Zwischen Spass und Mobilität

Dallara prägte den Motorsport entscheidend – und baut nun auch ein Strassenauto. Im Interview spricht CEO Andrea Pontremoli über die Zukunft der Mobilität.

Dallara ist aus dem Automobilsport nicht mehr wegzudenken. Das italienische Unternehmen versorgt verschiedenste Rennserien mit seinen Chassis: Unter anderem fahren die Formel 2, die Formel 3 und die Indycars mit Dallara-Fahrzeugen. Die vor 50 Jahren von Ingenieur Gian Paolo Dallara gegründete Firma ist zu einer Referenz für Verbundwerkstoffe, leichte Chassis und Spitzen-Aerodynamik geworden. Wir haben den CEO von Dallara, Andrea Pontremoli, getroffen, um mit ihm über die Zukunft der Marke zu sprechen.

AUTOMOBIL REVUE: Beginnen wir mit dem Stradale, Ihrem ersten Strassenfahrzeug. Entspricht er Ihren Erwartungen?

Andrea Pontremoli: Noch besser, er hat alle unsere Erwartungen übertroffen. Dieses Auto verkörpert einen Traum des Ingenieurs Gian Paolo Dallara, der, nachdem er Fahrzeuge für die prestigeträchtigsten Marken – Ferrari, Maserati, Lamborghini – konstruiert hatte, sein eigenes Auto auf der Strasse haben wollte. Ein Auto, das seiner Philosophie entspricht, das ganz und gar dem Fahrspass gewidmet ist. Ein Fahrzeug, bei dem die Funktion die Form bestimmt und das frei von allem Überflüssigen ist. Nur die Leistung und der Fahrspass zählen.

Wann begann die Entwicklung des Fahrzeugs?

Wir haben das Projekt sieben Mal neu begonnen, aber jedes Mal zog ein Kunde die Bestellung zurück und wir legten das Konzept zur Seite. 2015 sagte Gian Paolo Dallara zu mir: «Andrea, du bist der CEO dieses Unternehmens, du triffst die Entscheidungen. Ich habe gesehen, dass du meinen Traum verwirklichen willst, aber das muss noch zu meinen Lebzeiten geschehen.» Er erinnerte mich daran, dass er 78 Jahre alt war. Deshalb versprach ich ihm im Namen des Unternehmens: An seinem 80. Geburtstag, dem 16. November 2016, würde er sein Auto testen. Ich habe dem Projekt ungefähr zwanzig Ingenieure und fünf Mechaniker zugewiesen, unter der Aufsicht von Gian Paolo Dallara als technischem Leiter. 18 Monate später konnte er sein Auto testen, das war ein sehr emo­tio­naler Moment für mich. Da verstand ich, was er unter Fahrspass verstand: Leichtigkeit, Leistung, Aerodynamik und insbesondere die richtigen Kompromisse, da, wo es relevant ist – im Wissen, dass ein Auto immer das Resultat eines Kompromisses ist.

Das Ergebnis entsprich also der Aufgabenstellung?

Nicht nur das. Er übertrifft alle unsere Erwartungen, und deshalb wollen wir ihn nur an echte Liebhaber verkaufen. Das mag überheblich erscheinen, aber wir wählen die Kunden aus, die ihn kaufen können. Wir wollen, dass er bei denjenigen landet, die eine tiefe Leidenschaft für das Auto hegen. 

Planen Sie, die Modellpalette an Strassenfahrzeugen noch zu vergrössern?

Wir haben den EXP entwickelt, um auf Basis des Stradale eine echte Rennmaschine zu bauen und gewissermassen den Stradale der Einschränkungen der Strassenverkehrsordnung zu entledigen. Damit hebt er sich auf eine höhere Ebene. Was die Verbreiterung des Sortiments mit zusätzlichen Modellen betrifft, so konzentrieren wir uns aktuell mehr auf die Produktion des Stradale. Wir fertigen ein Fahrzeug pro Woche. Wir haben unseren Kunden versprochen, dass es nur 600 Exemplare geben wird. Um dies zu garantieren, kann jeder Kunde seine Chassisnummer auswählen. Die Nummer 600 wurde bereits zugewiesen und ausgeliefert.

Wird es eine Elektroversion Ihres Supersport­wagens geben?

Wir haben auf Bestellung von Bosch bereits einen elektrischen Dallara Stradale gefertigt. Das Unternehmen hat uns die Motoren und das Torque-Vectoring geliefert. Die Batterie stammt von Williams. Bosch verwendet dieses Exemplar, um zu zeigen, dass es möglich ist, am Steuer eines Elektrofahrzeugs Spass zu haben. Mit seinen 750 PS auf 1200 Kilogramm erreicht er in Mugello die gleichen Zeiten wie der benzinbetriebene Stradale mit 400 PS und 855 Kilogramm. Das sind die beiden Extreme. Die Zukunft wird irgendwo dazwischen liegen.

Dennoch ist die Elektrifizierung in aller Munde.

