Schöner offen

Das Cabriolet von Hebmüller gilt als Blaue Mauritius unter den VW. Aber ist es deswegen unantastbar? Nicht unbedingt.

Nur 696 Exemplare des 2+2-sitzigen Cabriolets haben die Werkstatt von Hebmüller – und einige wenige die von Karmann – zwischen 1949 und 1950 verlassen. Eines davon ist heute im Besitz von Roman Haltiner. Von allen offiziellen VW-Modellen ist der Heb nicht nur eines der seltensten, sondern auch eines der formschönsten. Die Fangemeinde ist gross, jene der Besitzer hingegen eher überschaubar, etwa 130 Wagen sind im Register vermerkt, darunter allerdings auch solche, die als verschollen gelten. Roman Haltiner hat sein Exemplar von seinem Vater übernommen, der sich die Rarität bereits vor Jahrzehnten zur Seite gestellt hatte. Damals war schon klar, dass ein Hebmüller einem nicht alle Tage begegnen würde, aber in den 1970er-Jahren schien sich die Welt kaum für Cabriolets zu interessieren. Da stellte auch ein löchriges Faltdach kaum mehr als eine unnötige Komplikation für etwas dar, das nicht mehr als Liebhaberstück, sondern vielmehr als wenig spektakulärer VW Käfer galt. Der Wagen sollte denn auch nicht zum Eigengebrauch dienen, sondern war für einen Freund gedacht. Dieser hatte ein nicht zu teures Auto gesucht, was in den 1970er-Jahren einige Hundert Franken bedeutete für etwas, das noch einige Jahre leidlich fahren würde. Doch der Vater blieb auf dem Auto sitzen, der Freund mochte den Käfer nicht kaufen, weil ihm der Aufwand, das marode Auto wieder herzurichten, zu hoch erschien. Aus damaliger Sicht war dies wohl ein vernünftiger Entscheid. Mit seinen 24.5 PS schien der 1950er-VW in den 1970er-Jahren gewiss auch zu lahm. Selbst der damals aktuelle 1303 mit der doppelten Leistung galt nicht als Rakete.

Die Schweiz, finanzstark und seit jeher den besser ausgestatteten Modellen zugeneigt, schien ein guter Markt für den ab 1949 nur für kurze Zeit gebauten Volkswagen Typ 14A gewesen zu sein. 1948 hatte der neue VW-Direktor Heinrich Nordhoff sowohl Karmann in Osnabrück wie auch Hebmüller in Wülfrath den Auftrag zum Bau von offenen Volkswagen erteilt. Bei Karmann war dies ein vollwertiger Vier- bis Fünfplätzer mit aussenliegendem, herunterklappbarem Verdeck. Hebmüller aber zeigte eine 2+2-Sitzer-Version mit einer knappen Stoffmütze, die sich hinter den Notsitzen versenken liess. Der lange Rücken sorgte für eine besonders schnittige Form des Käfer-Topmodells. Allerdings ging das Karosseriewerk von Hebmüller am 23. Juli 1949 in Flammen auf. Der Vertrag mit Volkswagen, in dem Nordhoff die Abnahme von 2000 Exemplaren zusicherte, konnte nicht erfüllt werden. Zwar startete die Produktion bald wieder, doch Hebmüller war schlecht versichert, übernahm sich beim Wiederaufbau und musste 1952 Konkurs anmelden. Karmann stellte in Osna­brück das letzte Dutzend Hebmüller aus Restteilen fertig, danach gab es offiziell nur noch deren eigene offene Käfer zu kaufen. Sinnigerweise wurde dieses Käfer-Cabriolet mit 330 281 Exemplaren Weltrekordhalter dieser Fahrzeuggattung.

