Neue Töne werden angeschlagen in der Automobilwelt. Zu den Veränderungen, die die Elektromobilität mit sich bringt, gehört auch ein neues Klangbild. Ohne das Geräusch des Verbrennungsmotors entdecken die Marken eine neue Dimension ihrer Identität. Aber es geht nicht nur um akustische Schönheit: Die Hersteller sind an strenge gesetzliche Auflagen gebunden, damit die Verkehrssicherheit gewährleistet wird.
Die Hersteller stehen damit vor einem noch unerforschten Gebiet. Es liegt an den Toningenieuren und Sounddesignern, die ersten Meilensteine der Fahrgeräusche festzulegen, die als Grundlage für spätere Entwicklungen dienen. «Das Schwierigste ist, dass wir für den Klang der Elektroautos keine Referenz haben», sagt Renzo Vitale, Sounddesigner bei BMW. «Es liegt an uns, dieses Fundament zu schaffen, das als Referenz für unsere Marke und für die ganze Branche dienen wird.»
Verbrennergeräusch für ein EV?
Die Sounddesigner sind auf der Suche nach dem perfekten Klang nicht alleine. Bereits 2013 hat sich die Forschung mit dem Thema befasst. Die Studie «How should an electric vehicle sound? User and expert perception» («Wie soll ein Elektroauto klingen? Kunden- und Expertenwahrnehmung») kam zu einem überraschenden Ergebnis: Nach Meinung der Mehrheit soll ein Elektroauto das Geräusch eines Verbrenners imitieren! «Motorgeräusche sind bekannt und vertraut», erklärt Jean-François Petiot, Professor an der Ecole Centrale de Nantes (F), die die Studie initiiert hat. Aber: «Einfach etwas zu nehmen, was bereits existiert, um eine Warnfunktion zu erfüllen, das ist die Nullstufe des Sounddesigns. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, wenn der Kunde festlegt, wie ein Elektroauto zu klingen hat. Das ist Sache der Experten.» Einer dieser Experten, Renzo Vitale, sieht das gleich: «Wir erleben einen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie wir Energie in einem Auto nutzen. Es ist eine andere Welt, also brauchen wir einen anderen Sound! Sonst wäre es so, als würde man das Miauen einer Katze einem Schwein zuschreiben. Das macht keinen Sinn.»
Hörprobe:
Jeder Hersteller verwendet seinen eigenen, markanten Sound, um seinen E-Autos eine eindeutige Identität zu verleihen.
Hier können Sie in die verschiedenen Klangwelten reinhören!
Kanon der Fahrklänge
Wenig gesetzlicher Spielraum
Tabula rasa also. Oder fast, denn die Klänge müssen sehr genau definierte Auflagen erfüllen. «Es gibt genaue Spezifikationen zu den Frequenzbändern und Schallpegeln, die einzuhalten sind», sagt Jean-François Petiot. «Andere Dinge wiederum sind verboten, wie die Imitation von Tier-, Insekten-, Glocken- oder Sirenengeräuschen, die andere Verkehrsteilnehmer und Fussgänger in die Irre führen könnten.» Einerseits müssen die Geräusche zwar Fussgänger und Radfahrer vor dem Herannahen eines Fahrzeuges warnen, andererseits dürfen sie aber nicht unangenehm sein. «Unangenehme Geräusche sind solche, die im empfindlichen Frequenzbereich des Ohres, zwischen 1000 und 3000 Hertz, liegen», fährt Petiot fort. «Zu harmonische Klänge sind für ein Elektroauto nicht geeignet, es werden breitbandige Klänge bevorzugt wie beispielsweise Windgeräusche.»
Eleganz als Klang ausgedrückt
Einen unangenehmen Klang zu vermeiden, ist jedoch das absolute Minimum für die Hersteller. «Der Klang muss auch eine gewisse Wertigkeit vermitteln, die subjektiv ist und die stellvertretend steht für das Segment des Fahrzeuges», sagt Jean-François Petiot. Hier kommen Experten wie Renzo Vitale ins Spiel, deren Aufgabe es ist, die Werte eines Herstellers zu interpretieren und in Musiknoten zu transferieren. «Wir hatten lange Diskussionen mit den Kollegen, die für die Markenidentität zuständig sind, und mit der Designabteilung», sagt der in Italien geborene Komponist. «Die Elemente, die in unserer Markenidentität bei BMW hervorstechen, sind Freude, Ästhetik, Eleganz, Innovation, Einzigartigkeit und Unabhängigkeit.»
