Autor: Daniel Riesen
Wenn es um berufliche Karrieren geht, fragt man unweigerlich nach der Bewegungsrichtung: Aufstieg oder Abstieg? Im Falle von Claudia Meyer ist es auf den ersten Blick ein dezidiertes Sowohl-als-auch. Sie behält gewissermassen ihren Job als Länderchefin. Allerdings seit 1. Juli 2021 als Country Operations Director der Renault Suisse SA und nicht mehr wie seit 2017 als Country Director von Allianzpartner Nissan.
Auf den zweiten Blick nimmt Meyers Renommée mit dem Stellenwechsel sehr wohl zu. Während die französische Marke hierzulande im Mittelfeld spielt mit Marktanteilen, welche um die Vier-Prozent-Schwelle oszillieren, ist die japanische Marke Nissan in der Zeit von Meyers Leitung von einer Zwei- zur Ein-Prozent-Marke geschrumpft. Dies allerdings dürfte mit der Personalie nichts zu tun haben. Nissan tut sich weltweit schwer. In den USA haben die Japaner nach der Ära unter Carlos Ghosn und dessen Fokus auf Volumen Schwierigkeiten mit der Marge, in Europa auch mit dem Umsatz. Die Modellerneuerung harzt, das Vorhandene wird von der Kundschaft nur bedingt als up to date angesehen. Der Topseller Nissan Qasqhai steht Ende Juli 2021 auf Hitparadenplatz 109 der Schweizer Autocharts.
Da sind sowohl Status quo wie Ausblick bei Renault positiver, wenngleich nicht ungetrübt. Die Marke hat ein aktuelles Portefeuille mit einer anständigen Auswahl in Sachen kompakter Autos, Crossover und einer zeitgemässen Motorisierung inklusive Plug-in-Hybriden. Wie bei Nissan könnte man bei Renault allenfalls auf die Idee kommen, aus dem einstigen Vorsprung in der Elektrowelt (Leaf respektive Zoe) wenig bis nichts gemacht zu haben, doch der Renault Zoe liegt im laufenden Jahr mit 990 Verkäufen in der Schweiz immerhin auf Rang drei bei den Elektroautos. Der Nissan Leaf taucht mit 190 Einheiten erst gar nicht in der Liste der besten 15 auf.
Marge statt Menge
Renault-CEO Luca de Meo hat bei seinem Start im vergangenen Jahr ausserdem mangelnde Profitabilität ausgemacht, die in den nächsten Jahren auch mit Sparmassnahmen angegangen werden soll. Darauf sollen ab 2023 eine Welle neuer Modelle und ab 2025 eine immer konsequentere Elektrifizierung folgen. Ausserdem will de Meo ein Rezept applizieren, das er als Chef von Seat schon angewandt hat: weniger Kleinwagen, mehr Mitteklasse mit grösserem Spielraum bei Preisen und Margen. «From volume to value» heisst die neue Devise für Renault, die man mit «Marge statt Menge» übersetzen könnte.
Das Fitness- und Erneuerungsprogramm, vom Chef höchstpersönlich Renaulution getauft, gefällt Marketingspezialistin Claudia Meyer ausgezeichnet. De Meos Pläne fügten sich auch gut in die deutlich markantere Strategie innerhalb der Allianz ein, bei der jedem Partner sogenannte Referenzregionen zugeordnet sind, in denen der jeweilige Anbieter auch zuständig ist für die Entwicklung der Plattform. Ein Part, der im Falle von Europa, Russland, Nordafrika und Südamerika eben Renault zufällt.
Der vergangene Juli war für Claudia Meyer die Zeit des Ankommens bei Renault – eine etwas kompliziertere Aufgabe als sonst, solange noch eine Art rotierendes Homeoffice praktiziert wird. «Ein Meeting mit allen wie früher wohl üblich gab es nicht», sagt Meyer. «Ich habe aber alle Mitarbeitenden digital begrüsst und die Heads der Departemente persönlich gesprochen.» Nach und nach steige die Präsenz in den Büros, aber noch herrsche nicht Normalbetrieb. «Sich neue Köpfe und Namen zu merken, fällt aber schon leichter, wenn die Leute vor Ort sind.»
Sachverstand mit Herz
Immerhin hat sie, wie so ziemlich die ganze Welt, inzwischen ein gutes Jahr Übung im Umgang mit dosierter Distanz. Während viele von uns nur Regeln einzuhalten hatten, musste sich die damalige Nissan-Direktorin überlegen, wie das Team unter diesen Bedingungen zu führen war. «Eine Umstellung war nötig, um trotz Homeoffice-Pflicht den Informationsfluss zwischen den Departments und der Geschäftsleitung sicherzustellen.» Eine Weile sei das anstrengend gewesen. «Ich musste zusätzliche interdisziplinäre Treffen ansetzen, zusätzlich zu den One-to-one-Meetings. Aftersales, Sales und Marketing greifen in alle Bereiche hinein. Mehr Meetings benötigen mehr Zeit, doch die Leute wissen dadurch einfach besser, was läuft, und es kommen mehr Ideen zusammen.» Zweitens hat Claudia Meyer häufiger All-Employee-Meetings anberaumt, um den fehlenden informellen Kaffeepausen-Austausch etwas zu kompensieren. «Drittens habe ich mich öfter in Meetings zwischen Mitarbeitern eingebracht, an denen ich früher gar nicht teilnahm. Einfach um zu merken, was alles läuft.»
