Innert weniger Jahre ist Juice Technology aus dem Zürcher Unterland zu einem weltweit führenden Anbieter mobiler Ladestationen geworden. Angefangen hat alles 2014, als sich Firmengründer Chirstoph Erni mit einem durchgeschmorten Stecker an seinem neu gekauften Tesla Model S herumschlagen musste. Heute hat seine Firma über 200 Mitarbeiter, seine Produkte wie das mobile Ladegerät Juice Booster oder die Wallbox Charger Me sind Grosserfolge. Im Interview spricht Erni über das Geheimnis seines Erfolges, «the next big thing» der Elektromobilität und seine Vergangenheit als Petrolhead.
Automobil Revue: Juice Technology ist in wenigen Jahren vom kleinen Start-up zum Erstausrüster unter anderem für Mercedes geworden. Die internationale Expansion ist in vollem Gange. Was ist Ihr Geheimnis?
Christoph Erni: Früh aufstehen und spät zu Bett gehen!
Und das von Juice Technology?
Einerseits hatten wir von Anfang an die richtige Nische getroffen. Wir hören einfach genau darauf, was der Kunde braucht, und das machen wir dann. Der zweite Faktor ist, dass wir von Anfang an die richtige Qualität liefern konnten. Deshalb haben wir auch Eingang gefunden bei den Autoherstellern. Dann ist auch ein grosser Punkt, dass wir das Glück hatten, im richtigen Moment da zu sein. Und dass wir verstanden haben, dass es nicht nur um die Hardware geht – die muss sowieso perfekt sein –, sondern dass die Software den Unterschied macht.
Einmal ein gutes Produkt auf den Markt zu bringen, ist eine Sache. Dass einem das aber wiederholt gelingt, ist eine ganz andere. Wird es immer schwieriger, innovativ zu sein?
Für uns noch nicht, auch weil wir glauben, dass es erst richtig beginnt. Es wird ja von vielen noch gar nicht richtig verstanden, dass es auch im Bereich der Ladestationen am Ende um Software geht. Das ist so ein bisschen wie mit den Autos. Als Musk mit Tesla auf den Markt kam, haben alle gelacht. Aber heute ist jedem Autohersteller klar, dass die Software den Unterschied macht. Und dann kommt noch die Vernetzung hinzu, nicht nur im Haus, sondern auch mit dem Energieversorger. Es wird also noch viel clevere Software brauchen.
Wie meinen Sie das?
Es dürfen keine riesigen Spitzen im Netz entstehen, wenn am Abend um sieben alle nach Hause kommen. Da muss der Netzbetreiber dafür sorgen, dass der den Strom bekommt, der es pressant hat und bereit ist, etwas mehr dafür zu bezahlen. Nachher überlassen wir es dem Netzbetreiber, in der Nacht den Ladestrom hochzufahren, sodass morgens um sechs Uhr alle Autos vollgeladen sind.
Auf welcher Stufe muss dieses Problem gelöst werden? Sind die Netzbetreiber gefordert?
Das ist ein sehr komplexes Thema, und am Ende müssen alle mitziehen. Mehr Strom benötigt es übrigens nicht. Wir haben ausgerechnet, dass es weltweit bloss etwa neun Prozent ausmacht, wenn wir alle Autos, Lastwagen und Busse auf Elektroantrieb umstellen. Das Raffinieren eines Liters Benzin hier in der Schweiz benötigt etwa eineinhalb Kilowattstunden Strom. Wenn ich ein Auto habe, das zehn Liter braucht, dann habe ich 15 Kilowattstunden Strom fürs Raffinieren benötigt. Damit kann ich mit einem Elektroauto auch 100 Kilometer fahren.
Aber die Raffinerie kann den Strom dann nutzen, wenn das Netz nicht ausgelastet ist.
Könnten sie, aber die Raffinerien arbeiten natürlich auch rund um die Uhr. Das ist aber genau der Punkt: Wir müssen ein Netz hinbekommen, in dem keine Spitzen entstehen. Der Schlüssel liegt darin, dass es ganz viele Ladepunkte braucht und man so oft wie möglich laden kann. Bei der Solarenergie beispielsweise kann man sagen, dass es den Strom zum halben Preis gibt, sobald die Sonne scheint, weil er dann ja sowieso da ist. Da bin ich als Netzbetreiber froh, dass ich den Strom absetzen kann. Ich denke, das wird künftig der Schlüssel sein. Dann kann man das auch ohne Netzausbau machen.
