«Wir sehen die Elektromobilität nicht als Bedrohung»

In seiner Zeit an der Spitze des AGVS hat Urs Wernli unter anderem den Mechaniker zum Mechatroniker gewandelt und die Abschaffung des Abgastests durchgemacht. Ein Rückblick.

Urs Wernli (70) war seit 2003 Zentralpräsident des Auto Gewerbe Verbands Schweiz (AGVS)und war zuvor in verschiedenen Positionen in der Automobil-Zulieferbranche tätig. Diesen September hat er sein Amt an seinen Nachfolger Thomas Hurter übergeben.

Seit 2003 war Urs Wernli Zentralpräsident des Auto Gewerbe Verbandes der Schweiz (AGVS), diesen Monat gab er die Führung an Thomas Hurter ab. Im Interview mit der AUTOMOBIL REVUE schaut Urs Wernli zurück auf die wichtigsten Momente der vergangenen acht Jahre.

AUTOMOBIL REVUE: Unter Ihrer Führung als Zentralpräsident des AGVS gab es einige markante Ereignisse. Unter anderem haben Sie 2006 den Tag der Garagisten eingeführt. Was hat Sie dazu bewogen?

Urs Wernli: Der Garagist bewegt sich in einem äusserst dynamischen Umfeld. Der Tag der Schweizer Garagisten ist Information, Inspiration und eine Gelegenheit, das persönliche Netzwerk zu pflegen. Die Kommunikation war und ist mir sehr wichtig. An der Tagung können wir gegen innen und vermehrt auch nach aussen kommunizieren. Die Neuausrichtung des Verbandes vom Interessenvertreter der Garagisten zum Verband der Garagisten als Mobilitätsdienstleister voranzubringen, war eines meiner Highlights.

Im Jahr 2006 waren es 150 Teilnehmer, beim Anlass 2020 schon mehr als 800. Was ist das Geheimnis des Erfolgs?

Es ist wohl dieser Mix aus Information, Inspiration und Networking. Wir führen nach jedem Tag der Schweizer Garagisten eine Umfrage durch, mit der wir die Feedbacks der Teilnehmenden einholen. Diese Rückmeldungen fliessen direkt in das Programm der folgenden Tagung ein. Etwas überspitzt könnte man sagen, dass die Teilnehmenden die Themen der folgenden Tagung festlegen. Und anscheinend ist es uns ganz gut gelungen, die Leute nicht zu langweilen.

Eine andere Neuerung war, den Verkäufer und Reparateur zum umfassenden Mobilitätsdienstleister umzuformen. Mit dieser Strategie begann der AGVS in den Jahren 2005/2006. Welcher Gedanke stand dahinter?

Die neuen Technologien und Mobilitätsformen sind eine grosse Herausforderung, aber auch eine sehr grosse Chance. Die Berufsbilder im Autogewerbe haben sich stark gewandelt. Früher lautete die Frage: Benzin oder Diesel? Mit der wachsenden Antriebsvielfalt wird gerade die Beratung ­einer anspruchsvoller werdenden Kundschaft wichtiger. Wer einem Kunden ein elektrifiziertes Auto verkauft, muss sich auch mit der Ladeinfrastruktur auskennen. Dazu kommen neue Mobilitätsformen, beispielsweise Autoabos oder Carsharing. Auch hier wollen unsere 4000 Mitgliederbetriebe die erste Anlaufstelle für die Automobilistinnen und Automobilisten in der Schweiz bleiben. Dieser Prozess wird stetig weitergeführt.

Bemerkenswert war im Weiteren die Einführung des neuen Berufs Automobil-Mechatroniker im Herbst 2007, der den bisherigen Automechaniker ablöste. Wie ist man darauf gekommen?

Auch das hat mit dem technologischen Wandel zu tun. Wir passen die Inhalte unserer Aus- und Weiterbildungen stetig an die heutigen und die künftigen Anforderungen an. Im Terminus Mechatronik stecken die Wörter Mechanik, Elektronik und Informatik. Automobil-Mechatroniker sind in der Lage, komplexe mechanische, elektrische und elektronische Systeme zu diagnostizieren, zu reparieren und zu warten.

Nach der Aufhebung der Abgaswartungspflicht 2013 lancierte der AGVS den Auto-Energie-­Check. Wollte man sich so schadlos halten nach dem Versiegen einer Einnahmequelle?

