«Der Ball liegt ganz klar bei uns!»

Das dritte Jahr in Folge findet kein Autosalon Genf statt. Für Direktor Sandro Mesquita ist klar: 2023 muss er stattfinden, sonst ist Schluss.

Wie aus einer anderen Zeit scheinen die Bilder, als sich täglich Abertausende ­Besucher in den Hallen der GIMS drängten.

Ursprünglich wäre der Start des Genfer Autosalon für den 17. Februar 2022 geplant gewesen, doch er findet das dritte Jahr in Folge nicht statt. Die Organisatoren entschieden sich im vergangenen Oktober dazu, die Veranstaltung mangels Ausstellern abzusagen. Jetzt geht es um die vielleicht wichtigste Aufgabe: die Organisation der Geneva International Motor Show 2023. Kann diese wieder nicht stattfinden, wäre das das Ende für den Autosalon. Wir haben uns mit GIMS-Direktor Sandro Mesquita darüber unterhalten, wie die Probleme vor denen man steht, gelöst werden sollen.

AUTOMOBIL REVUE: Was machen der Direktor der GIMS und sein Team in einem Jahr ohne Autosalon?

Sandro Mesquita: (lacht) Wir bereiten den nächsten vor! Wir arbeiten seit Dezember an der Ausgabe für 2023 und kümmern uns gleichzeitig auch um den Salon in Doha von 2023, bei dem wir für strategische und konzeptionelle Fragen zuständig sind. 

Wie weit ist die Planung für die GIMS 2023?

Wir nehmen demnächst die Gespräche mit den Herstellern auf, um mit ihnen unsere Ambitionen und unseren Ansatz für 2023 zu teilen. Wir prüfen verschiedene Optionen und wollen diesbezüglich ihr Feedback einholen. Wir gestalten die Ausgabe von 2023 gemeinsam.

Was war Ihre Reaktion, als die Massnahmen gegen das Coronavirus aufgehoben wurden?

Das ist hervorragend, aber es bringt uns aktuell nichts. Wir planen ein Jahr im Voraus, und das Risiko besteht nach wie vor. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt und ob die Situation im kommenden Winter stabil sein wird.

Sie haben seit drei Jahren keine Einnahmen. Überleben Sie derzeit nur dank der Partnerschaft mit Katar?

Ja. Aber es muss klar und deutlich gesagt werden: Wenn wir 2023 nicht mit dem Genfer Autosalon zurückkehren können, wird das Abenteuer vorbei sein. Diese Partnerschaft erlaubt es uns nicht, mehrere Jahre ohne Salon zu leben.

Die Auto Zürich konnte trotz der schwierigen Umstände stattfinden. Hat Sie dies zu Über­legungen für das Format in Genf inspiriert?

Es war nicht die Auto Zürich, die uns inspiriert hat. Diese Veranstaltung erfüllt lokale Bedürfnisse und bestätigte damit ihren Stellenwert. Die Ambition der Stiftung, die den Genfer Autosalon organisiert, besteht darin, einen internationalen Event auf die Beine zu stellen. Die Dimensionen, die Form und der Inhalt müssen sich allerdings entwickeln, denn die Marken erwarten heute etwas anderes.

Welche Veranstaltung hat Sie also inspiriert?

Die Consumer Electronic Show finde ich sehr inspirierend. Den Organisatoren ist es gelungen, ­einen festen Platz zu finden, indem sie sie als Innova­tionsmesse positioniert haben. Ich fand auch das Feedback zur Uhrenmesse in Dubai sehr interessant. Es ist gelungen, einen Event zu organisieren, der sowohl die Endkunden als auch die Fachleute erreicht. 

So wie 2020 geplant, soll es auch 2023 am Autosalon eine Indoor-Teststrecke für Elektrofahrzeuge geben.

Hatte die GIMS diesen Mix nicht bereits mit der Halle 7 für die Zubehör- und Zuliefererbranche gefunden?

(überlegt) Daran habe ich nicht gedacht. Man könnte sich vielmehr fragen, ob der Genfer Autosalon eine Veranstaltung nur für die Medien und für Fachleute sein sollte. Es ist fraglich, ob die Publikumstage weiter beibehalten werden sollen. Dubai hat – in einer anderen Branche – eine Lösung gefunden, die beides mit grossem Erfolg kombiniert hat.

Die CES, die Consumer Electronic Show, vereint Akteure aus der Automobil- und der Elektronikwelt. Muss sich die GIMS vermehrt auch für Aussteller ausserhalb der Automobilwelt öffnen?

Ja, ganz klar! Der Genfer Autosalon von 2023 wird ein Event sein, der die traditionellen Akteure der Automobilbranche und die Akteure ihres Ökosystems miteinander verbinden wird. Man muss es schaffen, beides zu vereinen. Der Salon von 2023 muss die Realität der Automobilbranche von heute und morgen abbilden.

Muss die GIMS also zu einer CES Genf werden?

Nein, denn das Rückgrat der CES ist die Innovation, von der Waschmaschine bis zum Auto. Unser Fokus bleibt das Automobil, aber wir integrieren die neuen Akteure dieser Branche.

Die IAA in München kombinierte Hersteller und Zulieferer. Sie hinterliess aber einen chaotischen Eindruck und stiess auf viel Kritik. Ist das nicht eher ein Modell, das es zu vermeiden gilt?

