. Aber früher, das ist lange her. Ich finde, wir müssen mit der Zeit gehen. Deshalb würde ich nie zu Noah hinstehen und sagen, ich hätte es früher so oder so gemacht», hält Tom Lüthi fest. Obwohl er auch in der Verantwortung steht. «Neben Noah gibt es derzeit kein Schweizer Töfftalent, das sich aufdrängt.» Der im Mai 2021 mit erst 19 Jahren verstorbene Freiburger Jason Dupasquier war schon auf dem Sprung zum GP-Sieger.

Lüthi selbst läutete mit seinem Titelgewinn ­eine Ära ein, bald reichten sich Schweizer Töffrennfahrer bei den GP-Teams die Klinke. 2015, auf dem Höhepunkt dieser Invasion, fuhren neben Lüthi noch Dominique Aegerter, Randy Krummenacher, Jesko Raffin und Robin Mulhauser in der zweithöchsten GP-Klasse, der Moto 2. Nur die Spanier und die Italiener hatten mehr Piloten.

Tom Lüthi hat die Latte sehr hoch gelegt. 2005 war er Weltmeister, 2016 und 2017 WM-Zweiter und 2019 WM-Dritter der Moto 2, 2019 fuhr er in der Königsklasse MotoGP gegen Superstars wie Valentino Rossi und Marc Marquez, bevor er 2021, als 17-maliger GP-Sieger – erfolgreicher sind nur die Schweizer Töfflegenden Luigi Taveri (30 Siege) und Stefan Dörflinger (18) – den Helm an den Nagel hängte. An diese Karriere wird man sich lange erinnern. Vermutlich deshalb konnten Gäste im Restaurant den Töffstar nach unserem Interview doch nicht ohne Handy-Schnappschuss ziehen lassen. «Ach, das ist ja der Herr Lüthi!» 

Mit einem dösenden Taxifahrer in Tokio unterwegs

Das Frage-Antwort-Spiel von Marcel Proust ist weltberühmt. Bei der AR wird aus Proust Prost

AUTOMOBIL REVUE: Wer ist Prost für Sie?

Tom Lüthi: Ein grossartiger Rennfahrer und ehemaliger, mehrfacher Formel-1-Weltmeister.

Ihr erstes Mal im Auto?

Ich bin lange vor der Führerscheinprüfung auf dem Bauernhof meiner Eltern in einem Auto herumgefahren. Meine ältere Schwester habe ich vor deren Prüfung gelehrt, seitwärts einzuparkieren.

Ihr erstes Auto?

Das war ein Subaru Impreza, den ich aufgrund ­eines Sponsoringdeals fahren durfte. Auf mich hat das Auto viel Eindruck gemacht, weil es ein Auto war, das man vom Rallyesport her gekannt hat.

Was fahren Sie heute?

Einen BMW M4. Dieses Auto ist aber meines, erworben habe ich es bei der Garage Autoverkehr in Bern, mit welcher ich zusammenarbeite.

Ihr Traumauto?

Tatsächlich ein BMW. Sehr gut gefällt mir bei  BMW das Allradsystem xDrive, halt auch deswegen, weil ich auf über tausend Meter über Meer lebe und es dort bald einmal schneit.

Ihre beste Fahrt im Auto?

Beeindruckt hat mich eine Testfahrt in einem Formel Renault. Am Vormittag durfte ich den Zweiliter-Wagen fahren, am Nachmittag den 3.5-Liter. Als Töffrennfahrer war ich hohe Tempi zwar gewohnt, aber nicht in einem Rennwagen. Auf den ersten Runden verpasste ich die Bremspunkte immer wieder. Ich bremste viel zu früh und musste deshalb immer nochmals beschleunigen. Mit ­einem Formel-Rennwagen musst du zudem die ganze Aerodynamik arbeiten lassen, das heisst, ich musste richtig schnell in die Kurven hineinfahren. Ohne Tempo rutschst du nur herum. Nach dieser Testfahrt hatte ich am darauffolgenden Tag wegen der G-Kräfte fürchterliche Nacken- und Schulterschmerzen. Im Töffrennsport wirken G-Kräfte auch, aber eben auf andere Körperpartien.

Ein Alptraum im Auto?

Den hatte ich in Tokio, als ich in der Nacht in ­einem Taxi vom Hotel zum Flughafen fahren musste. Auf der Autobahn war es ruhig, bis der Taxifahrer einnickte. Als das Auto schliesslich die Spuren kreuzte, habe ich mich ein erstes Mal laut geräuspert. Geholfen hat es wenig, also habe ich begonnen, auf den Fahrer einzureden. Mit Erfolg!

Am Steuer Ihres Autos fühlen Sie sich …

… wohl. Ich höre oft Musik oder telefoniere viel.

Ein Leben ohne Auto? 

Unvorstellbar! Ich bin in meinem Job seit vielen Jahren zu sehr auf das Auto angewiesen.

Ein Tempolimit von 30 km/h in allen Schweizer Städten, wäre das eine gute Idee?

Auf Quartierstrassen oder bei Schulhäusern macht es Sinn. Aber nicht auf einer Hauptstrasse durch ein Dorf. Die Gefahr, dass es zu Stosszeiten zu Staus kommt, ist zu gross. Und niemand will, dass sich durch ein Dorf hindurch die Autos stauen.

Selbstfahrende Autos: Lust oder Frust?

Mir fehlt dazu noch das Vertrauen in die Technik. Ich bin aber froh, wenn ich beim Autofahren gewisse Fahrassistenten beiziehen kann.

Wen würden Sie am Strassenrand auf jeden Fall mitnehmen?

Ich bin hilfsbereit. Aber je nachdem, wo auf dieser Welt und um welche Zeit ich unterwegs bin, lasse ich es bleiben, jemanden einsteigen zu lassen.

Und wen würden Sie nicht mitnehmen?

Eben jenen, der irgendwo an einem unbekannten Ort in der dunklen Nacht an der Strasse wartet.

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