Manche mögen Machtdemonstrationen mit Zurschaustellung von hervortretenden Muskeln, auch wenn sie sich gelegentlich als heisse Luft entpuppen. Andere, die vielleicht selbstbewusster sind, bevorzugen es, unter einem unauffälligen Prunk eine kolossale Kraft zu verbergen. Das ist der Ansatz, den Maserati für seinen stürmischsten Ghibli, den Trofeo, gewählt hat: Wo andere Limousinen die Konkurrenz einzuschüchtern versuchen, setzt der Italiener auf Eleganz mit einem Hauch von Aggressivität. Die neu gestaltete Stossstange weist keine unnötigen Vorsprünge auf, einzig eine Karbonlippe schärft die Frontpartie. Der riesige Kühlergrill sieht zwar aus wie ein klaffendes Maul mit schwarzen Fangzähnen, Übertreibung wird aber auch hier vermieden. Dasselbe gilt für das Heck, das noch nicht einmal den Hauch eines Spoilers aufweist, sondern bloss einen Karbonluftauslass zwischen den vier Endrohren. In Wirklichkeit sind die rot hervorgehobenen seitlichen Luftauslässe und die Einschnitte in der Motorhaube, über die das Monster atmet, die markanteste Kriegsbemalung des Trofeo. Den V8-Biturbo hat er vom Quattroporte GTS geerbt – es ist das erste Mal seit seiner Einführung im Jahr 2013, dass der Ghibli die Ehre hat, einen V8 zu bekommen.
Made in Maranello
Es handelt sich jedoch nicht um irgendeinen V8. Der 3.8-Liter der Trofeo-Serie, zu der auch der Quattroporte und der Levante gehören, ist ein Cousin des 3.9-Liter des Ferrari 488, F8 Tributo und GTC4 Lusso T. Er gehört zur F154-Familie und stammt aus denselben Giessereien in Maranello. Um nicht die Majestät zu beleidigen, hält er mit seiner Leistung – 427 kW (580 PS) bei 6750 U/min – einen respektablen Abstand zu Ferrari. Zwischen dem GTC4 Lusso T und dem Maserati liegen 30 PS. Das Drehmoment beträgt 730 Nm im Vergleich zu den 760 Nm des Ferrari-Viersitzers.
Trotz dieser hierarchischen Einschränkungen wirkt der Ghibli nicht untermotorisiert. Ganz und gar nicht. Der Dreizack verspricht eine Höchstgeschwindigkeit von 326 km/h, die ihn zur schnellsten Maserati-Limousine aller Zeiten macht, und eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 4.3 Sekunden. Dies konnten wir mit unserer Messung allerdings nicht bestätigen, wir schafften auf einer sehr nassen Piste bloss 5.2 Sekunden Diese Präzision gewinnt beim Ghibli Trofeo noch mehr an Bedeutung, denn die Limousine schickt seine Kraft nur an die Hinterräder. Die Winterpneus, ein weiterer ungünstiger Faktor, hatten deshalb alle Mühe, dieses überschäumende Temperament auf die Strasse zu übertragen. Vor allem bei 2250 U/min, wenn die 730 Nm zum Einsatz kommen, wird es schwierig, den Trofeo im Zaum zu halten: Durchdrehende Räder, Seitwärtsbewegungen, Ausbrecher – und die Hinterachse wird oft vom wütenden Sturm des V8-Biturbos mitgerissen. Ist der Sturm vorbei, setzt der Trofeo zu einem lineareren, aber unerbittlichen Steigerungslauf an, der vom Fauchen des V8-Motors geprägt ist. Die Heftigkeit des Schubs hat sich zu diesem Zeitpunkt beruhigt, aber die Geschwindigkeitszunahme bleibt beeindruckend, der Tacho zeigt sehr bald Geschwindigkeiten an, die nur noch auf der deutschen Autobahn legal sind. Auf (geraden) Schnellstrassen zeigt sich der Ghibli von seiner besten Seite, die Schalldämmung und der Komfort seiner Radaufhängungen machen ihn zur hervorragenden Reiselimousine.
In den Bergen zeigt sich der Maserati hingegen schnell überfordert mit seinem Gewicht von über zwei Tonnen und dem stürmischen V8. Die Hinterachse stellt sich schnell quer, da die Ingenieure – Standard bei der Limousine – das Fahrwerk nicht übermässig straffen konnten, um die Wutausbrüche des V8 in Schach zu halten. Besser, man behandelt ihn am Kurvenausgang nicht zu brüsk, ist mit dem rechten Fuss feinfühlig und umklammert das (zu) grosse Lenkrad fest mit beiden Händen.