Ich bewundere die IAA, denn die Organisatoren haben es gewagt, sich neu zu positionieren. Das erfordert viel Mut. Ich denke dennoch, dass man darauf achten sollte, eine Konsistenz innerhalb der Veranstaltung zu wahren. Eine Mobilitätsmesse, wie es die IAA war, beantwortet nicht wirklich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den verschiedenen Akteuren. Es ist wichtig, einen stimmigen Mix zu haben, der den Fachbesuchern oder der breiten Öffentlichkeit eine Geschichte erzählt.

Das heisst, der Fokus von Genf wird weiterhin auf dem Auto liegen?

Ja. Aber das bedeutet nicht, dass wir nur noch Autos sehen werden. Und damit meine ich nicht, dass   wir Trottinette und Elektrovelos zeigen werden, sondern Innovationen und neue Technologien.

Die IAA in München wurde von den deutschen Herstellern unterstützt, der Pariser Autosalon wird von Stellantis getragen. Hat sich die Unabhängigkeit von Genf, die lange als ihre grösste Stärke galt, jetzt zum Nachteil gewendet?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich denke, dass diese Unabhängigkeit immer noch eine Stärke ist, aber es stimmt, dass der Pariser Autosalon und die IAA von auf Grund Unterstützung von lokalen Wirtschaftsakteuren erhalten. Wir hingegen beginnen bei null und haben keinerlei Unterstützung oder Teilnahmegarantie. Aber die Tatsache, dass wir alle Hersteller gleich behandeln, egal ob aus China oder aus Frankreich, bleibt ein grosser Vorteil.

Hat der Salon in Doha paradoxerweise bessere Chancen zu überleben als der Salon in Genf?

Doha wird ein ganz neuer Event sein, mit einem grossen Vorteil hinsichtlich Infrastruktur: Die Formel-1-Strecke kann für Testfahrten genutzt werden, und die Wüste steht für weitere Tests zur Verfügung. Unsere Ansprechpartner in Doha haben ziemlich grosse Ambitionen und wollen den Salon auf internationaler Ebene zu einer Pflichtveranstaltung machen.

Könnte die Genfer Politik Ihnen auch einige Erleichterungen anbieten, zum Beispiel indem Strassen für Testfahrten gesperrt werden?

Ich nehme jede Art von Hilfe sehr gern an. Wenn sie die Hotelpreise beeinflussen könnten, wäre ich natürlich dankbar. Für die Autotests planen wir wieder einer Indoorstrecke, wie sie schon 2020 vorgesehen war. 

Sollte die Politik die Explosion der Hotelpreise während des Autosalons verbieten?

Nein, ich bin kein Befürworter von noch mehr neuen Gesetzen, welche den freien Markt verzerren. Ich denke, dass es wichtig ist, dass wir eng mit den Hoteliers zusammenarbeiten, denn es ist für alle von Vorteil, wenn der Salon in Genf bleibt. Ich würde eher an den gesunden Menschenverstand appellieren, denn wir sitzen alle im selben Boot.

Worunter leidet Genf am meisten? Unter den erschwerten Bedingungen für Messen und dem Desinteresse der Aussteller oder unter den Auswirkungen der Absage von 2020?

Ich denke, dass es eine Mischung daraus ist. 2020 hat Spuren hinterlassen, ganz klar. Das war ein traumatisches Ereignis. Aber am Ende leiden wir  unter denselben Problemen wie die anderen Messen auch: Ihr Nutzen ist infrage gestellt. Dass wir seit drei Jahren abwesend sind, ist natürlich auch nicht gerade hilfreich.

Fühlen Sie sich von den Ausstellern im Stich gelassen?

Ich denke nicht, dass die Rolle der Aussteller darin besteht, den Genfer Autosalon zu retten. Es liegt an uns, Lösungen zu finden. Die Stiftung des Genfer Autosalons wurde für die Automobilbranche gegründet, und wir stehen ihr zu Diensten. Wenn unsere Plattform nicht mehr als nützlich für die Branche erachtet wird, sollte dies zur Kenntnis genommen werden. Die Marken haben andere Probleme, als Salons zu retten. Es liegt an uns, diese Plattform zu entwickeln und die Marken davon zu überzeugen, zurückzukommen. Ganz klar: Der Ball liegt bei uns.

Sind Sie eher Fatalist oder Optimist, was die Zukunft betrifft?

Ich bin von Natur aus Optimist, aber ich sehe auch die Herausforderungen. Seit meinem Amtsantritt musste ich mich mit vielen Hindernissen auseinandersetzen. Ich setze alle erforderliche Energie dafür ein, bin mir aber bewusst, dass es für nichts ­eine Erfolgsgarantie gibt. Wir glauben jedoch daran und werden bis zum Schluss kämpfen. Wir kennen die Frist.

Zur Person

Sandro Mesquita, 1975 in Orbe VD geboren, begann seine Laufbahn bei der Swisscom, wo er bis 2000 arbeitete. Im darauffolgenden Jahr wurde er Marketingleiter von Romandie Energie, zwischen 2007 und 2012 war er in gleicher Funktion bei Alpiq tätig. Er wechselte 2013 zu Publicis, wo er ab 2018 Geschäftsführer war. 2020 übernahm er die Position des General-direktors der Geneva International Motor Show.

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