Sie sind eines der meistdiskutierten automobilen Stilelemente der jüngsten Vergangenheit. Die Rede ist von den langsam in allen BMW-Modellreihen auftauchenden, neu gestalteten Nieren im Kühlergrill. In ihrer jüngsten Ausführung nehmen sie die gesamte Höhe der Front ein. Zugegeben: Den meisten Redaktoren bei der AUTOMOBIL REVUE gefiel die Frontgestaltung dieses Cabriolet der 4er-Reihe nicht auf Anhieb. Allerdings glauben die meisten von ihnen, dass man sich rasch an das Design gewöhne. Vereinzelte Stimmen sehen gar ein Echo der Markengeschichte: Der 328 von 1936 war bereits für seine überdimensionierten Nasenlöcher bekannt.
Der Kühlergrill ist nicht die einzige Verbeugung vor der Vergangenheit. Das 4er-Cabrio von 2020 wendet sich zudem vom faltbaren Hardtop ab und setzt wieder auf das gute alte Stoffverdeck. Alt ist allerdings nur im übertragenen Sinn gemeint, denn die Dachkonstruktion des Bayern ist alles andere als aus einem einfachen Stück Zeltstoff. Das Werk verspricht dank mehrerer Textilschichten eine Geräuschisolierung auf der Höhe eines Metalldaches. Gemäss unseren Wahrnehmungen, vor allem aber auch nach dem Einsatz des Schallpegelmessgerätes, können wir BMW recht geben: Mit 68 Dezibel (A) bei 120 km/h, sogar auf nasser Fahrbahn gemessen, gibt sich das geschlossene Cabrio flüsterleise. Genauso wichtig scheint uns die Frage, wie viel Gewicht die Bayern mit dem neuen Dach eingespart haben – gemäss den technischen Daten bringt der 430i allerdings fünf Kilogramm mehr auf die Waage als sein Vorgänger mit faltbarem Blechdach (1715 kg statt 1710 kg).
Grösser, nicht geräumiger
Wiegen die Textilien im süddeutschen Freistaat etwa mehr als Stahl? Natürlich nicht. BMW besteht darauf, dass das Softtop um 40 Prozent leichter ausfalle als das faltbare Metalldach. Allerdings bietet das moderne Cabriolet zusätzlich eine ganze Menge elektrischer Heinzelmännchen, beispielsweise um von plötzlichem Regen nicht überrascht zu werden: Die Insassen sind der Nässe nur für 18 Sekunden ausgesetzt, so schnell ist der Deckel drauf. Anhalten ist auch nicht nötig, die Dachverwandlung kann bei Tempi bis 50 km/h erfolgen.
Die Extrapfunde des BMW-4ers der Baureihe G22 (interne Kodierung) stammen zudem vom deutlichen Wachstum der jüngsten Generation: Mit 4.77 Metern Länge streckt er sich 13 Zentimeter weiter als sein Vorgänger. Auch der Radstand wächst, aber in bescheidenerem Ausmass auf 2.85 Meter (+4 cm). Langbeinige Fondpassagiere sollten keine Freudensprünge machen, das Platzangebot ändert sich kaum. Am ehesten schlagen sich die zusätzlichen Zentimeter im Kofferraum nieder, der bei geschlossenem Dach 385 Liter fasst.
Die besten Plätze sind im 4er-Cabrio natürlich ganz vorne. Die Bewegungsfreiheit ist nochmals verbessert, die Sitze verwöhnen die Augen, das Sitzfleisch und den Nacken. Auf Knopfdruck blasen sie den Insassen in drei Windstärken ein warmes Lüftchen an den Hinterkopf. Der Airscarf lässt zu jeder Jahreszeit, selbst bei einstelligen Temperaturen, das Fahren oben ohne zu. Fahrer jeder Körpergrösse finden schnell eine ausgezeichnete Sitzposition. Die Insassen werden die tadellose Verarbeitung und die fast ausnahmslos noblen Materialien zu schätzen wissen. Für ein Modell mit einem Einstandspreis von 62 100 Franken ist lediglich der billige Kunststoff der Mitteltunnelverkleidung schwer zu rechtfertigen.
Fast tadellose Bedienung
Über alle Kritik erhaben ist die Ergonomie des BMW. Nach wie vor lassen sich die Innenraumgestalter nicht vom Lobgesang der universellen Digitalisierung verführen und geben dem Besitzer die Wahl, ob er das Infotainment per Touchscreen oder über den Dreh-Drück-Knopf in der Mittelkonsole ansteuern will. Die Münchner hätten sich sogar noch Bonuspunkte verdienen können, wenn sie einige physische Schnellwahltasten rund um den Bildschirm angebracht hätten.
Überhaupt haben die Verantwortlichen in Bayern begriffen, dass weniger oft mehr sein kann. Das Armaturenbrett ist nicht überladen, und auch die individuellen Einstellungen halten sich im vernünftigen Rahmen. Das schützt vor unnötiger Ablenkung des Fahrers. Dieser kann zwischen mehreren Fahrmodi wählen (Sport, Komfort, Eco Pro), was unterschiedliche Anzeigen generiert. Mehr braucht es nicht. Etwas Kritik verdient allenfalls der Blinkerhebel, der nicht immer selbständig in die Neutralstellung zurückkehrt.
