Der Ferrari 296 GTB besticht auf Anhieb. Seine nur 4565 Millimeter lange, aber 1958 Millimeter breite Karosserie überzeugt mit aerodynamisch optimierten Linien – ohne spektakuläres Spoiler- und Flügelwerk. Die Aluminium-Aussenhaut ist vergleichsweise schlicht, niedrig und in perfekten Proportionen gehalten. Erstaunlich auch, dass der kompakte Zweisitzer trotz völlig neuen, modernen Designs dezent an legendäre Vorgänger wie den LM 250 oder den Dino 206 zu erinnern vermag.
Technisch eröffnet der 296 GTB eine neue Ära, ist er doch das erste Mittelmotorauto mit hybridem Hinterradantrieb, zudem sorgt er für eine Renaissance des V6-Motors. Die V6-Mittelmotor-Architektur – natürlich ohne Elektromaschine – gab es schon 1961, als der 246 SP als Targa-Florio-Sieger für Aufsehen sorgte. Im gleichen Jahr gewann Ferrari mit dem 156 F1 und einem 120-Grad-V6 auch den ersten Konstrukteurs-Weltmeistertitel in der Formel 1. Seit 2014 wird das V6-Turbo-Hybridkonzept bei allen Formel-1-Autos eingesetzt.
Mittschiffs-Plug-in-Hybrid
Die neuen Dimensionen trägt das Auto nun auch in seinem Namen: 29 steht für den Hubraum – allerdings nicht exakt, denn der Zylinderinhalt beträgt drei Liter. Die 6 steht für die Anzahl Zylinder und GTB nach traditioneller Vorlage für Gran Turismo Berlinetta. Da im neuen 296 GTB die Antriebsgruppe zwischen Fahrer und Hinterachse platziert ist, dreht sich entsprechend buchstäblich alles um das Hybridaggregat.
Der 120-Grad-V6-Verbrenner wurde von Grund auf neu gezeichnet. Um die für ein Serienauto ausserordentlich hohe spezifische Leistung von 221 PS/l zu erreichen, war viel Detailarbeit bei der Werkstoffwahl und bei der thermodynamischen Auslegung erforderlich. Das potente Dreiliter-Aggregat übernimmt das erstmals im SF90 Stradale eingesetzte Brennraumkonzept mit zentraler Einspritzdüse und Zündkerze. Die Ein- und Auslasskanäle wurden neu gestaltet, sodass eine hohe Verwirbelung im Brennraum gewährleistet ist. Zwei IHI-Monoscroll-Turbolader machen mit maximalen Drehzahlen von 180 000 U/min mächtig Druck. Die geschmiedete und nitrierte Kurbelwelle wurde für die Zündfolge 1-6-3-4-2-5 entworfen, mit der sich regelmässige Zündabstände ergeben. Dank des grossen V-Winkels konnte auch der Schwerpunkt abgesenkt werden, und die Turbolader finden genügend Platz zwischen den Zylindern.
Die ausgeklügelte Stahl-Nickel-Auspuffanlage trägt nicht nur zur Steigerung der Motorleistung bei, sondern eröffnet auch neue Klangwelten. Der Dreiliter-V6 schreit ähnlich laut wie der hochdrehende V12-Saugmotor, weshalb er auch den Spitznamen Piccolo V12 erhielt. Ein Begrenzer beendet die Drehorgie schliesslich bei 8500 U/min.
Zwei kompakte Aggregate im Verbund
Der neue Ferrari-Motor ist, wie übrigens auch der von Ricardo für den McLaren Artura entwickelte 120-Grad-V6-Turbo-Dreiliter, mit einer kompakten Axialfluss-Permanentmagnetmaschine mit zwei Rotoren und einem Stator ausgestattet. Diese MGU (Motor Generator Unit) liefert bis zu 122 kW Boost-Unterstützung und befähigt das Auto zu rein elektrischem Fahren, weil sie durch eine Kupplung trennbar zwischen Motor und Getriebe angeordnet ist. Mit dem 7.45-kWh-Akku sind Distanzen bis zu 25 Kilometern möglich. Für die Moduswahl steht neben dem traditionellen Manettino nun auch ein E-Manettino zur Verfügung.
Die Antriebskraft fliesst via Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe und E-Diff zu den Hinterrädern. Sollen 610 kW (830 PS) auf öffentlichen Strassen sicher auf den Boden gebracht werden, sind elektronische Hilfen unentbehrlich. Das neue Brake-by-Wire-Bremssystem von Brembo – allerdings noch nicht das Sensify-System mit vier Einzelaktoren – verbessert als ABS Evo auch die Traktionsregelung. Der Pedalweg wurde auf ein Minimum reduziert, was die Sportlichkeit steigert, ohne das Pedalweggefühl einzuschränken. Weil sich die Gripgrenzen der Hinterreifen weiter nach oben verschieben lassen, konnte die Performance beim Einlenken in Kurven noch verbessert werden. Selbst bei hoher Geschwindigkeit kann jetzt problemlos in die Kurve hineingebremst werden. Dies haben einige Runden auf dem Autódromo Portimão (P) eindrücklich bewiesen. Ebenfalls wieder im Antriebsstrang integriert ist das SSC-System (Side Slip Control), das im Race-Modus einen kontrollierten Drift zulässt.
