Der Tonale ist der Schnellste in seinem Segment und selbst darüber», behauptet Daniel Guzzafame, Leiter der Produktentwicklung bei Alfa Romeo. Spricht er etwa vom Sprint von 0 auf 100 km/h des neuen SUV? Nicht wirklich. Der italienische Ingenieur lobt das Infotainmentsystem des Tonale, dessen Rechenleistung einen Sprung nach vorne macht. Da merken wir, wie weit sich das Rad der Zeit gedreht hat, seit Alfa Romeo mit dem Stelvio vor bald sieben Jahren letztmals eine Neuheit präsentiert hatte. Damals, noch unter der Führung von Sergio Marchionne, feierte man die Motorleistung und die Fahrdynamik des SUV. Heute ist es die Geschwindigkeit des Touchscreens.
Alfa Romeo hat leider zu seinem Nachteil erfahren müssen, dass ausgezeichnete Dynamik allein kein Absatzgarant (mehr) ist, wie die bescheidenen Verkaufserfolge von Giulia und Stelvio beweisen. Die Kunden wollen ausserdem hochauflösende und schnelle Bildschirme, Vernetzung überall, Qualität und möglichst viele Assistenzsysteme. Diese Botschaft kam natürlich bei den Entwicklern von Alfa Romeo an, die den Kunden bieten, was sie erwarten: Der Tonale hat alle unverzichtbaren Gadgets der digitalen Technologie, darunter eine Premiere, das NFT-Zertifikat. Dieser Non-Fungible Token oder nicht fälschbare Chip ist der digitale, nicht kopierbare Pass des Autos. Er enthält die exakte Konfiguration des Autos beim Verlassen des Werks, und jede Reparatur und jede Wartung werden darin erfasst. Dank Blockchaintechnologie ist er nicht fälschbar.
NFT, Blockchain – an dieser Stelle werden die Alfisti der alten Garde vermutlich nicht mehr weiterlesen wollen. Aber Jean-Philippe Imparato, Präsident der Marke, der sich selber auch zu den hartgesottenen Fans zählt, wiegelt ab: «Ich verkaufe Alfa Romeo, keine iPads mit einem Auto drumherum.» Damit der Tonale sein Logo mit Würde vertritt, hat Alfa Romeo die Fahrwerksabstimmung in die Hände von Domenico Bagnasco gelegt. Der Ingenieur hat bereits den 8C Competizione, den 4C und die Giulia GTA und GTAm abgestimmt und musste sich einer grossen Herausforderung stellen: Aus der Small-Wide-Plattform von Stellantis, auf der auch der Fiat 500X, der Jeep Renegade und der Compass aufbauen, musste er irgendwie einen echten Alfa machen. Die Bagnasco-Kur bestand in der Optimierung der Winkel der Fahrwerksgeometrie sowie einer steiferen Aufhängung. An der Hinterachse baute er ausserdem zwischen den Anschlagpunkten der Stossdämpfer eine Querverstärkung im Fahrzeugboden ein, um die Struktur zu versteifen. Anhand zahlreicher Schemata zeigte uns Domenico Bagnasco, dass der Tonale in allen Bereichen besser als sein direkter deutscher Konkurrent abschneidet – ohne diesen beim Namen zu nennen.
Mehr als ein milder Hybrid
Bevor wir hinter dem Lenkrad Platz nehmen, werfen wir einen ersten Blick auf die – mehrmals von Jean-Philippe Imparato gelobte – Fertigungsqualität des Tonale. Die Materialien mit angenehmer Optik und Haptik widersprechen den Aussagen des grossen Bosses von Alfa nicht. Aber schaut man etwas genauer hin, dann sieht man leider den einfachen Kunststoff, der verbaut wurde und etwas billiger wirkt als bei der deutschen Premiumkonkurrenz. Die Designer weisen lieber auf den 10.25-Zoll-Bildschirm hin. Der freistehende Touchscreen ist ein echter Fortschritt in punkto Reaktivität und grafischer Gestaltung. Das 12.3-Zoll-Kombiinstrument ist vollständig digital ausgelegt – eine weitere Premiere bei Alfa Romeo.