Die Bestnoten betreffen zudem die Fahrhilfen. Bei vielen Konkurrenzmodellen schalten wir nach wenigen Sekunden am Steuer etwa die Spurhaltehilfe ab, wenn diese übereifrig ins Geschehen eingreift. Nicht so beim BMW-System. Es wirkt subtil und kaum wahrnehmbar, hält den Wagen aber immer überzeugend in der Spurmitte. Derzeit ist das vielleicht die beste Abstimmung in der ganzen Autobranche. Nur der adaptive Tempomat war für eine Schrecksekunde verantwortlich, als wir eine plötzliche Stausituation auf der Autobahn nicht gleich erkannten und auch das System etwas lange wartete, bis es die Bremsung einleitete.
Viel Temperament für einen Vierzylinder
Sobald die Strecke wieder frei war, konnte der Zweiliter-Turbo seine vielen Tugenden unter Beweis stellen. Wir waren von seinem spontanen Ansprechen angetan – ein Turboloch kennt er nicht –, aber auch von seinem Durchzug: Der bullige Vierzylinder lässt zwischen 1500 und 4400 U/min immer mindestens 400 Nm Drehmoment auf die Kurbelwelle los. Der Vorwärtsdrang lässt auch bis 6500 U/min, wenn die Spitzenleistung von 258 PS anfällt, kaum nach. Dieser Vorzeigemotor glänzt im Alltag in jeder Lage. Er läuft sanft, spricht augenblicklich an und vermittelt vor allem für einen Vierzylinder viel Souveränität. Den Sprint von 0 auf 100 km/h erledigte der offene 430i mit Hinterradantrieb selbst auf nasser Fahrbahn in 6.7 Sekunden (Werksangabe 6.4 s). Beim Verbrauch auf unserer AR-Normrunde überzeugte der Testwagen mit 6.6 l/100 km. Das ist angesichts der sportlichen Fahrleistungen ein sehr guter Wert. Die Achtgang-Automatik von ZF ist gut untersetzt und gefällt mit erstaunlich schnellen und sanften Gangwechseln.
Bei so viel Lob müssten wir diesem Antriebsstrang doch eigentlich Medaillen verteilen. Was hält uns also zurück? So gut der Vierzylinder-Turbo auch ist, er wird doch vom Reihen-Sechser überflügelt, den BMW den Topmodellen (440i und M4) vorbehält. Das Herz will einfach mehr.
Der künstlich aufgewertete Motorsound aus den Lautsprechern hat sogar etwas Trauriges, vor allem für Autofans, die sich bewusst sind, dass diese Marke nicht zuletzt durch den lyrischen Klang ihrer Motoren zur Elite aufgestiegen ist. Wir trösten uns aber mit den hervorragenden Leistungen dieses Powerteams im Testwagen. Der Kompromiss zwischen Sportlichkeit und Komfort passt uneingeschränkt. Der 430i ist nicht als scharfes Stück für die Rennstrecke gedacht, er überzeugt vielmehr mit viel Fahrspass, bester Ausgewogenheit und einer hervorragenden Lenkung. Unter dem Strich ist das 4er-Cabrio ein in allen Belangen souveränes Auto mit viel Temperament. Seine Stärken wollen aber auch bezahlt werden. Der Testwagen mit Optionen für 30 000 Franken schlug mit fast 100 000 Franken zu Buche.
Testergebnis
Gesamtnote 80.5/100
Antrieb
Der Vierzylinder von BMW hat viele Qualitäten: Er gibt sich flüssig, kraftvoll und gar sparsam, obwohl er 258 PS leistet. Nur an Charakter mangelt es ihm naturgemäss etwas, da die Drehzahlanstiege eher linear sind.
Fahrwerk
Der 430i Cabrio ist gut ausbalanciert und kaschiert sein Gewicht hervorragend. Das Fahrverhalten ist zwar prägnant, aber eher auf entspanntes Fahren ausgerichtet – wie das bei einem Cabrio primär auch sein sollte.
Innenraum
Die Ergonomie ist nahezu makellos und die Verarbeitungsqualität einwandfrei, dennoch enttäuschen einige wenige Materialien. Das Platzangebot auf den Rücksitzen eignet sich höchstens für kleinere Personen.
Sicherheit
Der Bayer zeichnet sich durch hervorragende Bremseigenschaften und Fahrhilfen aus. Selten verhielt sich ein Spurhalteassistent so angenehm.
Budget
Das Dargebotene ist hochklassig, ebenso wie der Preis. Zum Grundpreis von 69 300 Franken kommen noch 30 000 Franken hinzu, will man ein vollausgestattetes Modell erhalten.
Fazit
Mit der Rückkehr zum Stoffverdeck beim 4er-Cabrio macht BMW alles richtig. Vermutlich ebenfalls mit dem neuen Frontdesign. In seiner 430i-Variante erweist sich der 4er als ein in fast jeder Hinsicht ausgereiftes Produkt. Einige könnten einen Mangel an mechanischem Charakter feststellen. Zum Glück gibt es dafür noch den guten alten Sechszylinder.
Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.