Schlammschlacht

Vor knapp fünf Jahren nahm das Projekt des Ineos Grenadier nach einigen Bier im Pub seinen Anfang. Jetzt ist das Auto auf der Strasse. Oder eben: abseits der Strasse.

«Nehmen Sie etwas Anlauf, auf den ausgefahrenen Wegen wird es sonst schwierig, wenn Sie zu langsam sind. Das ist erst ein Prototyp, die Differenzialsperren sind bei diesem Fahrzeug noch nicht aktiv», sagt unser geländeerprobter Beifahrer, als wir gerade auf die steilste Steigung zufahren, die der Offroadparcours hier in der Nähe von Hambach (F) zu bieten hat. Die letzten Tage hat es geregnet, die Strecke ist nass und schwer befahrbar. Wie bitte? Der Regen der vergangenen Tage hat die Kiesgrube in eine Sumpflandschaft verwandelt. Wir sitzen im ­Ineos Grenadier und haben soeben eine ganze Reihe von Gräben, Steigungen und Furten hinter uns gebracht mit einer Leichtigkeit, als wäre es ein üblicher Arbeitsweg – offenbar komplett ohne Sperren.

Zum ersten Mal lässt Ineos uns selbst ans Steuer des neuen Grenadier, nachdem man uns bereits mehrfach das Auto statisch präsentiert und uns auf dem Beifahrersitz mitgenommen hat. Entsprechend gross war das Interesse an dem Defender-Klon. Nicht nur bei uns übrigens: «Die Schweiz rangiert bei den Vorbestellungen weltweit auf Platz drei direkt hinter Deutschland und Grossbritannien», sagt Marketingleiter Klaus Hartmann. Das ist wenig erstaunlich, schliesslich ist die Schweiz auch ein Paradies für Fans des alten Defender, der dem Grenadier Modell stehen durfte. «Ausserdem hat Grenadier ja in der Schweiz noch eine ganz besondere Bedeutung», lacht Hartmann und spielt auf die militärische Funktion an. Das typische Bild des Grenadiers als harter Krieger, der sich unaufhaltsam durch den Dreck kämpft, immer die Mission im Blick, passt für den Ineos wie die Faust aufs Auge.

Alles ganz robust

Obwohl es ein Prototypenfahrzeug ist, mit dem wir unterwegs sind, sind es nur noch Details, die sich ändern werden bis zum Start der Serienproduktion im Juni. Aufgebaut ist der Grenadier – wie es sich gehört für einen echten Geländewagen – auf einem Leiterrahmen aus Stahl, produziert von Gestamp in Bielefeld (D). Wenn man das Fahrgestell des Grenadier sieht, fällt schnell der Unterschied zum neuen Defender auf: Hier gilt maximale Einfachheit. Vorne und hinten gibt es Starrachsen, geliefert von Carraro, Luftfedern sucht man vergeblich. Die Stahlfedern sind zwar weniger komfortabel und weniger vielseitig, aber dafür auch mechanisch. Und dadurch weniger störungsanfällig, komplett wartungsfrei und einfach zu ersetzen, falls irgendwo im Nirgendwo ein Federbruch auftritt. Denn der Grenadier ist kein Blender, soll im härtesten Alltag bestehen können und nicht vor Villen am Züriberg herumstehen – auch wenn wenig Zweifel daran bestehen, dass einem Grossteil der Schweizer Vorbestellungen genau dieses Leben droht.

Ganz unbegründet ist das nicht. Dass ein Auto mit Leiterrahmen und Starrachse ein so unverkrampftes Fahren möglich macht, beeindruckt. Wer allerdings Komfort sucht, ist beim Grenadier am falschen Ort, da ist er mehr alter Defender und ganz klar nicht G-Klasse. Das zeigt auch die Innenausstattung. Auch da ist unser Testwagen noch Vorserie, vieles stammt aus dem 3-D-Drucker und nicht aus den finalen Spritzguss-Produktionsstrassen. Nichtsdestotrotz ist klar erkennbar, wo die Reise hingeht: in Richtung Nutzwert. Denn der dominierende Kunststoff wird nicht verschwinden, damit wird sich die Goldküsten-Kundschaft schwertun. Die Bedienung erfolgt fast ausschliesslich über echte Schalter und Knöpfe, die auch blind bei minus 20 Grad mit Handschuhen bedient werden können. Die Anzeigen sind auf ein Minimum reduziert – und gewöhnungsbedürftig. Hinter dem Lenkrad sitzt im Armaturenbrett nur eine Kombination von Warn- und Kontrollleuchten. Alles andere von Radio über die Offroad-Anzeigen bis zum Tacho findet im ebenfalls kleinen, zentralen Touchscreen statt. Die Idee: Das Sichtfeld soll frei bleiben und einen uneingeschränkten Blick nach vorne erlauben. 