Und was passiert unter der Haube? Um einen ersten Schritt in Richtung Elektrifizierung zu unternehmen, hat Alfa Romeo den 1.5-Liter-Turbo-Vierzylinder mit einem Starter-Generator und einem Elektromotor ergänzt. Diese Architektur ähnelt der Konstruktion eines Mildhybrid, aber die 15 kW des Elektroaggregats und die Batteriekapazität von 0.77 kWh sind mehr, als bei einem Mildhybrid üblich ist. So kann der Elektromotor den Tonale beim Anfahren und bei geringer Geschwindigkeit allein antreiben. Zur Markteinführung kommt der Tonale mit zwei Leistungsstufen: mit 96 kW (130 PS) und mit 118 kW (160 PS). Später folgt auch noch ein Plug-in-Hybrid mit 202 kW (275 PS). Als Testwagen für eine erste Probefahrt stellt Alfa Romeo die 160 PS starke Variante zur Verfügung.
Dynamisch, aber nicht sportlich
Das Anfahren erfolgt auf Zehenspitzen, denn der Tonale kommt elektrisch aus den Startlöchern. Danach übernimmt ohne grosse Aufregung rasch der Verbrenner das Kommando. Die Übergänge zwischen beiden Motoren erfolgen fast unbemerkt. Im Stop-and-go des Stadtverkehrs fährt es sich sehr entspannt unter fast reibungslosem Zusammenspiel der beiden Aggregate. Einzig das Getriebe zögert manchmal etwas zu lange vor dem Einlegen des nächsthöheren Gangs. Auf unebenem Asphalt zeigt sich bereits im Stadtverkehr eine sportliche, straffe, aber nicht zu harte Fahrwerksabstimmung, die optionalen adaptiven Dämpfer sorgen für zusätzlichen Fahrkomfort.
Auf kurvenreichen Strecken muss der Tonale dann den Beweis erbringen, dass er ein echter Alfa Romeo ist. Die Wankbewegungen der Karosse sind zurückhaltend, das kompakte SUV durcheilt die Kurven mit beachtlicher Dynamik. Am Kurveneingang überzeugt das präzise Verhalten, das durch eine ebenso leichtgängige wie direkte Lenkung unterstützt wird. Beim Anbremsen fällt das natürliche Bremsgefühl im Fuss auf, obwohl der Tonale gleichzeitg Energie rekuperiert. Damit ist er einer der dynamischeren Vertreter seines Segments, auch wenn er nicht um Längen vorne liegt. Auch mit der hausinternen Konkurrenz kann er nicht mithalten: Der Stelvio überzeugte in seiner Klasse eindeutig mit einer besseren Dynamik. Ausserdem reagiert der Motor des Tonale auch im Dynamic-Modus nur sehr verhalten auf die Bewegungen des Gaspedals. Man hat den Eindruck, dass das gesamte Antriebsaggregat nicht gerne ein oder zwei Gänge herunterschaltet und gleichzeitig die elektrische Leistung abruft. Das zögerliche Ansprechen des Turboladers ist dabei auch keine Hilfe.
Unterwegs reichen die 160 PS und 240 Nm für die alltägliche Fortbewegung des Tonale, aber man darf keine sportlichen Amitionen erwarten – was in dieser Leistungsklasse normal ist. Macht ihn das zu einem schlechten Alfa Romeo? Nein, aber wir haben den Eindruck, dass das Feuer von Giulia und Stelvio schwächer brennt. Der Tonale ist mit seinem Raumangebot, Design, Ausstattung und Dynamik eine überzeugende Alternative im Segment der kompakten SUV-Modelle. Noch eine mehr.
Keine Verbrenner mehr ab 2027
Giovanni Busso würde sich im Grab umdrehen. Als geistiger Vater des berühmten V6-Motors, der von 1979 bis 2005 in den Modellen von Alfa Romeo zum Einsatz kam, hätte er wohl wenig Freude an den Elektrifizierungsplänen der Marke. Die sehen nämlich vor, dass bereits ab 2027 alle Autos elektrisch angetrieben werden. Das kündigte Jean-Philippe Imparato, Direktor von Alfa Romeo, anlässlich der Präsentation des Tonale an. Der Plan mit dem eindeutigen Namen «Zero to Zero», von null auf null, bedeutet, dass die Marke von derzeit null Elektroautos bis 2027 auf null CO2-Emissionen umgestellt werden soll. Das erste Glied dieser Kette ist der Tonale PHEV im Jahr 2023. 2024 folgt dann der erste Alfa-Vollstromer. Ein Jahr danach kommt das erste Modell auf einer dedizierten Elektroplattform, mit der Alfa Romeo als erste Konzernmarke die 800-Volt-Technologie einweihen wird. Die Verbrennermodelle laufen derweil allmählich aus, bis sie ab 2027 ihren elektrischen Pendants ganz das Feld überlassen werden.