Big Brother auf der Strasse

Der Bund plant den Aufbau einer staatlichen Mobilitätsdateninfrastruktur. Es droht die totale Überwachung und Lenkung des Individualverkehrs.

Im Mai endete die Vernehmlassung zum Entwurf für ein Bundesgesetz über die Mobilitätsdateninfrastruktur. Das neue Gesetz sieht den Aufbau einer flächendeckenden Sammlung von Verkehrsdaten vor. Der Bundesrat und das federführende Bundesamt für Verkehr (BAV) begründen das Vorhaben wie folgt: «Um die Infrastrukturen und Angebote des öffentlichen und privaten Verkehrs optimal nutzen zu können, braucht es einen besseren Informationsfluss zwischen Infrastrukturbetreibern, Verkehrsunternehmen, privaten Anbietern und Verkehrsteilnehmenden.» Dies trage dazu bei, das Verkehrswachstum besser zu bewältigen. Die Daten, so der Bundesrat, seien neben der Strasse und der Schiene eine «dritte systemrelevante Infrastruktur».

Der Staat will also Zugriff auf alle Verkehrsteilnehmer und deren Daten, auch auf die privaten. Die nationale Dateninfrastruktur soll denn auch explizit dazu beitragen, «öffentliche und private Mobilitätsangebote gezielter zu planen». Und wie bei fast allem, was der Staat heute plant und tut, geht es dabei um das neuzeitliche Dogma des Klimaschutzes: Die Mobilitätsdateninfrastruktur soll es ermöglichen, «die Mobilität klimafreundlich weiterzuentwickeln». Und weil alles so schön bürokratisch und kompliziert ist, arbeitet der Bund mit eingängigen Abkürzungen. Die Mobilitätsdateninfrastruktur nennt er Modi, wobei diese wiederum in zwei Teile zerfällt: die Nationale Datenvernetzungsinfrastruktur Mobilität, kurz Nadim, und das Verkehrsnetz CH, welches das gesamte Verkehrssystem der Schweiz digital abbilden soll. Es sind Abkürzungen, die man sich merken sollte, denn sie werden in Zukunft wohl noch öfter zur Sprache kommen. Mit der neuen Mobilitätsdateninfrastruktur sollen alle Daten «zentral durch den Bund synchronisiert, erweitert und optimiert
werden».

Die Daten des Verkehrsnetzes der Schweiz sollen in Zukunft mit einer Unmenge an Daten der Verkehrsteilnehmer ergänzt werden, die der Bund kontrolliert.

Verzicht auf das Auto

Für die Verwaltung der enormen Datenmenge will der Bund eine eigene neue Bundesanstalt, die Mobilitätsdatenanstalt (MDA), schaffen. Dabei rechnet er insgesamt mit 66 neuen Vollzeitstellen und jährlichen Kosten bis zu 38 Millionen Franken. Dazu kommt, dass der Leistungsausweis des Bundes bei anspruchsvollen Informatikprojekten – das hat sich in der Vergangenheit zur Genüge gezeigt – mehr als bescheiden ist. Die meisten von ihnen endeten in einem teuren Fiasko. Dass es diesmal anders kommen sollte, ist unwahrscheinlich.

Und was bedeutet das nun für den motorisierten Individualverkehr? Antworten dazu finden sich im erläuternden Bericht des Bundesrats von Anfang Februar. Dieser macht kein Hehl daraus, dass der öffentliche Verkehr in den Vordergrund gerückt wird, den der Bund als «Rückgrat der multimodalen Mobilität» bezeichnet. Die Stossrichtung ist eindeutig: Der Bund will die Bevölkerung möglichst dazu bringen, das Privatauto zu meiden. Mehrfach fällt der Begriff des Verzichtens im Zusammenhang mit dem Auto. So heisst es etwa, es sei davon auszugehen, dass mit der Mobilitätsdateninfrastruktur «der Suchverkehr von Privaten abnimmt, da verfügbare Parkplätze gefunden werden oder umgekehrt wegen mangelnder Parkplätze auf eine Fahrt mit dem PW verzichtet wird». Wir sollen aber nicht nur auf einzelne Fahrten verzichten, sondern auf den Besitz eines Autos generell: Laut dem erläuternden Bericht unterstützt das Mobilitätsdatensystem «den Trend insbesondere in Agglomerationen auf ein eigenes (Motor-)Fahrzeug zu verzichten». Verzicht hier, Verzicht dort, Verzicht überall. Ein Trend übrigens, den sich die Verantwortlichen für den Bericht herbeireden, schliesslich ist der Motorfahrzeugbestand in den vergangenen zwanzig Jahren nicht zurückgegangen, sondern deutlich angestiegen. Um dies herauszufinden, hätte eine kurze Nachfrage im Bundesamt für Statistik ausgereicht, dessen Zahlen zwischen 2000 und 2021 eine Zunahme der Personenwagen um fast ein Drittel auf 4.68 Millionen belegen.

Deutlich wird aus all dem, dass der Bund auch den privaten Verkehr kontrollieren und steuern will. Es droht die totale Überwachung und Lenkung unserer Mobilität – Big Brother auf der Strasse. Was im Gesetz und im erläuternden Bericht indes nirgends steht: Die Erhebung sämtlicher Mobilitätsdaten könnte in Zukunft auch dazu dienen, ein Mobility- und Road-Pricing-System einzuführen. Die tendenziöse Stossrichtung der Vorlage, die unverblümt gegen den motorisierten Individualverkehr gerichtet ist, lässt nichts Gutes erahnen. Am Ende könnte es einseitig die Strassennutzer treffen – mit einem reinen Road-Pricing.

Und was ist mit der realen Infrastruktur?

Kritisch ist der Aufbau einer zentralen staatlichen Mobilitätsdateninfrastruktur aber auch deshalb zu beurteilen, weil es in diesem Bereich kein Marktversagen gibt. Private Anbieter können das, falls der Markt ein Bedürfnis dafür hat, genauso gut oder besser leisten. Der Staat würde die Privaten bloss verdrängen und hat dementsprechend bereits vorgespurt. So soll die neue Mobilitätsdatenanstalt auch Dienstleistungen und Beratung anbieten können. Dass damit ein staatlicher finanzierter Koloss privaten Anbietern und Beratungsunternehmen Konkurrenz macht, ist abzusehen. Dies erscheint besonders absurd vor dem Hintergrund, dass der Bund die nötigen Daten gar nicht vollständig selbst erheben kann, sondern darauf angewiesen ist, dass sie ihm zur Verfügung gestellt werden. Unter anderem auch genau von denjenigen Anbietern, mit denen der Bund beim Beratungsangebot in den direkten Konkurrenzkampf tritt.

Bloss: Mit der Überwachung der Mobilitätsdaten allein wird sich das wachsende Verkehrsaufkommen nicht bewältigen lassen. Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) rechnet bis 2040 mit einer Zunahme der Verkehrsleistung auf der Strasse um 18 Prozent beim motorisierten Individualverkehr und um 33 Prozent beim Güterverkehr. In den letzten rund zehn Jahren haben sich die Staustunden auf den Schweizer Nationalstrassen verdoppelt auf über 30 000 in der Vor-Corona-Zeit. Statt die digitale Dateninfrastruktur auszubauen, würde es angesichts dieser Entwicklungen viel mehr bringen, die reale Strasseninfrastruktur voranzutreiben. Auf die staatliche Überwachung, Planung und Lenkung unserer privaten Mobilität hingegen können wir getrost verzichten – um das Lieblingswort der Autogegner im Uvek noch einmal zu zitieren.

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