«Ich fahre wie ein Opa»

Der ehemalige Formel-1-Pilot, unter anderem für Renault, Ferrari und ­Ligier, lebt in der Schweiz und in Italien, und der 73-jährige gebürtige Franzose unternimmt ­bisweilen auch einen Abstecher nach Paris. Somit sitzt er oft am Steuer. Für unser Treffen ­fahren wir aber zu ihm nach Hause, nach Pully bei Lausanne.

Das Wetter an diesem Donnerstagnachmittag im Februar verbreitet nicht gerade Partystimmung. Es ist grau, und Regen trübt die herrliche Aussicht auf den Genfersee und die Alpen. Das Treffen wurde für 14 Uhr beim Wohnsitz von René Arnoux vereinbart. Wir treffen vor einem kleinen Haus in ­einem schicken Viertel der ohnehin schon sehr feinen Gemeinde Pully VD ein. An der Eingangstür sehen wir die Türklingel mit dem Namensschild: Arnoux. Wir klingeln, aber niemand antwortet. Wir versuchen es auf dem Handy. Am anderen Ende der Leitung erklärt eine fröhliche Stimme: «Ich komme! Ich war mit einem Freund zum Mittagessen, er bringt mich zurück.» Dann ist er endlich da, René Arnoux, heiter und sympathisch. Das Fotoshooting vor seinem Auto findet im Regen statt? Nicht schlimm! Er macht Witze und lacht. Es ist Zeit für das Interview.

Der ehemalige Formel-1-Pilot und siebenfache Grand-Prix-Sieger – er fuhr zwischen 1978 und 1989 für Martini, Surtees, Renault, Ferrari und Ligier – warnt uns: «Ich bin Single. Bei mir herrscht Chaos!» Lampen in italienischem Design, dunkler Holzfussboden und ein langer Tisch, der mit Papierkram bedeckt ist: Die private Welt von René Arnoux ist so wie er selbst – voller Leben. «Ich arbeite noch als Berater. Ich kümmere mich um den Bereich Uhren bei der Gruppe Kif Parechoc, die vor allem im Vallée de Joux und Le Sentier angesiedelt ist. Ich kann nicht aufhören zu arbeiten.»

Und zu fahren auch nicht, denn der ehemalige Autorennfahrer verbringt seine Zeit sowohl hier in Pully als auch auf seinem Anwesen in Desenzano del Garda in Norditalien. Deswegen legt er jedes Jahr einige Kilometer zurück, ungefähr 50 000, seit das Coronavirus grassiert, sagt Arnoux, weil er weniger oft mit dem Flugzeug und dem Zug unterwegs sei. Und wie müssen wir uns einen ehemaligen Rennfahrer im Strassenverkehr vorstellen? «Ich bin zur grössten Dumpfbacke überhaupt geworden. Aufgrund der vielen Geschwindigkeitskontrollen fahre ich wie ein Opa.» René Arnoux erklärt, dass er im Auto alle Optionen habe, insbesondere einen Tempomaten. «Ich schalte ihn immer ein, sonst bin ich erledigt. Ich stelle ihn so ein, dass ich höchstens zehn Prozent schneller als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit fahre. So werde ich bei einer Geschwindigkeitskontrolle nicht geblitzt. Ohne den Tempomaten fahre ich zu schnell.»

Lieber schnell und aufmerksam

Der Dritte der Formel-1-WM 1983 (damals bei Ferrari) liebt Autos nach wie vor. «Aber nicht, was aus ihnen gemacht wurde. Das Auto ist noch mehr zur Milchkuh geworden: das Benzin, die Versicherung, die Autobahn in Frankreich oder in Italien – alles ist sehr teuer.» Er gibt zu, dass es ihm aktuell aufgrund der mangelnden Freiheit und der Geschwindigkeitsbegrenzungen keinen Spass mehr mache, auf der Strasse unterwegs zu sein. «Ich bin der Meinung, dass eine hohe Geschwindigkeit die Aufmerksamkeit des Fahrers steigert. Wenn man teilnahmslos wie ein Zombie fährt, ist man nicht aufmerksam. Bei 110 km/h kann man leicht sein Handy in die Hand nehmen, bei 180 km/h sieht das schon anders aus.» Heute ist es daher sein Ziel, mit möglichst wenig Langeweile von A nach B zu gelangen. «Ich träume von einem Auto, das mich an den gewünschten Ort bringt und das eine Vorrichtung hat, die mich anstupst, um mich zu wecken und mir mitzuteilen: ‹René, du bist am Ziel angekommen!›»

Vom schnellen Autofahren hat Arnoux, der in elf Formel-1-Jahren 162 Grand Prix gefahren ist, deswegen aber noch nicht genug. Sechsmal pro Jahr fährt er an eine Rennstrecke, wo er immer noch denselben Nervenkitzel und dieselben Emotionen erlebt. «Ich habe auf Rennstrecken aussergewöhnliche Sachen gemacht – und das mache ich nach wie vor. Das Fahren von leistungsstarken Autos ist immer aufregend, und der Spass, sie zu fahren, ist nach wie vor da.» René Arnoux nimmt insbesondere Kunden, die sich einen Ferrari zugelegt haben, mit auf Fahrten im Autodromo Nazionale in Monza (I), auf dem bis zu 330 km/h schnell gefahren wird. Er wird auch regelmässig von Ferrari-Fanclubs zu Essen oder für Vorträge gebucht. «Wer Ferrari-Pilot war, der bleibt das für die Italiener ein Leben lang.»