Der Auto-Energie-Check AEC ist eine Dienstleistung der AGVS-Garagisten in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Energie. Das BFE hat keinerlei Interesse daran, unseren Mitgliedern zu helfen, Umsatz zu generieren. Der AEC ist ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg zum Mobilitätsdienstleister. Wir sind stolz auf diese Partnerschaft im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes. Insgesamt konnten dadurch schon mehr als 120 000 Tonnen CO2 eingespart werden. Gleichzeitig sparen die Automobilistinnen und Automobilisten Geld, weil sie weniger Treibstoff brauchen. Der Garagist kann sich mit dieser Dienstleistung als Berater und Partner der Autobesitzer positionieren. Er überprüft deren Fahrzeuge und stellt diese auf eine möglichst optimale Energieeffizienz ein. Hier geht es um simple, aber wirkungsvolle Massnahmen: Der optimale Reifendruck, energieeffiziente Reifen, das Vermeiden von unnötigem Ballast, um einige Beispiele zu nennen. 

Ein weiterer Meilenstein war der Bezug des Mobilcity-Gebäudes in Bern, in dem die strassenaffinen Verbände unter einem Dach vereint sind. Inwiefern hat sich das als vorteilhaft erwiesen?

Die Mobilcity ist in der Tat ein Meilenstein in der Geschichte des AGVS und seiner Partnerverbände. Damit verfügen wir über moderne Infrastrukturen in der Verwaltung, für Schulungen und Kurse. Mit der gemeinsamen Nutzung dieser Schulungsräume, Werkstätten und dem grosszügigen öffentlichen Restaurant ist es uns gelungen, Synergien zu schaffen. Dazu kommt, dass die kurzen Wege und spontanen informellen Treffen in der Mobilcity das gegenseitige Verständnis und Vertrauen fördern und stärken.

Anno 2017 wurde ein Konzept lanciert, um die Berufe rund um das Auto attraktiver zu machen. Haben sich diese Anstrengungen ausbezahlt?

Das Autogewerbe bietet eine Vielzahl an beruflichen Grundbildungen – technische Berufe, aber auch im Detailhandels- und im kaufmännischen Bereich. Die hohe Qualität der Ausbildungen zeigt sich in regelmässigen Spitzenklassierungen unserer Automobil-Mechatroniker an internationalen Berufsmeisterschaften. Doch im Ringen um geeignete Nachwuchskräfte stehen wir in harter Konkurrenz zu anderen Berufsfeldern. Jedes Jahr entscheiden sich rund 3000 junge Menschen, ­eine berufliche Grundbildung im Autogewerbe zu starten. Diese Zahl ist in den letzten Jahren sehr stabil geblieben – auch dank unseres grossen Engagements.

Setzen sich für die Branche ein: AGVS-Präsident Urs Wernli (r.) und Skilangläufer Dario Cologna.

Oft ist zu hören, dass gerade die besten Fachkräfte nach einiger Zeit in andere, besser bezahlte Branchen wechseln. Konnte dieser Trend gestoppt oder verlangsamt werden?

Von einem Trend würde ich nicht sprechen. Aber es ist eine Tatsache, dass die anerkannte Qualität unserer Aus- und Weiterbildung gleichermassen Fluch und Segen ist. Segen, weil wir über umfassend ausgebildete, motivierte Fachkräfte verfügen. Fluch, weil dies auch andere Branchen wissen. Die Situation ist herausfordernd und wird es bleiben.

Wie steht es mit dem Frauenanteil? Ist der in den vergangenen Jahren gestiegen, oder bleibt das Auto weiterhin eine Männerdomäne?

Von den 3000 Lernenden, die jedes Jahr eine Berufslehre in unserem Gewerbe starten, sind etwa 200 junge Frauen. Dieser Anteil von rund sieben Prozent ist über die letzten Jahre stabil geblieben. Eine Entwicklung stellen wir in leitenden Positionen fest, wo immer mehr Frauen in Geschäftsleitungen aufsteigen oder Garagen übernehmen.

Ende 2018 startete der AGVS eine Partnerschaft mit Mobility, indem Garagenfahrzeuge ins Carsharing-Netz von Mobility integriert wurden. Hat sich diese Partnerschaft gelohnt?

Ich würde sagen, diese Partnerschaft ist erfolgreich gestartet. Mobility hat dank uns sein Netz ausbauen können, und die rund 100 beteiligten Garagisten haben die Möglichkeit, aus Stehzeugen Fahrzeuge zu machen. Dabei kommen nur Standorte in Frage, die aus Sicht von Mobility geeignet sind.

Inwiefern verändert sich die Arbeit in den Garagen mit dem Aufkommen von E-Fahrzeugen?

Ein Elektroauto ist viel einfacher aufgebaut als ein Verbrenner. Es hat keine Kupplung, keine Zündkerzen, keinen Partikelfilter, und der Motor ist auch simpler. Das heisst, dass in einem Service deutlich weniger Teile gewechselt werden müssen. Dafür rechnen wir mit mehr Aufwand für Diagnose und Updates. Die Arbeit wird sicher eine andere, ob sie auch weniger wird, lässt sich noch nicht beurteilen. Wir sehen die Elektromobilität auch als Chance und nicht als Bedrohung fürs Gewerbe.

