Die schärfste Spitze aus Stuttgart ist die Antwort auf die grosse Herausforderung aus Zuffenhausen. Der Mercedes-AMG GT 63 S E Performance 4Matic+ will es mit dem Porsche Panamera Turbo S E-Hybrid aufnehmen, und das nicht nur betreffend der Länge der Modellbezeichnung. In der ersten Runde, beim Studium der technischen Daten, gewinnen die Stuttgarter. Mit 620 kW(843 PS) übertrumpft der GT 63 S E Performance die 700 Pferde des Panamera und avanciert zum stärksten je gebauten (Serien-)Mercedes-AMG. Er wird die Krone nicht lange tragen, das Hypercar One – dessen endgültige Version Mitte Mai vorgestellt wird – hat seinen Anspruch bereits angemeldet.
Die überirdischen Kräfte schöpft der AMG aus zwei Kraftquellen: einem Vierliter-Biturbo-V8 mit 470 kW (639 PS) und einer 150 kW( 204 PS) starken Elektromaschine. So eindrücklich diese Zahlen sind, sie stehen nur für die kleinere Formel des Leistungsbildes. Die noch spektakuläreren Daten des GT 63 S E Performance betreffen das maximale Drehmoment der Systemleistung, das mit 1400 Nm angegeben wird. Um das in Relation zu setzen: Selbst der Panamera Turbo S E-Hybrid kommt nur auf 850 Nm.
Im Kampf gegen die Schwerkraft
In der Realität ergeben sich beim Anhäufen solcher Antriebskräfte mit einer Kabine für fünf Personen leider auch äusserst unbescheidene Gewichtszahlen. Mercedes-AMG gibt ein Leergewicht von 2380 Kilogramm an, damit vermag man den Rivalen aus Zuffenhausen nicht zu unterbieten. Doch in Affalterbach setzt man alles daran, die Auswirkungen einer solchen Masse auf das Fahrverhalten so gering wie nur möglich zu halten. Die Gewichtsverteilung mit dem Biturbo-V8 direkt über der Vorderachse und dem elektrischen Antrieb – einschliesslich Batterie – auf der Hinterachse bietet gute Voraussetzungen. Dabei war diese Auslegung nicht nur von der Massenverteilung motiviert. «Die meisten modernen Hybridautos platzieren ihren Elektroantrieb zwischen Verbrennungsmotor und Getriebe. Diese Architektur verlangt aber Kompromisse bei der Leistung oder dem Drehmoment», erklärt Jochen Hermann, technischer Leiter von AMG. «Mit den elektrischen Komponenten an der Hinterachse waren wir nicht von den Grenzen des Getriebes eingeschränkt.»
AMG ist besonders stolz auf den 400-Volt-Akku mit der hohen Energiedichte (1.7 kW/kg, doppelt so viel wie bisher üblich). Auf den ersten Blick wundert man sich über den Aufwand, wenn das Werk die elektrische Reichweite mit nur gerade zwölf Kilometern angibt. Aber dann wird schnell klar, dass es sich hier um eine durchdachte Entscheidung handelt: Die Reichweite wurde zugunsten der Fahrleistungen geopfert. Die 560 Zellen können auf idealer Betriebstemperatur gehalten werden (rund 45 Grad), womit sie auch die schlimmste Folter überstehen: die schnellen Lade- und Entladezyklen. Konventionelle Stromspeicher sind für langsame Lade- und Entladesequenzen (einmal pro Tag) ausgelegt, die Akkus des GT 63 S E Performance vertragen mehr als 20 – pro Minute! Mercedes bestand darauf, dass die entladenen Stromspeicher nicht zum toten Ballast verkommen sollten. Um immer die gesamte Systemleistung bereithalten zu können, vermag die Batterie beim Bremsen bis zu 100 kW Energie zurückzugewinnen. Im Racing-Modus dreht der V8 zudem etwas höher, um die Akkus bei Laune zu halten. Besitzer, die es nicht so eilig haben, können das deutsche Coupé an eine Steckdose mit 3.7 kW hängen, was die Batterie mit einer Kapazität von 6.1 kWh in weniger als zwei Stunden wieder volllädt.