Ferrari ist für René Arnoux eine Herzenssache. Wenn er von der Marke mit dem steigenden Pferd spricht, hat er ein Strahlen in den Augen. Während drei Jahren, von 1983 bis 1985, gehörte er zur Scuderia. «Ich kannte Enzo Ferrari gut. Er hatte den Ruf eines harten, strengen und kalten Mannes. Ich empfand ihn jedoch als angenehm, sympathisch und herzlich. Ich habe ihn sehr geschätzt. Er hatte sein Leben dem Automobilsport gewidmet und war ständig in seinem Werk.» Die beiden Männer sprachen über alles: die Liebe, die Politik, das Leben oder über Ideen für die Fahrzeugentwicklung. «Sein Chauffeur Dino kam auf der Rennstrecke zu mir und sagte: ‹Signor Ferrari würde gern mit Ihnen essen.› Ich antwortete ihm: ‹Es ist mir eine Freude, ich werde da sein.›» Er sei auch nie enttäuscht gewesen, bezeugt Arnoux auch heute noch, dass er wegen eines Skiunfalls und einer darauffolgenden Operation plötzlich von Ferrari entlassen wurde. «In gewisser Weise war ich sogar froh. Die Resultate waren ungenügend, trotz der Mittel, die wir zur Verfügung hatten. Ich pflegte aber weiterhin ein sehr gutes Verhältnis zu Enzo Ferrari.»

Keine Pflichtgefühle, nur Leidenschaft

René Arnoux spricht auch liebevoll von seinem Vater, einem Buchhalter mit der Leidenschaft für Autorennen, der die Rennen besuchte, so oft er nur konnte. «Er hat sich während meiner Karriere nie eingemischt. Er setzte sich in eine Ecke, und später redeten wir. Er kommentierte alles. Er hatte jedes Recht dazu. Ich war der Sohn, er war der Vater.» Und wie war das mit der Angst um sein eigenes Leben? «Nein, die hatte ich nicht. Hast du nur ein Prozent Angst, kannst du keine Rennen fahren. Das ist ein Handicap. Selbst nach dem tödlichen  Unfall von Gilles Villeneuve, meinem besten Freund (der Kanadier verunglückte 1982 tödlich – Red.), stellte ich die Rennfahrerei nie in Frage. Wir glaubten einfach, dass uns so etwas nicht passieren könne, und wir vertrauten dem Team.» Mit Blick zurück sagt Arnoux: «Ich habe Dinge nie aus Pflichtgefühl getan, sondern immer aus Leidenschaft. Erwache ich am Morgen, ist mein Leitspurch immer derselbe: Wenn ich mich beschwere, hat jeder das Recht, sich zu beschweren.»

«Gilles Villeneuve war mein bester Freund»

Fragebogen Das Frage-Antwort-Spiel von Marcel Proust ist weltberühmt. Bei der AR wird aus Proust Prost.

Automobil Revue: Wer ist Prost für Sie? 

René Arnoux: Ich verschwende meine Zeit nur dann, wenn ich es will. Ich habe nichts Positives über ihn zu sagen (gemeint ist der vierfache Formel-1-Weltmeister Alain Prost – Red.).

Ihr erstes Mal im Auto?

Als ich sieben Jahre alt war, fuhr ich in einem Simca 8 auf dem Schoss meines Vaters mit.

Ihr erstes Auto?

Ein Alfa Romeo Giulietta Sprint. Als ich das Auto kaufte, war er in keinem guten Zustand. Ich war 20 Jahre alt und arbeitete in einer Garage, die Autos für Rallyes vorbereitete. Ich zählte meine Stunden nicht. Ich fragte die Chefs: «Kann ich nach der Arbeit mein Auto restaurieren?» Sie gaben mir ­eine kleine Ecke, und ich machte mich an die Arbeit. Ich habe alles auseinandergenommen und neu gemacht. Ein Freund hat mir die Karosserie gemacht, denn damit kannte ich mich nicht aus. Ich brauchte eineinhalb Jahre dafür. Eines Tages während der Mittagspause füllte ich etwas Benzin in den Tank und fuhr los. Was für eine Freude! Sie war doppelt so gross, weil ich alles selbst gemacht hatte. Später hatte ich schöne Autos, aber ich verspürte nie wieder dieses Glücksgefühl.

