Spannung um die Stromversorgung

Die Zahl der Elektroautos in der Schweiz wächst, parallel dazu aber auch die Sorge, dass der Strom im kommenden Winter knapp werden könnte. Droht ein Blackout an der Ladestation?

Es ist ein Stolperstein auf dem Weg zur Elektromobilität: Während sich das Elektroauto in der Schweiz immer grösserer Beliebtheit erfreut – zwischen Januar und Juli 2022 wurden 20 000 neue Elektroautos verkauft –, zittert das Land vor einer Stromknappheit. Laut den Daten der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom) muss die Schweiz in der kalten Jahreszeit vier Terawattstunden aus Frankreich und Deutschland importieren. Doch aktuell ist die Hälfte der 54 französischen Atomkraftwerke abgeschaltet, und Deutschland kann wegen seiner grossen Abhängigkeit von russischem Gas seine Gaskraftwerke möglicherweise nicht mit genügend Brennstoff versorgen. Also muss sich die Schweiz auf sich selbst verlassen. Und, wenn es nach dem Bundesrat geht, auch sparen. Die geplanten vierstufigen Massnahmen (s. Box) reichen vom Sparaufruf bis zu intermittierenden Stromausfällen in den Städten. Die Elcom empfiehlt auch die Einrichtung einer Reserve von 500 Gigawattstunden durch die Speicherung von Wasser in Stauseen. Und Gas- und Öl-­Reservekraftwerke sollen «im Falle einer aussergewöhnlichen Stromknappheit» noch einmal 300 Megawatt liefern.

Grosse Verbraucher sind der Knackpunkt

Noch hat der Bundesrat nicht entschieden, welche Unternehmen zu den Grossverbrauchern zählen und bei einer Stromknappheit ihren Betrieb einschränken müssten. Auch ob Einschränkungen bei den Ladestationen für Elektroautos drohen, kann derzeit niemand sagen. Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung schiebt den Ball dem Bundesrat zu, der diesen Entscheid auf dem Verordnungsweg treffen muss. Auch der Schweizer Ladestationenbetreiber Gofast weiss noch nicht, ob er von Einschränkungen betroffen wäre. Domenic Lanz, Geschäftsführer von Gofast, sieht der Diskussion gelassen entgegen: «Wir selber verbrauchen nicht viel Strom. Wir stellen nur eine Steckdose zur Verfügung, der Stromverbrauch geht auf das Konto der Autofahrer, die hier Strom tanken.» Mit dieser Argumentation hofft er, nicht in die Kategorie der Grossverbraucher zu fallen, die Stromkürzungen von bis zu 20 Prozent hinnehmen müssten, wenn der Aufruf zur freiwilligen Reduzierung des Stromverbrauchs nicht ausreichen würde.

Gofast und die anderen Betreiber können im Parlament jedoch auf Jürg Grossen zählen. Der GLP-Nationalrat ist – neben seinen zahlreichen Interessenbindungen in der Elektrobranche – Präsident von Swissolar und Swiss E-Mobility. «Wir können die Mobilität nicht vollständig abstellen. Die Zahl der verkauften Elektroautos steigt stetig, die Menschen müssen ihre Autos aufladen können», nervt sich der Berner. «Es kann nicht sein, dass Elektroautofahrer ihre Autos nicht nutzen können um zur Arbeit zu fahren, während andere in der Sauna sitzen.»

Im Tausendstelbereich

Laut den Zahlen des Bundesamts für Energie (BFE) verbrauchten die 70 000 Elektroautos auf unseren Strassen im Jahr 2021 rund 222 GWh. Inzwischen ist die Zahl der Elektroautos auf 100 000 gestiegen, aber noch immer ist die Energiemenge, die Elektroautos benötigen nahezu vernachlässigbar und macht gerade einmal 0.4 Prozent des jährlichen Schweizer Stromverbrauchs von 58.1 TWh aus. «Insgesamt liegt der Stromverbrauch von Elektroautos im Promillebereich», relativiert auch Christophe Schreyer, Leiter der Abteilung Energieeffizienz im Verkehr im BFE. «Zum Vergleich: Die Beleuchtung macht mehr als zwölf Prozent des gesamten Stromverbrauchs aus und die Warmwasseraufbereitung über fünf Prozent.» Domenic Lanz von Gofast stimmt dem zu, wählt aber einen anderen Vergleich: «Die 100 000 Elektroautos machen etwa 1.5 Prozent des kumulierten Verbrauchs aller Haushalte aus. Wenn jeder Haushalt nur 1.5 Prozent Strom spart, haben wir in der Schweiz kein Problem damit, die Elektroautos zu laden.»

Natürlich gilt dieser kleine Prozentsatz nur dank der Tatsache, dass Elektroautos noch immer einen minimalen Anteil an der Schweizer Fahrzeugflotte haben. Gerade einmal 2.1 Prozent der 4.6 Millionen Autos, die in der Schweiz auf den Strassen unterwegs sind, fahren rein elektrisch. Wie sähe ein hypothetisches (und unwahrscheinliches) Szenario aus, bei dem 100 Prozent der Autos auf unseren Strassen elektrisch fahren würden? Domenic Lanz schätzt, dass der Verbrauch von 4.5 Millionen BEV zwischen zehn und 15 TWh läge, was in etwa der Produktion der vier aktiven Kernkraftwerke in der Schweiz entspricht, die im Jahr 2021 total 18.6 TWh ins Schweizer Netz eingespeist haben. Ein Komitee aus rechtsgerichteten Politikern hat deshalb soeben die Initiative «Jederzeit Strom für alle. Blackout stoppen» lanciert, die den Bau neuer Atomkraftwerke wieder zulassen will. Das Volk hatte 2017 seine Absicht kundgetan, aus der Atomenergie aussteigen zu wollen. 