Subtile Unterschiede
Als erstes fiel uns auf der ersten Testfahrt die unauffällige Abdeckklappe für den Ladestecker beim Coupé auf, was bereits darauf hinweist, wie wenig sich der GT 63 S E Performance von seinem nicht elektrifizierten Zwilling unterscheidet. Scharfe Augen dürften noch auf das rot eingefärbte S und den Zusatz E Performance auf den seitlichen Entlüftungsgittern stossen.
Im Interieur finden sich nicht viel mehr Hinweise, ganz im Gegenteil: Alles ist identisch mit den braveren GT 43 und GT 53. Mercedes wäre auch schlecht beraten, an diesem vorbildlichen Cockpit herumzuexperimentieren. Die Materialien wie Leder, Alcantara und Kohlefasereinlagen sind vom Besten, auch wenn die Ergonomie noch nicht Perfektion erreicht. Wir denken besonders an das mit Funktionen überladene Lenkrad, das eine gewisse Angewöhnung bedingt. Die Designer verbauten auch zwei Drehschalter, doch diese können nicht nur auf und ab bewegt werden, ihre Funktion ändert sich auch mit dem Drücken eines mittigen Touchscreens. Der Fahrer kann somit beliebig Fahrmodi, den Grad der Energierückgewinnung, den Winkel des Heckspoilers, die Leistungsentfaltung, die Kennlinien der Stossdämpfer und vieles andere programmieren. Wir würden ein weniger kompliziertes Lenkrad bevorzugen, denn in diesem Sportler tut man gut daran, sich voll auf die Strecke zu konzentrieren. Alles passiert blitzschnell, wie wir das auf der andalusischen Rennpiste von Monteblanco erfahren durften.
Unablässig, nicht brutal
Als erstes gönnten wir uns zwei Aufwärmrunden im Race-Modus. Mercedes-AMG wollte unbedingt den Nachweis erbringen, dass die Energierückgewinnung tatsächlich zum rasanten Laden der Batterie taugt. Das funktioniert tatsächlich recht gut: Zweimal um die Strecke und der Ladezustand der Akkus machte einen Sprung von 25 auf fast 70 Prozent. Anschliessend durften es einige schnelle Runden sein, wenn auch nicht mit dem Messer zwischen den Zähnen. Beim Einbiegen auf die Gerade konnten wir endlich die gesamte Herde der 843 Vollblüter galoppieren lassen. Das energische Bodigen des rechten Pedals sorgte zunächst einmal für eine überraschend verzögerte Reaktion, aber dann verpasste uns das Coupé doch einen ordentlichen Tritt in den Rücken, und es ging unheimlich schnell voran. Die Landschaft verzerrte sich an der Peripherie des Blickfeldes, der Drehzahlmesser schlug wild aus. In reinen Zahlen verspricht das Werk den Sprint von 0 auf 100 km/h in 2.9 Sekunden, die Schallmauer von 200 km/h fällt sieben Sekunden später (9.9 s). Der Eindruck der – vielleicht doch etwas zu gleichmässigen – Beschleunigungskräfte ist eher als unablässig und nicht als brutal zu bezeichnen. Auf der Rennstrecke hätten wir fast vergessen, dass wir einen Boliden von 2.4 Tonnen bewegten. Die nächste Bremszone brachte uns allerdings wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Druckpunkt des linken Pedals ist nicht ganz klar, die Progression der Bremskräfte wirkt etwas künstlich. Bestnoten verdient sich die hervorragende Lenkung mit ihrer guten Rückmeldung, das Fahrverhalten ist dank der Allradlenkung unglaublich handlich und verblüffend. Das Hirn will nicht akzeptieren, wie spielerisch der Wagen durch die Kurven fährt und intuitiv der Ideallinie folgt. Obschon nicht am Limit gefahren wurde, zeigten die Bremsen nach einigen schnellen Runden Spuren eines einsetzenden Fadings. Das diente als Bestätigung, dass der GT 63 S E Performance kein Rennstreckenhobel sein will. Der Porsche Panamera passt etwas besser in dieses Umfeld. Der AMG gab einen beeindruckenden Leistungsbeweis, aber sein bevorzugtes Einsatzgebiet sind die deutschen Autobahnen, über die er mit irrem Tempo gleitet, ohne dabei den Komfort aussen vor zu lassen.