Aus dem Dornröschenschlaf geholt

Der VW 14A von Roman Haltiner trägt die Karosserienummer 1 400 635 und stand 1950 bei der Amag zur Auslieferung bereit. Zum Preis von 8500 Franken gab es zuallererst die bereits damals sprichwörtliche Zuverlässigkeit des Käfers, aber dazu eine Aura von Luxus. Ab Werk war der Hebmüller zweifarbig lackiert. Technisch gesehen basierte er auf dem De-Luxe-Modell, wie der Export-Käfer hierzulande hiess, und verfügte damit über ein unsynchronisiertes Getriebe sowie mechanische Bremsen. Das Armaturenbrett zierten wie bei der über 2300 Franken günstigeren De-Luxe-Limousine elfenbeinfarbene Schalter und ein Zweispeichenlenkrad. Ein wirklicher Nachteil nebst dem saftigen Aufpreis waren die hinteren Notsitze des damals sportlichsten aller Volkswagen. Richtig: sportlich! Aus heutiger Sicht mag angesichts von etwa 55 Sekunden für die Beschleunigung von 0 bis 100 km/h und einer Höchstgeschwindigkeit von knapp 105 km/h kaum jemand daran denken. 1949/50 allerdings attestierte man dem VW diesbezüglich durchaus gewisse Qualitäten. VW-Fahrer – beim Hebmüller auch verhältnismässig viele Fahrerinnen – galten Ende der 1940er-Jahre als sehr rasante Piloten und Pilotinnen. Das lag einerseits am Fahrzeuggewicht von unter 800 Kilogramm, andererseits am damals noch hochmodernen Fahrwerk mit Schwingachsen und dem vollgasfesten Motor. Zudem war der Hebmüller trotz seiner schnittigen Form kein spartanischer Roadster wie etwa der hierzulande damals sehr beliebte MG TD für 7850 Franken. Der Hebmüller war ein gepflegtes Reisecabriolet mit regendichtem Dach, serienmässiger Heizung und – damals noch kaum üblich – vorbereitet für den Einbau eines Radios. Zudem war das Verdeck gefüttert, und seitliche Kurbelscheiben sorgten für Coupégefühle.

Vintage-Speed

All dies beschäftigte Roman Haltiner kaum, als er seinen Vater überzeugen konnte, ihm den Wagen für eine Vollrestauration zu überlassen. «Die untersten 20 Zentimeter sind quasi neu», sagt der Mitarbeiter des VW-Teilespezialisten Cagero in Birr AG. Für Haltiner war klar, dass er sich am Originalzustand orientieren würde, um danach dem Auto sein ganz eigenes Gepräge zu verleihen. Der Hebmüller sollte sich am Ende so präsentieren, wie wenn er als Neuwagen zu dem gemacht worden wäre, was er heute darstellt. «Die Idee war, den Hebmüller zeitgenössisch zu präparieren, das heisst, der Motorblock entspricht dem Zustand, wie ihn Porsche verwendet hat, die Okrasa-Zylinderköpfe sind so, wie sie von Oettinger zu haben waren. Auch die beiden Solex 40 PBIC stammen aus der Zeit und wurden genauso von Porsche verbaut. Der Heb ist nach altem Muster und Können präpariert. Einfach einen neuen, verbesserten Motor einzubauen, wäre für so ein Auto viel zu schade», erläutert der Besitzer. Dazu zählt etwa die Tieferlegung, «sie ist reversibel, die Originalteile habe ich zur Seite gelegt», erklärt Roman Haltiner. Aktuell aber hat der VW- und Porsche-Enthusiast seinen Hebmüller so aufgebaut, wie er ihm gefällt. Wirklich angefeindet wird er darum nie, im Gegenteil. Gerade bei jüngeren VW-Fans gelten selbst Modifikationen an einem Uralt-Käfer nicht als Tabubruch. Dafür ist die Szene auch die mit Abstand jüngste im Oldtimerumfeld. Und sie ist tolerant. Das scheint ihr zu helfen, Nachwuchssorgen sind hier kaum zu befürchten.

Kein Museumsstück

Es wundert kaum und lässt sich ganz einfach auf den Punkt bringen: Auch ein Hebmüller fährt sich wie ein VW-Käfer. Mit einem Unterschied zu manch anderem, zeitgenössischen Auto: Die Grenzen zwischen dem realen Alter, in diesem Fall also 72 Jahren, und wie sich das tatsächlich anfühlt, verwischen. Die Geräuschkulisse im luftgekühlten Auto war nie besonders dezent oder kultiviert, der Motor ist stets präsent, das Knurren aber hat etwas Beruhigendes. Und wenn, wie bei diesem Exemplar, die Gemischaufbereitung mit zwei Vergasern heutigen Verhältnissen nähergebracht wurde, um nicht zu sagen, der Motor frisiert wurde, dann beherrscht dieser vom gemütlichen Brummen bis zum heiseren Bellen noch einige Töne mehr als ein Standardmotor.