Ich glaube, dass die Zukunft nicht nur elektrisch sein wird. Das ist ein Kampf, den ich auch auf politischer Ebene führe. In Italien konnten wir durch Premierminister Mario Draghi der Position der Technologieneutralität Gehör verschaffen, nachdem die EU den Übergang zum reinen Elektrobetrieb per 2035 festgelegt hatte. Ich verstehe, dass die Politik Regeln festlegt, indem sie CO2-Neutralität vorschreibt, aber es liegt an der Industrie, durch Forschung geeignete Technologien anzubieten. Ich glaube, dass es andere Wege gibt, dies zu erreichen, als die Elektromobilität. Ich denke da an Hybridantriebe, die im Motorsport wie Pilze aus dem Boden schiessen. Dallara fertigt bereits die Formel-E-Fahrzeuge, und wir sehen, wie sich grosse Automobilhersteller in Kategorien engagieren, in denen Hybridantriebe befürwortet werden, zum Beispiel auf der Langstrecke und in der Formel 1. Das ist ein klarer Indikator, dass sich die Welt in diese Richtung bewegt.

Also werden Autos mit Verbrennungsmotor nie ganz verschwinden?

Ich glaube, dass wir uns auf eine bedeutende Spaltung zwischen Mobilität und Fahrspass zubewegen. Bei der Mobilität genügt es, auf möglichst umweltfreundliche Weise von A nach B zu kommen, vielleicht mit einem selbstfahrenden Auto. Ein eigenes Auto zu besitzen, wird nicht mehr notwendig sein, nur die Dienstleistung zählt. Beim Fahrspass ist es wichtig, das Auto zu besitzen und es zu benutzen, wann man will. Statt von A nach B fährt man von A irgendwohin … Das habe ich bei meinem Dallara Stradale gesehen: Ich fahre manchmal 15 Minuten, nachdem ich ihn parkiert habe, wieder los. Meine Frau fragt mich dann, wohin ich fahre, und ich antworte ihr: «Ich weiss es nicht, ich mache eine Spritztour.» Ich habe mich nicht mehr so gefühlt, seit ich mein Motorrad verkauft habe.

Wird sich die Anzahl Fahrzeuge also reduzieren?

Ja, meiner Meinung nach schon. Die Mobilitätsdienste werden sich hauptsächlich in den Städten entwickeln. Die Stadtzentren sind heute riesige Parkplätze, und gemäss einer Studie der Polytechnischen Universität Mailand fahren nur zehn Prozent der Autos, alle anderen nehmen unnötig Platz weg. Es wäre logischer, die Städte zu überdenken und mehr in die Höhe zu bauen. Man könnte per App ein selbstfahrendes Taxi bestellen und damit ins Zentrum fahren. Für Ausflüge ausserhalb der Stadt oder für Ferien haben Sie Ihr Auto, das Ihren Erwartungen und Vorstellungen entspricht. Das ist meine Vision.

Elektrifizierung bedeutet für Serienfahrzeuge im Wesentlichen mehr Gewicht. Glauben Sie, dass die Nachfrage nach Verbundwerkstoffen – für die Dallara eine Referenz ist – in Anbetracht der notwendigen Gewichtseinsparung zunehmen wird?

Wir bemerken bereits eine Auswirkung auf unsere Aktivitäten. Wir sind aktuell beschäftigter denn je, wir mussten sogar Bestellungen von wichtigen Kunden ablehnen. Unsere Arbeitsweise ist sehr präzis, wir entwickeln keine Motoren oder Getriebe, sondern suchen je nach Energieträger den effizientesten Weg, um die gesetzten Ziele zu erreichen. In der Welt des Rennsports ist die Rundenzeit entscheidend, auf der Strasse hingegen ist der Verbrauch ausschlaggebend. Unsere Grundlagen bleiben jedoch die gleichen: Leichtigkeit und Aerodynamik. Ein grosser Konzern bat uns, eine Studie für ein Grossserienmodell durchzuführen. Ohne den Motor anzufassen, und nur durch Eingriffe in die Aerodynamik und das Gewicht haben wir den Verbrauch um 30 Prozent gesenkt. Die sauberste Energie ist die Energie, die nicht verbraucht wird.

Der Motorsport ist in der DNA von Dallara verankert. In welche Richtung wird sich der Rennsport Ihrer Meinung nach in den kommenden Jahren mit der geplanten Elektrifizierung entwickeln?

Der Motorsport erlebt nach dem Aufschwung der 1960er- und 1970er-Jahre derzeit seine zweite Jugend. Er wird erneut zum Labor für Entwicklung und Innovation. Er ist ausserdem eine riesige Plattform für Marketing. Diese Aspekte gingen in den letzten Jahrzehnten aufgrund der neuen Vorschriften, welche die Innovation bremsten, etwas verloren. Heute haben Energie- und Umweltfragen den Motorsport wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Dort werden die effizientesten Systeme entwickelt. Man denke nur daran, dass der Motor eines F1-Autos einen Wirkungsgrad von 50 Prozent hat, während er bei einem Serienfahrzeug bei 38 Prozent liegt.

Wird Dallara also nie rein elektrisch»?

Nein, Dallara wird nicht elektrisch: Wir haben ­eine Abteilung für Steuerelektronik geschaffen. Alles, was sich um Verkabelung des Fahrzeugs, Verwaltung der Steuergeräte, Telemetrie und so weiter dreht, sind notwendige Fähigkeiten, durch welche die Informationen zu den Fahrern und den Ingenieuren zurückfliessen. Das ist essenziell für die Entwicklung unserer Produkte.

Zur Person

Andrea Pontremoli ist seit 2007 CEO von Dallara. Davor war er während über 20 Jahren beim IT-Unternehmen IBM tätig, zuletzt als Verwaltungsratspräsident von IBM Italien. Pontremoli trägt unter anderem einen Ehrendoktortitel der Universität Parma und den Verdienstorden der Italienischen Republik.

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