Was fahren Sie heute?

Einen Mazda CX-5. Die Marke stellt mir Modelle zur Verfügung. Im Gegenzug ging ich zum Autosalon und war vor Ort, wenn sie mich brauchten. Ich kannte die Marke nicht. Dieses Auto läuft gut: Es hat nie eine Panne und verbraucht nicht viel.

Ihr Traumauto?

Ein Ferrari – wenn es keine Geschwindigkeitsbegrenzungen gäbe. Aber als Ex-Rennfahrer sind 130 km/h für mich sowieso wenig. Ich konnte auf den Rennstrecken so viele aussergewöhnliche Dinge tun, ich brauche diese Raserei nicht mehr. Ausserdem wäre ich der König der Idioten, wenn ich in einem Ferrari von einem überholt würde, der 130 km/h fährt. Ich bevorzuge bequeme Autos.

Ihre beste Fahrt im Auto?

Einmal war ich in Italien, in Pescara, bei einem Freund. Ferrari rief mich an und bat mich, einen Teil meines Vertrags in Lausanne zu unterzeichnen. Mein Freund sagte zu mir: «Nimm meinen Ferrari 512 BB mit Vergaser, dann bist du schneller.» Ich fuhr los, kam in Lausanne an, wir diskutierten, ich unterzeichnete, wir assen, und am Tag darauf ging es weiter, und ich fuhr über den St. Bernhard. Es hatte sehr wenig Verkehr, ich fuhr, na ja, schnell (er bittet darum, seine Geschwindigkeit in der AR nicht zu erwähnen – Red.). Irgendwann überholte ich Polizisten. Die Mautstelle war noch drei Kilometer entfernt. Als ich dort ankam und mein Wechselgeld schon bereithielt, war ich mir sicher, dass die Polizisten es mit ihrem Alfa nicht schaffen würden. Aber sie hatten Kollegen benachrichtigt, die mir ein Zeichen gaben, dass ich parkieren sollte. Im BB sitzt man auf dem Boden. Ich liess das Fenster herunter, und sie beugten sich beide zu mir hinunter. Der eine sagte zu mir: «Sie glauben wohl, Sie sind Niki Lauda?» Der andere sagte zu seinem Kollegen: «Aber nein, das ist doch René Arnoux!» Wir platzten vor lachen. Die anderen beiden Polizisten trafen ein, aus dem Motor des Alfa rauchte es. Sie wollten, dass ich ihnen den Ferrari zeige, den Motor und wo das Gepäck verstaut wird. Ich habe Fotos signiert. Dann baten sie mich noch um eine letzte Sache: die Räder durchdrehen zu lassen. Ich habe abgelehnt. Die Kupplung ist sensibel. Sie hätte kaputtgehen können.

Ein Alptraum im Auto?

Der Tod von Gilles Villeneuve während der Qualifikation zum Grand Prix von Belgien. Ich war 30 Meter hinter ihm. Er wollte Jochen Mass überholen, sie verhakten sich, die Gurte haben versagt, Gilles wurde herausgeschleudert und stürzte auf den Kopf. Er war auf der Stelle tot. Er war mein bester Freund.

Am Steuer Ihres Autos fühlen Sie sich …

Ziemlich sicher. Die Fahrzeuge haben Airbags und durchlaufen Crashtests.

Ein Leben ohne Auto? 

Ich denke, dass sich der Mensch an alles anpassen kann. Aber ich selbst könnte nicht ohne Auto leben. Ich würde sogar die kleinste Mistkarre nehmen!

Ein Tempolimit von 30 km/h in allen Schweizer Städten, wäre das eine gute Idee?

Nein! Bei dieser Geschwindigkeit steht man fast still. Gestern Abend fuhr ich in Vennes von der Autobahn. Bis zu mir nach Pully hatte ich den Eindruck, die Strecke Paris–Lyon zurückzulegen. Und zwischen 30 auf 50 km/h ist der Unterschied lärmtechnisch nicht gross.

Selbstfahrende Autos: Lust oder Frust?

Top! Ich könnte auf der Rückbank schlafen und meine E-Mails schreiben.

Wen würden Sie am Strassenrand auf jeden Fall mitnehmen?

In Paris, wo ich oft hinfahre und zum Markt gehe, habe ich auch schon ältere Damen mitgenommen, die mühsam ihren Wagen zogen. Heute dagegen sind die Menschen ängstlich: Eine Person läuft davon, wenn ich sie frage, ob sie Hilfe braucht. Das ist mir schon mal im Quartier passiert.

Und wen würden Sie nicht mitnehmen?

Politiker. Selbst wenn sie Sport treiben würden, wären sie immer die Letzten – und zwar mit einem Tag Verspätung.

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