«Wen siehst du als direkten Konkurrenten?», fragt Michael Wölfling, Geschäftsführer vom KTM Sportcar. Nun, wir werden darauf zurückkommen, eine Antwort wussten wir aus dem Stegreif nicht. Vor allem nicht unmittelbar nach der ersten Fahrt mit dem neuen KTM X-Bow GTX-XR, da hiess es zunächst, die Gedanken zu sortieren.
Denn sowohl auf der Strasse wie auch auf der Rennstrecke fordert und begeistert der XR sämtliche Sinne. Trotz leichten Regens war der Ritt alles andere als wild, wenn auch äusserst intensiv. Denn der X-Bow ist vor allem eines: bis auf die letzte Schraube für den Rennsport konzipiert. Wie das Ding eine Strassenzulassung erhalten konnte, ist uns auch jetzt noch ein Rätsel. «Ready to race» ist tatsächlich viel mehr als nur ein Slogan.
So konnten wir KTM-Werksfahrer Reinhard Kofler im orangen GT2 ganz gut folgen, auch wenn dieser wohl alles andere als auf der letzten Rille fuhr. Feedback von Kofler: «Das war ganz ansprechend.» Das Auto macht es dem Fahrer allerdings auch leicht, das Vertrauen ist innert kürzester Zeit da – überdies der Punkt, der am XR am meisten fasziniert. Während andere Supersportwagen oftmals delikat zu beherrschen sind, fährt sich der XR auch dank des langen Radstands wunderbar neutral, die Strassenlage ist nahezu ideal. Die Rennstreckenperformance liegt darin begründet, dass der XR kein Abklatsch des Rennwagens, sondern dessen Zwilling ist. «Die Entwicklung lief stets parallel», sagt Entwicklungsleiter Franz Reindl. Einige Details wurden für die Strassenzulassung noch hinzugefügt. Reindl: «Die Strassenhomologation war Grundvoraussetzung bei der Konzeption.»
Für die Rennstrecke entwickelt
Ausser den Blinkern und einem anderen Heckspoiler sind dann auch kaum Unterschiede auszumachen. Innen wie aussen besteht der X-Bow komplett aus Karbon, das motorsporterprobte Monocoque nimmt Fahrer und Beifahrer regelrecht in sich auf. Plastik gibt es an zwei Stellen – Audi liefert nicht nur Motor und Getriebe, sondern auch Kleinteile wie die Lüftungsdüsen und den Schalter für die Feststellbremse. Die Konstruktion ist für ein Maximalgewicht von 1600 Kilogramm ausgelegt, doch «das wird auf der Strasse nie irgendwer erreichen», sagt Reindl. Der Gedanke dahinter ist, dass das Rennauto auch mit Balance-of-Performance-Regelung nie an die Grenze kommen soll.
Die Leichtgewichtsmassnahmen sorgen für ein rasiermesserscharfes Fahrverhalten und einen Verbrauch von nur 9.1 l/100 km. In Verbindung mit dem 96-Liter-Tank ergibt sich eine Reichweite von über 900 Kilometern. Auf der Strasse ist das ganz nett, auf der Rennstrecke wiederum ergibt sich der Vorteil, dass mehr Runden am Stück gefahren werden können. Natürlich wurde darauf geachtet, dass der Tank tief liegt und die Gewichtsverteilung (44:56) von der Füllmenge nicht beeinflusst wird.
Dass der CO2-Ausstoss (214 g/km) hoch ist, liegt daran, dass KTM als Kleinhersteller einem anderen Zulassungsverfahren unterstellt ist und keinen Partikelfilter verbauen muss. Was sich wiederum im Klang der Abgasanlage widerspiegelt. Während Audi RS3 und Co. stark zugeschnürt klingen, zeigt sich das charakteristische Fünfzylinder-Crescendo bei KTM von der schönsten Seite. Der XR leistet 368 kW (500 PS) und 581 Nm. Übertragen wird die Kraft über ein Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe. «Das, was bei Audi der Sport-Modus ist, entspricht bei uns etwa dem Komfort-Setting», sagt Reindl. Während die Gangwechsel auf der Strasse angenehm sanft sind, fällt auf der Strecke auf, dass die Reaktionen auf Änderungen der Gaspedalstellung noch schneller ausfallen könnten. Ultimatives Racing erfährt aber sowieso nur, wer über die Schaltwippen selbst schaltet. Untermauert wird jede Betätigung mit einem herrlich metallischen Klicken.
