Fusionsreaktor

Es stellt sich die Frage, ob es dies braucht. Die Antwort lautet: Nein. Aber ist er denn gut gemacht? Diese ­Frage können wir mit Ja beantworten – wir erklären auch, wieso.

Hybride sind nicht neu für den Sportwagenhersteller aus dem englischen Woking. Sein erster Hybrid-Supersportwagen war der McLaren P1 von 2012, 2018 sorgte der Hyper-Hybrid Speedtail für Aufsehen. Nun folgt der Artura, der das Thema genauso konsequent umsetzt. Das gilt nicht nur für die schieren Leistungswerte, sondern auch für den Grad der Hybridisierung. Erste, augenfälligste Novität ist der 120-Grad-V6-Motor, der als äusserst kompaktes Kraftpaket hinter der Kabine des Kohlefasermonocoques eingebaut ist. Ohne Kühler für Wasser und Ladeluft ist der mit zwei Turboladern zwischen den Zylinderbänken (Hot-V) ausgerüstete Aluminiummotor kaum grösser als der eines seligen VW-Käfers. Der Dreiliter leistet derweil mit 585 PS (430 kW) ein kleines Bisschen mehr als das Käfer-Aggregat. Hinzu kommt ein auf der Getriebeseite integrierter, ultraleichter Elektromotor mit weiteren 95 PS (70 kW). Er wiegt nur 15.6 Kilogramm, zusammen mit der Batterie  und der Regelelektronik schläg im Artura die Elektrifizierung mit nur 130 Kilogramm Extragewicht zu Buche. So bleibt der mit dem bisher kleinsten Motor ausgerüstete McLaren bei respektablen 1498 Kilogramm Leergewicht. Leistung satt und moderates Gewicht schlagen sich in beeindruckenden Fahrleistungen nieder. McLaren reklamiert drei Sekunden für den Spurt von null bis hundert. Für die Zweihundertermarke stehen 8.3 Sekunden im Datenblatt, 300 km/h werden in 21.5 Sekunden erreicht. Als Höchstgeschwindigkeit gelten 330 km/h. Das ist die Theorie. In der Praxis zieht der Artura spürbar aus dem Keller los. Die Hilfe des E-Motors ist offensichtlich, die erfreuliche Nachricht aber heisst: Das ist gut so. Die Vehemenz, mit der das Auto aus dem Drehzahlkeller abzieht, ist grandios. Das wirkt alles andere als digital oder gar künstlich.

Es ist den Ingenieuren auch anzurechnen, dass sie mit dem Artura nicht nur eine weitere Variante im immer weitläufigeren Universum des erst seit zehn Jahren (!) eigenständig operierenden Herstellers auf die Räder gestellt haben. Mit dem Artura meint es McLaren ernst, sehr ernst. Dafür spricht beispielsweise der Umstand, dass die ursprünglich für den Herbst 2021 geplante Fahrpremiere auf diesen Sommer verschoben wurde. Der Wagen sollte perfekt sein.

Strassenfeger

Unterwegs auf engen Landstrassen fällt neben dem gelungenen Antrieb eine weitere Eigenschaft des Artura auf. Er ist übersichtlich. Das gilt zumindest mit Blick nach vorn. Für den Blick zur Seite wünschte man sich gelegentlich einen Totwinkelassistenten, zumindest auf der Autobahn. Ansonsten aber gibt es kaum etwas auszusetzen. Das Auto läuft, lenkt ein und umrundet Kurven ohne jegliches Drama und mit einer beschwingten Leichtigkeit. Dazu stellt die Schaltbox einem stets die passende Übersetzung bereit. Da der Elektro-Motor den Rückwärtsgang bereitstellt, gibt es an dessen Stelle einen achten Gang. Die Gesamtspreizung aber bleibt dieselbe, nur die Abstufungen sind etwas enger geworden. Was auffällt, ist die lange Übersetzung der obersten Fahrstufe. Wie zu Zeiten des langen fünften Gangs in den 1980er-Jahren dient das oberste Räderpaar auch im Artura als Spargang. Bei etwa 130 km/h dreht der V6 bei nur rund 2500 U/min.