Welche Rolle spielt die Mobilität in Zukunft und in welchen Formen?

Individuelle Mobilität ist ein menschliches Grundbedürfnis. Daran ändert sich nichts. Natürlich ändern sich die Formen der Mobilität. Heute sind 84 Prozent des Personenverkehrs in der Schweiz Strassenverkehr, 16 Prozent entfallen auf die Schiene sowie auf Seilbahnen. Mit der Entwicklung autonomer Fahrzeuge dürfte die Strasse tendenziell eher noch dominanter werden.

Wagen Sie auch eine langfristige Prognose infolge der E-Mobilität für die Zahl der Mitarbeiter im Autowesen, die Verkäufe oder die Umsätze?

Ich kann keine langfristige Prognose abgeben, das wäre nicht seriös. Dass der Anteil an Elektroautos steigen wird, ist politisch gewollt und unbestritten. Allerdings werden wir noch sehr lange Verbrenner auf unseren Strassen haben. Ein Auto ist in der Schweiz durchschnittlich neun Jahre alt. Das heisst, dass die meisten Verbrenner, die heute auf die Strasse kommen, im Jahr 2030 immer noch unterwegs sein werden. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres waren 9.8 Prozent der Neuwagen reine Elektrofahrzeuge. Dies bedeutet auch, dass neun von zehn Neuwagen über einen Verbrennungsmotor verfügen. Beim AGVS setzen wir uns für Technologieoffenheit ein: E-Mobilität ja, aber nicht nur. Auch Wasserstoff, biogene oder synthetische Treibstoffe können und sollen ihren Beitrag leisten. Im Nutzfahrzeugbereich wird der Verbrennungsmotor mit Diesel und vermehrt auch mit Biogas weiter unverzichtbar bleiben.

Welche Auswirkungen wird die neue Mobilität auf unser Leben im Allgemeinen und auf die Garagen im Besonderen haben?

Letztlich wird die Individualmobilität im Vergleich zur Schiene noch vorteilhafter ausfallen. Die umweltfreundlichen Antriebsformen gepaart mit autonom fahrenden Autos, die mich vor meiner Türe abholen und zu beliebigen Orten bringen, werden das Auto noch attraktiver machen. Logisch, dass damit auch die Dienstleistungen der Garagisten als Mobilitätsdienstleister wachsen werden.

Gab es in Ihrer Amtszeit auch Dinge, die Ihnen nicht gelungen sind?

Ja. Wir haben uns gegen die Abschaffung des Abgastests und die Verlängerung der Motorfahrzeugprüfintervalle gestemmt. Da haben wir erkennen müssen, dass die Politik die Entlastung der Autofahrerinnen und Autofahrer höher gewichtete als die regelmässige Fahrzeugwartung zugunsten mehr Sicherheit und weniger Abgase.

Welche künftigen grossen Herausforderungen warten auf Ihren Nachfolger Thomas Hurter?

Hohe Priorität haben die Zusammenarbeit mit den Herstellern auf Augenhöhe und die Stärkung des Spielraums der Garagisten als freie Unternehmer. Als prioritär erachte ich auch den Ausbau der Digitalisierung, um diese noch effizienter im Tagesgeschäft nutzen zu können. Um möglichst gute Rahmenbedingungen für die Mitglieder zu erhalten, wird er seinen politischen Einfluss gut nutzen können. Eine Herausforderung in einer Zeit, in der die Berufslehre an Stellenwert verliert, wird es sein, Jugendliche für die Autoberufe zu gewinnen und genügend Fachkräfte zu haben. Eine substanzielle Aufgabe ist auch die Kommunikation nach innen und aussen. Ich bin überzeugt, dass Thomas Hurter zusammen mit dem AGVS-Team gut aufgestellt ist, um die Herausforderungen zu meistern.

Sie treten als Zentralpräsident des AGVS nach 18 Jahren zurück. Welche Gefühle hegen Sie?

Ich freue mich auf mehr Freiraum im Alltag und auf einen neuen Lebensrhythmus. Mehr Zeit zu haben für Familie, Freunde und meine Hobbys. Dankbarkeit gegenüber allen, die mich unterstützt haben, schwingt in meinen Gedanken stark mit. Viele positive Erlebnisse und Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit vielen Personen prägen die Bilder, die ich mitnehme. Über die Jahre sind viele Freundschaften entstanden.

Urs Wernli (l.) übergibt an seinen Nachfolger Thomas Hurter.

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