Konkret: Wie vermittelt man eine Vorstellung von Eleganz oder Innovation durch einen Klang? «Der Zusammenhang zwischen gewissen Werten und einem Geräusch ist ein Forschungsgebiet der Neurowissenschaften. Es gibt eine bestimmte Art, wie Klänge wahrgenommen werden. Um zum Beispiel Eleganz zu erzeugen, sollte man harte Elemente vermeiden, die in hohen Frequenzen spielen wie etwa metallische Klänge», sagt Renzo Vitale. «Die Wahrnehmung von Innovation kann durch einen Klang zum Ausdruck gebracht werden, den man so zuvor noch nie gehört hat.»
Die Präsenz spüren
So haben Renzo Vitale und sein Team nach monatelangen Strassen- und Studiotests eine neue Soundidentität für die elektrischen BMW entwickelt (wie das klingt, können Sie auf unserer Webseite hören). «Gemäss dem Feedback, das wir erhielten, beschreiben die Leute diesen Klang als einen Engelschor, was gut zu unserer Absicht passt. Wir wollten, dass der Sound eine Art Aura um das Auto erzeugt. So kann man, ohne das Auto überhaupt zu sehen, seine Präsenz spüren», erklärt Renzo Vitale stolz.
Dieser Grundklang wird später auf jedes Modell einzeln angepasst. «So wie man einen BMW an seinem markanten Kühlergrill erkennt, so gibt es eine Sequenz von Frequenzen, die die DNA eines Geräusches ausmacht. Wir nehmen einige subtile Anpassungen vor, die einzigartig für jedes Modell sind. Bei einer grossen Limousine zum Beispiel kann man die Grösse betonen, indem die tieffrequenten Töne verstärkt werden. Bei einem kleineren Auto ist es möglich, mehr Licht oder Schatten zu erzeugen, indem man mit der einen oder anderen Frequenz des Klangspektrums arbeitet. Der Klang wird jünger, frischer, agiler erscheinen.»
Motorsound zum Herunterladen
Andere Marken haben radikal andere Ansätze gewählt, beispielsweise Fiat. Die Turiner haben für den 500E ein Klangbild gewählt, das an die Filme von Federico Fellini erinnern soll. Ausserdem hat Fiat angekündigt, dass es auch die Möglichkeit geben wird, seine eigene Musik als Soundtracks für sein Auto herunterzuladen und zu installieren, so wie man das früher mit den Klingeltönen fürs Handy tun konnte. Ein Ansatz, der Jean-François Petiot verblüfft: «Ich glaube, dass sich diese Idee schnell abnutzen wird. Ausserdem muss die Musik synthetisiert und für diese Verwendung angepasst werden, da sie sonst nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht.» Ganz zu schweigen davon, dass riesige Kakofoniekonzerte entstehen werden, wenn jeder seine eigene Melodie auf seinem Auto installiert. Eine Gefahr, die laut Renzo Vitale durch den gesetzlichen Rahmen verhindert wird: «Das sollte eigentlich nicht passieren, denn die vorgeschriebenen Lautstärke-Grenzwerte sind viel niedriger als der Lärm, der derzeit von Verbrennungsfahrzeugen emittiert wird.» Eine Aussage, der Jean-François Petiot zustimmt: «Wir werden keine komplexen Melodien haben, alle Klänge werden ähnlich sein, wodurch das Problem der Kakofonie in Stadtzentren vermieden wird.»
Auch E-Sound kann Freude bereiten
Und was ist mit dem Fahrspass, bei dem für viele Fans auch das markante Geräusch des Verbrennungsmotors eine grosse Rolle spielt? «Ich bin überzeugt, dass wir dem Autoliebhaber auch durch künstlich erzeugte Geräusche Freude bereiten können», meint Renzo Vitale. «Wir versuchen nicht, diese Erfahrung zu ersetzen. Wir kreieren mit unseren Geräuschen nicht eine bessere, sondern eine ganz neue Erfahrung». Was im Moment noch nach Zukunftsmusik klingt, wird sich schon bald auf der Strasse beweisen müssen!