Eigentlich müsste man die Mitarbeitenden fragen, was für eine Chefin Claudia Meyer ist. Sie sagt über sich: «Ich gehe davon aus, dass ich intelligente Mitarbeiter habe. Im Direktorium kann man ebenfalls davon ausgehen, dass alle wissen, was sie tun. Ich sehe meine Rolle unter anderem darin, das Interdisziplinäre zu fördern.» Austausch sei wichtig, Zielorientiertheit aber entscheidend. «Ich gebe nicht einfach Lösungen vor, die erarbeiten wir im Team.» Andererseits halte sie sich für entscheidungsfreudig und versuche, ihren Mitarbeitern nicht unnötig Zeit zu stehlen. «Vielleicht könnte man das alles unter das Motto stellen: Sachverstand mit Herz.»
Zu einer zeitgemässen Führungsphilosophie gehört heute unausweichlich auch die Geschlechterfrage. In der Autobranche herrscht nach wie vor ein Männerüberhang, wenngleich je nach Aufgabengebiet in unterschiedlichem Mass. Claudia Meyer kann die Thematik insofern entspannt einordnen, als sie von sich sagt, nie ernsthaft «angestanden» zu sein als Frau in der Autobranche. Dennoch spricht sie sich für eine gezielte Förderung aus: «Alle brauchen Förderung. Nur wurde früher eher den Lauten geholfen, jenen, die sich offensiv melden. Leisere Talente, und das waren oft die Frauen, gingen unter. Die möchte man heute erkennen und auch mal etwas schubsen. Das ist eine Führungsaufgabe, unter anderem ein wichtiger Teil von Personalgesprächen.»
Umdenken gefordert
Eine bedeutende Rolle spielt in den Augen der neuen Renault-Chefin Teilzeitarbeit. Vonseiten der Unternehmen sei es wichtig zu signalisieren, dass man mit einem 80- oder gar 60-Prozent-Pensum Führungspositionen anstreben könne. Das erfordere ein Umdenken. «Für Frauen ist dies besonders bedeutend, weil es halt immer noch sie sind, welche Kinder auf die Welt bringen. Und die Schweiz ist sicher nicht führend in Sachen Kitas. Andererseits gibt es in unserem Land mehrere von Frauen geführte Marken, das ist längst nicht überall so!»
Auffällig ist, dass Claudia Meyer im Gespräch nie gendert. Sie spricht von Kunden, Punkt. Sie verzichtet auf angefügte weibliche Formen so konsequent, wie man es sich als Mann heutzutage kaum noch trauen würde. Indem sie allerdings keinen Zweifel daran offenlässt, dass Männer und Frauen gleichermassen gemeint sind, ist womöglich der Gleichstellung mehr gedient als mit Gendersternchen.
Die Garage übernehmen? – «Sicher nicht!»
Sie sei bezüglich Autos im positiven Sinn elterlich vorbelastet, sagt Renault-Schweiz-Chefin Claudia Meyer. «Meine Eltern führten einen Garagenbetrieb. Themen aus dem Betrieb kamen am Mittagstisch zur Sprache.» Anders als die Schwester tat sie, was auch Buben gern tun: «Ich habe gerne Unsinn gemacht, habe im Dreck gespielt und bin in der Garage unter Autos gekrochen. Mein Vater fuhr Bergrennen. Ich fand das cool.»
Ihr Lieblingsauto damals war ein Glas, den ihr Vater ihrer Mutter geschenkt hat. «Ich wollte immer, dass sie mich mit dem Goggomobil aus der Schule abholt, doch sie kam mit dem Zwischengas nicht zurecht.» Zufällig war Meyers Weg in die Automobilwelt also nicht. «Ich war gerne in Vaters Garage und sagte auch einmal, ich würde später den Betrieb übernehmen», erinnert sie sich. «Sicher nicht», habe ihr Vater darauf gesagt, jedenfalls solle sie zuerst eine seriöse Ausbildung machen. «Man konnte sich damals eine Frau in dieser Position nur schlecht vorstellen.»
Wohin hätte ihre berufliche Laufbahn sonst geführt? «Ich mag Tiere sehr. Wir hatten immer Hunde, ich bin geritten, unter anderem Dressur, mit Vater war ich auf der Jagd. Ich geniesse den Umgang, die Kommunikation mit den Tieren. Etwas mit Tieren, das wäre sicher eine berufliche Option gewesen.»