Auch Andreas Burgener, Direktor des Dachverbands der Autoimporteure Auto-Schweiz, denkt in diese Richtung: «Wir müssen unbedingt in die Forschung investieren und das Verbot neuer Atomkraftwerke überdenken. Wir müssen neue Standorte finden und auch an Notfalllösungen denken. Wir werden den Planeten nicht mit schönen Powerpoint-Präsentationen und Excel-Sheets retten.» Jetzt sei auch der richtige Zeitpunkt, um den Konflikt zwischen den Befürwortern erneuerbarer Energien und den Umweltschützern zu lösen, die nicht wollten, dass Staudämme erhöht oder Windräder gebaut würden, ist Burgener überzeugt: «Wir haben jetzt bessere Chancen denn je, die Interessenkonflikte zwischen Umweltschützern und der Energieproduk­tion zu lösen. Alle müssen sich an den Verhandlungstisch setzen.»

Intelligente Netze zuerst

Jürg Grossen ist jedoch der Meinung, dass man, bevor man neue Anlagen baue, die Energie, die bereits zur Verfügung steht, über ein intelligentes Netz verteilen sollte. In diesem System wären alle Energieerzeuger – auch die privaten Solaranlagen der Haushalte – mit den Stromverbrauchern verbunden, und die Energie würde dorthin verteilt, wo sie benötigt wird. «Leider haben wir noch kein Smart Grid. Die Schweiz ist in diesem Punkt sehr rückständig», bedauert Grossen und ist überzeugt: «Mit einem intelligenten Stromnetz hätten wir viel weniger Probleme mit der Stromversorgung bei einer Mangellage.» Andreas Burgener bestreitet dies: «Seit Jahren wird behauptet, dass intelligente Netze und eine höhere Energieeffizienz ausreichen würden, um unseren Bedarf zu decken. Jetzt wird klar, dass das nicht stimmt.»

Die Situation ärgert auch Auto-­Schweiz, denn die Schweizer Autoimporteure sind verpflichtet, bestimmte CO2-Emissionsziele einzuhalten, die sie nur mit elektrifizierten Autos erreichen können. «Es ist unfair, dass wir jetzt auch noch über den Strommangel bestraft werden könnten, während wir uns bereits mitten in der Transition zu den alternativen Antrieben befinden», wettert Burgener. Auto-Schweiz befürchtet, dass die derzeitige Unsicherheit über einen möglichen Blackout dazu führen könnte, dass zögerliche Kunden wieder einen Neuwagen mit Verbrennungsmotor kauften, statt auf ein Elektroauto umzusteigen. «Die Diskussion um die Stromknappheit kann bei den Kunden Vorbehalte auslösen, sodass sie sich von einem Auto mit alternativem Antrieb abwenden könnten. Der Mensch mag keine Ungewissheit», so Andreas Burgener. Der Direktor von Auto-Schweiz gibt jedoch zu, dass er diese Unsicherheit am Markt noch nicht spürt und die Bestellungen für Elektroautos gut laufen. Der Verband ist zuversichtlich, die Roadmap 2025 einhalten zu können, die vorsieht, dass bis Ende Jahr 50 Prozent aller neu zugelassenen Autos Steckerfahrzeuge sein sollen.

Auch Domenic Lanz beruhigt: «Der Trend ist klar, und diese Situation wird keine langfristigen Auswirkungen haben. Sie wird nur eine Abschwächung der nach oben verlaufenden Kurve darstellen. Dasselbe haben wir schon beim Coronavirus gesagt, wo man dachte, die Welt breche zusammen und niemand interessiere sich mehr für Elektro-
mobilität.» Lanz rechnet übrigens für 2022 nicht mit einem Umsatzrückgang und plant, weiterhin jedes Jahr 30 bis 50 neue Ladestationen zu eröffnen. Womit sie gespeist werden sollen, weiss noch niemand. 

Von Stromsparen bis Blackout: Der Sparplan

Da es unmöglich ist, kurzfristig Kraftwerke zu bauen, wird die Schweiz keine andere Wahl haben, als Strom zu sparen, um den Winter zu überstehen. Der Bundesrat hat daher einen Sparplan mit vier Massnahmen herausgegeben. Die erste Stufe ist ein Aufruf an die Bevölkerung, ihren Stromverbrauch freiwillig zu reduzieren. GLP-Nationalrat Jürg Grossen, auch Präsident von Swissolar und Swiss E-Mobility, ist überzeugt, dass die Schweizer das Spiel mitspielen und ihre Whirlpools in dieser Zeit nicht benutzen werden: «Es wird sein wie während Covid, als es ein Verbot gab, sich mit mehr als fünf Personen zu treffen. Wir konnten das nicht wirklich kontrollieren, aber die meisten Menschen haben sich daran gehalten.»

Die zweite Massnahme zielt auf «nicht relevante» Geräte und Einrichtungen wie Saunen oder Leuchtreklamen ab, deren Nutzung oder Einsatz eingeschränkt oder verboten werden soll. Die dritte Massnahme ist diejenige, die Unternehmen mit hohem Stromkonsum erschaudern lässt, da ihr Verbrauch auf 80 Prozent kontingentiert würde. Bisher gibt es noch keine klare Liste, wer zu diesen Unternehmen gehören soll. Die vierte Massnahme schliesslich sieht als Ultima Ratio stundenweise Netzabschaltungen vor. Die Städte könnten so abwechselnd vom Stromnetz getrennt werden, damit dieses nicht zusammenbricht.

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