Man könnte meinen, dass diese Ausbrüche amüsant sein könnten und dass dieser überbordende Charakter angesichts der allzu grossen Berechenbarkeit der deutschen Limousinen sogar erfrischend sei. All das ist wahr, sofern es gewollt ist. Im Fall des Ghibli Trofeo scheint dieses stürmische Temperament eher auf die Kombination eines zu starken Motors mit einer in die Jahre gekommenen Plattform als auf ein von Beginn weg angestrebtes Ergebnis zurückzuführen zu sein. Der Soundtrack, den der V8 liefert, hat hingegen nichts Anachronistisches. Die rauen und metallischen Noten des 3.8-Liters werden die Insassen begeistern, auch wenn sie dezenter sind, als man meinen könnte. Schliesslich befinden wir uns nicht in einem Zweisitzer-Coupé von Ferrari, sondern in einer Limousine für CEOs – ein Publikum, das eher an Opernhäuser als an Heavy-Metal-Konzerte gewöhnt ist.
Klassik und Hardrock
Eine klassische Optik lässt sich auch im Innenraum finden, wo Maserati zu Recht am Konservatismus festhält. Man denke an das gute alte Armaturenbrett mit Zeigern oder an die analoge Uhr, die ganz oben auf der Mittelkonsole thront. Das Armaturenbrett ist mit feinstem Leder bezogen und kaschiert sein massives Aussehen mit sanft gearbeitetem Volumen. Inmitten dieses edlen Ambientes wirken einige Kunststoffe wie am Blinkerhebel oder am Startknopf wie alter Kaugummi, der unter einem massiven Nussbaumtisch klebt. Selbst der mit Karbon ausgekleidete Mitteltunnel könnte einem Graffiti an den Wänden einer VIP-Loge in einem Opernhaus ähneln. Für Maserati ist es jedoch eine Art und Weise, uns daran zu erinnern, dass die verstorbene Montserrat Caballé jederzeit von Mick Jagger von der Bühne geworfen werden kann, sobald der V8 seine Stimme erhebt.
Trotz dieser klassischen Umgebung hat der Dreizack die Moderne nicht vernachlässigt. Unter den wenigen Fahrassistenten ist der aktive Spurhalteassistent hervorzuheben, der einen akzeptablen Kompromiss zwischen Eingreifen und Machen-Lassen findet. Der unverzichtbare Infotainmentbildschirm ist dank des fehlenden Randes elegant in die Mittelkonsole eingelassen. Die Reaktionszeit und die Menüstruktur könnten noch ein paar Verbesserungen vertragen, zum Beispiel sind zu viele Schritte nötig, um die Sitzheizung einzuschalten. Es gibt ausserdem keine Massagefunktion und kein Head-up-Display, die beide auf langen Fahrten sehr nützlich sein können. Diese Mängel sind verzeihbar. Was bei einer Reiselimousine allerdings weniger verzeihlich ist, ist das geringe Platzangebot im Fond: Es ist für Passagiere mit einer Körpergrösse von 1.8 Metern ausreichend, grössere werden sich aber schnell eingeengt fühlen. Der Kofferraum, der 500 Liter schluckt, ist dagegen mit dem deutscher Rivalen vergleichbar. Diese werden sich dem Ghibli Trofeo in jeder (oder fast jeder) Hinsicht – Modernität, Komfort, Fahrverhalten – als überlegen erweisen. Nur durch das überbordende Temperament seines fabelhaften V8-Motors rechtfertigt der Italiener seinen Kauf. Es passt zu allen, die sich von der Masse der deutschen Limousinen abheben wollen und sich eine romantische Vorstellung von Autos bewahrt haben.
Testergebnis
Gesamtnote 75,5/100
Antrieb
Der Ferrari-Motor ist der Hauptgrund für den Kauf des Ghibli Trofeo. Das gut abgestufte Achtgang-Getriebe arbeitet sanft und ausreichend schnell.
Fahrwerk
Das alternde Fahrwerk scheint mit dem Drehmomentsturm oft überfordert zu sein. Da es sich um eine Limousine handelt, konnten die Ingenieure das Fahrwerk nicht übermässig straffen. Der Komfort bleibt erhalten.
Innenraum
Das Cockpit bezaubert durch die klassische Anmutung. Gemessen aber am kaum vorhandenen Angebot moderner Gadgets und am Platzangebot, enttäuscht das Interieur. Die Geräuschdämmung ist auf hohem Niveau.
Sicherheit
Der Ghibli hinkt bei der Anzahl der Fahrhilfen hinterher, was aber vorhanden ist, funktioniert gut. Die Bremsleistung ist etwas enttäuschend.
Budget
Über 150 000 Franken kostet der Trofeo. Das ist viel mehr als bei den deutschen Rivalen, die dem Ghibli in jeder Hinsicht überlegen sind, ausser vielleicht bei der Exklusivität.
Fazit
Rational gesehen gibt es beinahe keinen Grund, sich für den Maserati Ghibli Trofeo zu entscheiden. Seine veraltete Architektur und das dürftige Angebot an moderner Sicherheitstechnik werden zu einem exorbitanten Preis verkauft. Wenn man allerdings auf sein Herz und vor allem das des Ghibli – den V8-Motor von Ferrari – hört, dann ist es durchaus berechtigt, dem Charme des betörenden Italieners zu erliegen.
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