Farbig, aber dezent genug
Der Innenraum des 296 GTB soll nach Herstellervorgabe das Konzept der formalen Reinheit hervorheben. Das Cockpit wurde um das Konzept einer vollständig digitalen Benutzeroberfläche herum entwickelt, wie es Ferrari erstmals beim SF90 Stradale vorgestellt hat. Bei ausgeschaltetem Motor werden die Bordinstrumente schwarz. Im Fahrbetrieb müssen die zahlreichen am Lenkrad angeordneten Steuerfunktionen erst durch Tastendruck aktiviert werden, damit eine zufällige, ungewollte Betätigung ausgeschlossen wird.
Zu den wesentlichen aerodynamischen Eigenheiten des neuen Modells zählen der flache Unterboden und der aktive Heckspoiler, der nicht nur für zusätzlichen Anpressdruck sorgt, sondern auch beim Bremsen aus hohen Geschwindigkeiten mithilft. An der Fahrzeugfront sorgen Details wie das sogenannte Tea-Tray für eine maximal effiziente Luftumströmung des Fahrzeugs. Zum charakteristischen Design der Heckpartie gehört aus aerodynamischer Sicht auch das neue Flügelprofil auf dem Dach, das in zwei seitliche Lamellen der hinteren Motorabdeckung übergeht.
Hybridbetrieb gewöhnungsbedürftig
Eine neue Ferrari-Erfahrung eröffnet der 296 GTB bei der Fahrt auf öffentlichen Strassen im Hybrid-Modus. Ist wenig Motorleistung notwendig, etwa vor einer langsameren Kurve, stellt der Verbrenner seinen Betrieb unverzüglich ein und lässt die Elektromaschine arbeiten – die Fahrt ohne Sound ist im ersten Moment zutiefst irritierend, denn es fehlt Wesentliches. Fahrdynamisch gibt es an dieser Regelung hingegen kaum etwas zu bemängeln, denn am Kurvenausgang liefert der V6-Motor sofort wieder Leistung im Überfluss.
Kurz stellt man sich hier dennoch die Frage, ob ein CO2-optimierendes Hybridsystem wirklich zu diesem Fahrzeug passt. Dem intensivsten Fahrerlebnis wäre nämlich ein kontinuierliches Verbrennerkonzert zuträglicher. So ist man abseits von dicht besiedelten Gebieten geneigt, unverzüglich vom Hybrid- in den Performance-Modus zu wechseln – dann entsteht ein ausserordentlich aufregendes Fahrerlebnis. Die Lenkung reagiert extrem sensibel auf kleinste Lenkradbewegungen, Vortrieb wird auf Gaspedalbefehl blitzschnell geliefert. Schaltvorgänge nimmt das Getriebe modusabhängig automatisch so vor, dass es manuell kaum getoppt werden kann. Allerdings bietet die Handschaltung über die langen, fest mit der Lenksäule verbundenen Paddles ein besonderes Vergnügen.
Topnote fürs Handling
Da der Radstand des neuen Modells gegenüber den bisherigen Mittelmotor-Berlinettas um 50 Millimeter reduziert wurde, gewinnt der 296 GTB zusätzlich an Agilität. Zur hervorragenden Fahrdynamik trägt natürlich auch das niedrige Leergewicht bei. Zwar bringt die Hybridtechnik zusätzliches Gewicht mit sich, doch wird dies kompensiert durch den gegenüber dem 4.5-Liter-V8 um rund 30 Kilogramm leichteren V6-Motor und den Einsatz vieler neuer Leichtmaterialien. Trocken wiegt der Klein-Ferrari 1470 Kilogramm, was in Bezug auf das Leistungsgewicht zum rekordverdächtigen Wert von 1.77 kg/PS führt. Entsprechend fallen die Beschleunigungswerte aus: nämlich sehr beeindruckend.
Für die Rennstrecke
Wer sich mit dem Ferrari 296 GTB häufig auf Rennstrecken bewegen möchte, kann sich für das Paket Assetto Fiorano entscheiden. Darin enthalten sind diverse Gewichtsreduzierungsmassnahmen, sportliche Karbonbauteile am vorderen Stossfänger, einstellbare Multi-matic-Dämpfer, eine extrem leichte Heckscheibe aus Polykarbonat sowie eine vom Ferrari 250 Le Mans inspirierte Sonderlackierung. Dieses Design erscheint auf der Motorhaube in Form eines Hammermotivs und verläuft über das Dach bis zum Heckspoiler. Zum Assetto-Fiorano-Paket gehört ausserdem die Semislick-Hochleistungsbereifung Michelin Pilot Sport Cup 2 R.
Die technischen Daten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.