So erstaunen denn weder die Verbrauchs- noch die Emmissionsangaben der Briten. Für den Artura nennt McLaren 104 Gramm CO2 und einen Verbrauch von 4.6 Litern auf den ersten 100 Kilometern nach WLTP. Gewiss, das sind Papierwerte. Tatsache aber ist, dass der V6 nicht nur extrem leistungsfähig ist, sondern auch höchst effizient. Davon zeugt auch ein ausgeklügelter Wärmehaushalt. Die Turbolader auf der Motoroberseite haben ­einen eigenen Abluftkamin, der die Hitze abführt. Dank seiner Batterie mit 7.4 kWh Kapazität kann der Artura zudem rein elektrisch maximal 31 Kilometer fahren. Als Besonderheit kann dieser Plug-­in-­Hybrid sowohl an der Steckdose über einen 3.6-­kW-­Ladegleichrichter als auch mit dem Motor selber vollständig aufgeladen werden. Ersteres ist eher ökologisch orientiert, Letzteres hilft, wenn später im Trackmodus, der beide Antriebe verlangt, voller Schub gefragt ist.

Mehr GT denn Supersport

Den Ingenieuren lag auch der Komfort am Herzen. Sowohl Fahrgeräusche wie grobe Strassenfehler werden den Insassen im Komfort-Modus gut vorenthalten. Der Antrieb lagert auf flüssigkeitsgefüllten Aufhängungen. In der Kabine gibt sich der Artura derweil wesentlich sorgfältiger ausgekleidet, als wir es in der Vergangenheit bei den Briten angetroffen haben. Einen Riesenschritt machte auch das Infotainmentsystem, dessen Bildschirm prominent vor der Mitte der Armaturentafel sitzt. Das System bietet nicht nur die üblichen Features wie die heute erwartete Konnektivität, sondern auch die McLaren Track Telemetry oder Variable Drift Control. Ebenso lassen sich hier Informationen zu den Reifen abrufen. Erstmals nutzt McLaren die Entwicklung von Pirellis Cyber Tyre zur konstanten Überwachung der Reifen und bindet diese direkt in das eigene Fahrzeug-Stabilitätsprogram ein. Der Artura merkt gar, wenn Winterreifen montiert sind.

Pistentauglich

Seine Qualität zeigt der Artuta auch auf der Piste – ein unglaublich handlich zu fahrendes Auto. Dazu trägt auch der Sitzkomfort bei, die Schalensitze lassen sich in einem ovalen Bogen verstellen, sodass die Verhältnisse zwischen Beinlänge, Armlänge und Sichtwinkel jeweils antizipiert werden. Wem das nicht reicht, der bestellt Komfortsitze mit separat verstellbarer Lehne.

Im Track-Modus gibt das Auto dem Fahrer mehr Spielraum, als Inputs ins Lenkrad reichen kleine, trockene Bewegungen aus dem Handgelenk. Derweil sind die Bremsen ob des Efforts ­eines mässig geschickten Autojournalisten kaum aus der Fassung zu bringen. Man gewinnt den Eindruck, dass die Karbon-Keramik-Stopper umso besser in Laune kommen und brillante Verzögerungswerte abliefern, je härter sie rangenommen werden. Und aus Kurven heraus ist wie auf der Strasse stets unmittelbarer Vortrieb abrufbar – herrlich und so einfach zu handhaben.

Ein Optimum erreicht

Rund eine Viertelmillion stellt McLaren für den Artura hierzulande in Rechnung. Das scheint viel Geld für einen Sechszylinder. Andererseits darf man sich sicher sein, tatsächlich einen der lustvollsten Hybridsportwagen gewählt zu haben, den es aktuell zu kaufen gibt. Und wer noch zweifelt, den mag der Hinweis befriedigen, dass der Artura als erstes jenes Monocoque und Fahrwerk-Set-up erhält, das künftigen E-McLaren als Basis dienen wird. Dazu gehört eine neue Hinterachse mit einzelnem oberen und zweifachen unteren Quer‑
lenkern und langen, weit zur Wagenmitte hin angelenkten Spurstangen. Und ja, etwas Tradition bleibt dem Artura auch erhalten. Die Servo‑
lenkung bleibt hydraulisch, eine rein elektrische Lenkunterstützung gibt nach dem Geschmack der
Mc­Laren-­Ingenieure zu wenig Feedback.

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