Alle Systeme im Einklang
Damit die Gänge durchzuballern, ist schlicht grossartig. Von 0 auf 100 km/h geht es in 3.4 Sekunden, auf 200 km/h in irrwitzigen 6.9 Sekunden. Ab 3000 U/min kickt der Turbo, aber so richtig. Weil nur die Hinterachse angetrieben wird, sorgt ein mechanisches Differenzial für Traktion, trotzdem hat die Elektronik allerhand zu tun, dosiert die Eingriffe aber derart fein, dass sie kaum jemals stören. Und für alle, die mehr können, lässt sich das ESP komplett deaktivieren. Die Bodenfreiheit beträgt neun Zentimeter, optional hebt ein Liftsystem den Vorderwagen an. Air-Curtains sorgen für einen Ground-Effect wie in der Formel 1, bei höherem Tempo wird der Wagen geradezu auf den Boden gepresst. Das Resultat sind horrende Kurvengeschwindigkeiten ohne jegliches Zucken, die Rückmeldungen sind ungefiltert, das Auto reagiert auf jede noch so kleine Lenkbewegung. Die aus einem Block gefrästen Alu-Radträger mit Pushrod-Mechanik sind feinste Rennsporttechnik und bieten umfassende Einstellmöglichkeiten. «Adaptive Systeme brauchen wir nicht», sagt Reindl.
Noch beeindruckender als der Vortrieb ist allerdings, wie und mit welcher Stabilität der XR verzögert. Der Pedalweg ist lang – die finale Abstimmung der Bremse und der leichtgängigen Lenkung ist noch nicht erfolgt –, und es benötigt einiges an Kraft, dann aber lässt sich die Bremse feinfühlig dosieren. Auf der Strecke ist das wunderbar, auf der Strasse auf Dauer etwas anstrengend. Der Umstand, dass lange fast nichts passiert, hat den Vorteil, dass genau damit gespielt werden kann. Die Anbremsphase vor einer Kurve kann bis weit in diese hineingezogen werden, Trail-Braking nennt sich das im Rennsport, das Heck wird leicht und dreht schön mit. Ultimativ schnell ist nur, wer Gas, Bremse und Lenkung in Einklang bringt, doch selbst abrupte Lastwechsel stören den XR wenig, so gut austariert und verwindungssteif ist sein Aufbau.
Purismus in Reinform
Um die Struktur nicht zu durchbrechen, setzt KTM auf ein Canopy. Es gibt keine Türen, das Dach klappt nach vorne auf. Was mehr als cool aussieht, hat den Nachteil, dass sich Ein- und Ausstieg umständlich gestalten. «Das Monocoque gibt die Breite und die Höhe der Seitenteile vor. Türen kamen nie in Frage, das Canopy ist die eleganteste Lösung», sagt Reindl. Und es ist auch die sicherste. Das Dach hält das Siebenfache des Fahrzeuggewichts aus, KTM erfüllt dieselben Crashstandards wie ein Grossserienhersteller.
Die Vierpunkt-Gurte sind Serie, bald wird es Retraktoren geben, um mehr Bewegungsfreiheit zu gewährleisten. Der Platz ist eng, aber nicht einengend. Den Überblick behält man über ein Kamerasystem mit drei Bildschirmen. Die Fahrdaten werden über das ins abnehmbare Lenkrad integrierte Display angezeigt. Die Schalensitze sehen nach weniger aus, als sie eigentlich sind. Und trotz der geringen Fahrzeughöhe bleibt genügend Raum für den Kopf, auch mit Helm. Zudem gibt es ein Handschuhfach und zwischen der Kabine und dem Motor einen Kofferraum, der Stauraum (160 l) bietet und die Geräuschkulisse etwas dämpft.
Reisetauglich ist der XR dennoch nur bedingt. Obwohl das Fahrwerk nicht brutal ist, ist es doch hart. In einem Ferrari 458, McLaren 620 R, Porsche 911 GT3 RS oder Lamborghini Huracán gibt es mehr Luxus, dafür hat man das Gefühl, in einem – zweifelsfrei radikalen – Strassenauto zu sitzen, das nur eine Annäherung an den Rennsport ist. Der X-Bow GTX-XR ist anders, verkörpert Purismus in Reinform, ist ein ultimatives Tracktool, womit man nach dem Rennen nach Hause fahren kann – wobei man sich bei einem Preis von 284 900 Euro netto, im Konkurrenzvergleich durchaus wenig, wohl auch einen Anhänger leisten könnte.