Wird so für den Kunden nicht komplett unvorhersehbar, was ihn das Laden kostet? Es ist heute schon sehr chaotisch.
Das ist eine richtige Sauerei, was da heute abgeht und was teilweise verlangt wird. Wir werden uns beim Strom sowieso daran gewöhnen, dass es eine Preissteigerung gibt. Unvorhersehbar wird es aber nicht. Man kann sich verschiedene Modelle vorstellen, beispielsweise auch eine Flatrate für den Strom. Man bezahlt einen Fixpreis pro Jahr und damit ist dann einfach alles gedeckt. Es wird auch viel mehr noch lokal produziert und gespeichert werden. Da steht wohl die grösste Änderung seit dem Aufbau des Stromnetzes bevor. Das ist aber nicht nur wegen der Elektroautos so.
Wann wird denn in der Schweiz der letzte Verbrenner verkauft?
Es gibt jetzt eine Art Lawineneffekt: Als ich 2013 das erste Elektroauto hatte, war das noch extrem polarisierend. Aber jeder, der einmal damit gefahren ist, hatte Freude daran. Und die nun verfügbare grössere Auswahl an unterschiedlichen Fahrzeugmodellen fördert den Umstieg ebenfalls. Die meisten Leute steigen um, wenn sie erkennen, was es ihnen an Lebensqualität gibt. Man will ja heute einfach im Verkehr mitschwimmen, will keinen Ärger, will entspannt ankommen, und dafür ist es schon eine tolle Sache. Und wenn man mal Gas geben will, dann ist es halt auch cool. Es wird alles leichter, man schwebt so dahin.
Und es hat ja auch etwas Spielerisches, effizient zu fahren.
Ja, auf jeden Fall. Ich war früher ein echter Petrolhead, und unter acht Zylindern ging gar nichts. Aber elektrisch zu fahren ist einfach besser. Und das Reisen wird auch besser. Wenn ich ins Piemont fahre, rechne ich halt eine halbe Stunde mehr ein, damit ich noch ein- oder zweimal Pause machen kann. Dafür habe ich wieder etwas von der Reise, es ist entspannend, ich kann schon auf dem Weg den ersten Apéro nehmen. Oder wenn ich geschäftlich unterwegs bin, kann ich zwei- oder dreimal anhalten und in der Zeit gleich meine Mails erledigen. Sonst habe ich am Abend einen Riesenstress, weil ich den ganzen Tag aufholen muss. Zeit habe ich keine verloren und Lebensqualität habe ich gewonnen. Das Leben ist einfach besser.
Die Reisezeit hängt ja auch mit der Ladeleistung zusammen. Die wird immer stärker, bewegt sich aktuell bei um die 300 Kilowatt. Wie weit entwickeln wir uns da noch?
Meiner Meinung nach sind 100 bis 150 Kilowatt eigentlich genug. Damit sind in einer halben Stunde wieder 50 bis 60 Kilowattsunden drin sind. Mehr braucht es nicht. So schnell kann ich ja gar keinen Kaffee trinken und Mails beantworten, damit sich das lohnen würde. Aus Sicht des Netzes ist es auch nicht attraktiv, wenn da auch wieder Spitzen entstehen. Ich denke, die Ladeleistung ist ein Wettrennen, das sehr bald nicht mehr wichtig sein wird.
Die Reichweitenangst wird also schon bald verschwinden?
Menschen können sehr schlecht etwas neu denken. Wir haben heute ein sehr starres Bild davon, wie eine Tankstelle aussieht, und versuchen das auf die Ladestationen zu übertragen. Aber wenn wir einen Schritt zurück machen, würde niemand sagen, eine Tankstelle müsse weit weg sein vom Wohngebiet irgendwo draussen, wo ich extra hinfahren muss. Nein, man will da laden, wo man ist, während der Zeit, in der man sowieso da ist.
Wie findet dieses Umdenken statt?
In anderen Bereichen hat es sehr gut funktioniert, beispielsweise beim Mobiltelefon. Aber auch da hat es einige Jahre gedauert, bis es die grosse Masse akzeptiert hat. Als es schon lange iPhones gab, gab es immer noch Leute, die an den Tasten festhalten wollten und an Telefonen, die man nur einmal die Woche laden musste. Die Menschen sind halt Gewohnheitstiere. Aber dann plötzlich, wenn der Erdrutsch da ist, dann nimmt es alle mit.