Was immer man davon halten mag, dieser VW ist von Grund auf nach allen Regeln der Kunst überholt worden. Der Besitzer ist gar so weit gegangen, dass er manche Teile wie die Gummilippen für die Kurbelfenster hat nachfertigen lassen. Denn es ist klar, dass Hebmüller-spezifische Teile schlicht nicht zu finden sind. Allerdings gilt dies auch für andere frühe Volkswagen. «Der Teufel steckt buchstäblich im Detail, vieles lässt sich auch von späteren Jahrgängen verwenden, und bei Reparaturen hat man sich damals halt aus dem Teileregal bedient oder gar die Originalsubstanz an ein neueres Teil angepasst. Zu erkennen, was genau korrekt ist für den Jahrgang und was nicht, verlangt nach einer guten Kenntnis der Materie», erklärt der VW-Fahrer. Abgesehen von den sicht- oder spürbaren Veränderungen hat Haltiner gros­sen Wert auf jahrganggerechte Teile oder zeitgenössisches Zubehör gelegt. Dazu gehören das Petri-Lenkrad mit Federspeichen oder die Abdeckungen der beiden Handschuhfächer beidseits der Armaturentafel. Die Sitze sind ebenfalls original und von einem der besten Sattler in der Szene neu aufgebaut worden.

Wer dem auffälligen Käfer folgt, merkt bald, dass dieser Heb, wie er von Bewunderern genannt wird, kein verhätscheltes Museumsstück ist. Er wird gefahren. Denn trotz mittlerweile sechsstelligen Preisen, die für einen gut erhaltenen Hebmüller bezahlt werden, bedeutet ihn zu fahren denselben Aufwand wie jeder andere Käfer auch: Die Preise für Teile sind moderat, deren Auswahl ist gross und die Technik generell zäh und zuverlässig.

International vernetzt

Die Besitzer der verbliebenen Hebmüller sind gut vernetzt, das entsprechende Register erlaubt es, sich ein Bild der jeweiligen Fahrzeuge zu machen. Natürlich mag die Versuchung gross sein, ein entsprechendes Auto nachzubauen. Andererseits sind – gerade wegen des Registers – viele Exemplare bestens dokumentiert. Wird ein Hebmüller angeboten, bietet das Verzeichnis eine erste Übersicht, für den Fall der Fälle lohnt es sich hier ganz besonders, einen Spezialisten hinzuziehen, wenn ein bisher nicht bekannter Wagen aus dem Nichts auftaucht. Funde gibt es allerdings noch immer, vor wenigen Jahren gelangten die ausgebrannten Reste ­eines Hebmüller, die von Brombeerstauden überwuchert in einem Walliser Seitental lagen, nach Hessisch Oldendorf (D) zu Roman Haltiners Sattler. Hier findet eines der weltweit wichtigsten Veranstaltungen für Uralt-VWs statt. Nur alle vier Jahre treffen sich dort rund 750 Fahrzeuge, Käfer bis 1957, VW Busse und Derivate bis 1967. Mit Teilnehmern aus aller Welt, von den USA bis Indonesien und Japan, ist dies die grösste Versammlung von Hebmüller-Käfern überhaupt mit gegen 20 Wagen. Heuer findet HO22 – für Hessisch Oldendorf 2022 – von 24. bis 26. Juni statt. Offiziell ist das Treffen bereits ausgebucht, die Gassen des malerischen Ortes lassen gar nicht mehr Fahr-
zeuge zu.

Grundsatzfragen

Restomods sind umstritten, in den USA beispielsweise aber sind die Berührungsängste viel geringer. Neue Motoren in alten Chassis, komplett umgestaltete Interieurs, um sich das Auto nach Wunsch zu bauen – die Meinungen dazu sind hierzulande geteilt. Was richtig ist oder falsch, lässt sich aber relativ einfach beantworten: Es ist alles eine Frage der Deklaration. Im Falle dieses Autos ist die Herkunft bekannt, der Originalzustand kann jederzeit wieder hergestellt werden, strukturell wurde an diesem Wagen nichts verändert, keine Originalsubstanz zugunsten irgendeiner Änderung in Mitleidenschaft gezogen. Aber der Wagen ist ein Türöffner und Ausdruck für eine Generation, die gewisse Dinge etwas entspannter angeht. Zudem sollte man nicht vergessen, dass längst nicht so viele klassische Roadster mit Speichenrädern ihr Leben so begonnen haben, wie sie uns heute begegnen. Und es fällt uns heute deutlich schwerer, gewisse Farbtöne aus der Vergangenheit auf eine soeben frisch gespenglerte Karosserie spritzen zu lassen, etwa Rosso Etrusco auf einen Fiat 124 Spider – Altrosa! Dabei ist erstaunlich, wie viele Wagen damals in Mausgrau bestellt wurden und heute in den beliebtesten Oldtimerfarben Rot, Blau und Weiss leuchten. Der Hebmüller übrigens trägt das originale Farbschema, und das passt hervorragend zu diesem seltenen Automobil.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.