Analoges Fahren

Die hohe Sitzposition und die klar definierten Eckpunkte des Fahrzeugs ermöglichen eine gute Orientierung im Gelände, wo es gilt, jederzeit zu wissen, wie und wo das Auto beginnt und aufhört. Und das macht der Ineos dank der hohen und aufrechten Sitzposition ganz gut. Die Kotflügel links und rechts sind stets im Sichtfeld. Während in einem Defender oder einer neuen G-Klasse die Elektronik fährt, egal ob auf der Autobahn oder der Geröllhalde, fährt im Ineos der Fahrer selbst. In der finalen Ver­sion wird es zwar auch Spielereien wie eine Hill-Descent-Control geben, aber eigentlich ist das nicht die Idee. Da wird analog gefahren, ohne Fahrprogramme für alle möglichen Untergründe. In unserem Fahrzeug funktioniert das noch nicht, sodass die einzige Möglichkeit darin besteht, die Geländeuntersetzung einzuschalten, den ersten Gang einzulegen und langsam die Bremse zu lösen, wenns steil abwärts geht. Das Verteilergetriebe stammt von Tremec aus den USA und erledigt seinen Job tadellos.

Beim Antrieb vertrauen die Briten auf die Crème de la crème. Wie am Wählhebel unschwer zu erkennen ist, stammt das Getriebe von BMW, es ist die Achtgang-Wandlerautomatik aus dem Hause ZF. Dass genau diese zum Einsatz kommt, ist kein Zufall, schliesslich werden auch die Motoren aus München nach Hambach geliefert. So gibt es entweder einen Reihen-Sechszylinder-Diesel oder einen Reihen- Sechszylinder-Benziner. Der Diesel leistet 183 kW (249 PS) und liefert 550 Nm. Der Benziner hat etwas mehr Leistung und im Gegenzug weniger Drehmoment: 210 kW (285 PS) und 450 Nm. Mit Drehmomentwandler und Untersetzungsgetriebe wird bereits der Benziner in unserem Testwagen ordentlich stark, wer einen Anhänger ziehen will – bis zu 3.5 Tonnen Zuglast sind möglich – oder auch einfach nur regelmässig im Gelände unterwegs ist, wird aber eher auf den bärigeren Dieselantrieb setzen, trotz etwas geringerer Leistung.

Im Schatten des Defender

Mit einem Leergewicht von knapp 2.5 Tonnen und einer Länge von fünf Metern ist der Grenadier kein Kleinwagen. Bei den Geländekennzahlen steht der Ineos etwas im Schatten des Def: Wattiefe 800 Millimeter, Böschungswinkel 35.5 Grad vorne und 36.1 Grad hinten, Rampenwinkel 28.1 Grad lauten die Werte für die zum Markteinstieg erhältliche fünfplätzige Version mit normalem Radstand. Bereits geplant ist eine längere Pick-up-Version. Auch ein Siebensitzer soll kommen und – in unbekannter Zukunft – möglicherweise auch eine dreitürige Variante mit kürzerem Radstand. Ganz der Defender eben.

Zu den Kosten haben wir noch nichts gesagt. Eine Preisliste gibt es noch nicht, der Grenadier soll aber rund halb so teuer sein wie eine G-Klasse. Vorbestellungen werden unter Anzahlung von 450 Euro bereits entgegengenommen, die Produktion ist bis mindestens Ende Jahr ausverkauft.

Vom Smartville zur Ineos Factory

Vor knapp 25 Jahren weihte Daimler im elsässischen Hambach (F) unter dem Namen Smartville das Werk für den Smart Fortwo ein. Ein europäischer Standort für das Auto von morgen sollte es werden. Und das war es auch für mehr als zwei Dekaden. Nach der für 2023 geplanten Verlagerung der Smart-Produktion nach China war kurz die Fertigung des Mercedes EQB in Hambach im Gespräch. Diese findet jetzt in Ungarn statt. So konnte Ineos das Werk und Mitarbeiter günstig übernehmen. Anstelle von kleinen Smart werden in Hambach jetzt riesige Grenadier montiert. Während einige Bereiche wie beispielsweise der Body-Shop, in dem 80 Roboter eine vollautomatische Karosseriemontage ermöglichen, komplett neu aufgebaut werden mussten, konnten andere Bereiche mit wenigen Anpassungen für den Grenadier fit gemacht werden. Die finale Montage beispielsweise hatte Mercedes bereits für die Produktion des EQB ausgerüstet, sodass der 2.5 Tonnen schwere Geländewagen für die Produktionsbänder kein Problem darstellt. Ab Mitte 2022 soll in Hambach die Montage hochgefahren werden, bis Ende Jahr sollen jährlich 32 000 Fahrzeuge im Zweischichtbetrieb gebaut werden.

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