Und da befinden wir uns bereits drin?
Ja, das ist der berühmte Hockeystick: Am Anfang entwickelt es sich sehr langsam, dann gibt es einen Knick und es geht sehr schnell. Und der Knick ist tatsächlich schon passiert. Wenn sogar in der Autobauernation Deutschland der Tesla Model 3 das meistverkaufte Auto ist, eine Ami-Karre, bei der man über die Spaltmasse lacht, spricht das Bände. Die Leute sind reif für etwas Neues.
Wobei Deutschland auch stark subventioniert. In einem komplett unverzerrten Markt wäre das vielleicht auch nicht der Fall gewesen.
Die Schweiz ist das beste Gegenbeispiel. Wir kennen bei uns ja zum Glück diese extreme Förderung nicht so. Da überlässt man es dem gesunden Menschenverstand. Und das funktioniert offensichtlich auch, weil es eben nachhaltig ist. Wenn man die Entwicklung anschaut, ist dieser Umschwung längst nicht mehr aufzuhalten.
Trotzdem gibt es noch das Problem der Laternenparkierer, die zu Hause nicht laden können. Was sollen denn die machen?
Das wird ein Dienst sein, den man bei Einkaufszentren und so weiter anbieten kann. Es wird selbstverständlich werden, dass man an einem Parkplatz einen Ladeanschluss hat. Und das ist natürlich auch attraktiv, weil man damit auch die Menschen anziehen kann, die sonst nicht laden können. Es wird wahrscheinlich so sein, dass man da nicht viel damit verdient, aber es wird eine Dienstleistung sein, um Menschen herzuholen. Oder der Arbeitgeber bietet seinen Mitarbeitern an, dass sie ihr Auto während der acht Stunden, in denen es ohnehin dasteht, laden können. Das hat auch den grossen Vorteil, dass man die Solarenergie in Echtzeit nutzen kann.
Und dann gibt es noch die ganze Bezahlproblematik an den öffentlichen Ladestationen.
Grauenhaft! Wir haben von Anfang an auf die Kreditkarte gesetzt, was technisch eine Herausforderung war. Aber es war die richtige Entscheidung. Und in Deutschland wird es jetzt dann zum Glück obligatorisch, dass das angeboten werden muss. Das ist das einzig Richtige. Da eine Hürde einzubauen, wäre wirklich das Dümmste. Wir haben uns damit auch viele Feinde gemacht, weil alle, die ein solches System betreiben, keine Freude daran hatten, dass wir einfach eine Kreditkartenzahlung eingeführt haben.
Sie besassen früher selbst schöne Oldtimer. Inzwischen sind alle verkauft. Vermissen Sie diese nicht?
Ich habe immer noch Freude, wenn ich ein cooles Auto mit Verbrenner sehe. Nur weil ich Tesla fahre, heisst das ja nicht, dass ich alles andere schlecht finde, für mich ist das keine Religion. Aber ich habe meine Autos verkauft und es nicht ein einziges Mal bereut. Es ist im Allgemeinen einfach viel bequemer. Das beginnt schon damit, dass ich am Morgen in die Garage komme und es einfach vollgeladen ist. Das ist das, was es ausmacht. Es muss einfach unkompliziert sein, das Leben ist sonst schon kompliziert genug.
Und was ist das grosse Projekt, dass Sie noch nicht umsetzen konnten?
Was mich am meisten reizt, ist das Konzept eines übergreifenden Lastmanagements. Es ist das, was auch in den meisten Köpfen ist: Was machen wir, wenn alle elektrisch fahren? Wenn wir das Netz im Griff haben und wenn wir einige ausgediente Batterien haben, dann läuft das. Dann hat jeder auf dem Balkon zwei Sonnenpaneele und ein paar Batterien. Wir haben viel mehr Möglichkeiten, lokal zu produzieren und unsere Abhängigkeit von Batterielieferanten und Ölförderern zu reduzieren. Wenn wir das selber machen können, werden wir echt unabhängig werden vom Rest der Welt.
Zur Person
Christoph Erni ist Gründer und Verwaltungsratspräsident der Juice Technology AG in Bachenbülach ZH, einem weltweit führenden Hersteller von portabler Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Ausserdem ist er Mitgründer oder Investor bei verschiedenen Start-up–Unternehmen im Bereich Elektromobilität und erneuerbare Energie.