Für Fans des Verbrennungsmotors hört es sich an wie ein Befreiungsschlag: Der Verbrennungsmotor könnte eine Gnadenfrist bekommen – dank synthetischer Treibstoffe. Diese Nachricht verkündete der deutsche Automobilhersteller Porsche in einer Pressemitteilung, und er kündigte auch den Bau einer Pilotanlage in der chilenischen Provinz Magellan an, in der klimaneutrale synthetische Kraftstoffe hergestellt werden (hier zum Beitrag). Nein, E-Fuels, wie sie genannt werden, sind kein Hirngespinst mehr aus Science-Fiction-Filmen der 1980er-Jahre. Sie sind heute bereits Realität, wie Christian Bach, Leiter des Labors Automotive Powertrain Technologies der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) der AUTOMOBIL REVUE erklärt: «Erneuerbarer Strom wird genutzt, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Der Wasserstoff wird dann mit CO2 aus der Atmosphäre oder aus anderer Quelle in einem katalytischen Prozess in synthetische (künstliche – Red.) Kohlenwasserstoffe wie beispielsweise Synthesegas, Benzin, Diesel oder Kerosin umgewandelt. Abhängig vom Prozess und dem gewünschten Endprodukt durchlaufen einige dieser Produkte anschliessend noch weitere Verarbeitungsschritte.»
Christian Bach ist mit dieser Technologie vertraut, denn auch die Empa arbeitet an der Herstellung von synthetischem Treibstoff, allerdings mit einer anderen Zielsetzung als Porsche: «Verkehrsanalysen zeigen, dass nur ein kleiner Teil aller Fahrzeuge für den Grossteil der gefahrenen Kilometer verantwortlich ist. Dabei handelt es sich vor allem um LKW, Vielfahrer und Ferntransporte, bei denen Güter quer durch Europa transportiert werden. Wenn diese vielen Kilometer weiterhin mit fossilen Kraftstoffen bewältigt werden, wird man die CO2-Emissionen im Strassenverkehr kaum wirksam reduzieren können. Synthetische Kraftstoffe würden dagegen einen wesentlichen Beitrag zur Lösung bei diesen Vielfahrern leisten», erklärt Stephan Kälin, Leiter Kommunikation der Empa.
Neues Verfahren der Empa
Beim neusten Projekt der Empa geht es daher nicht um die Herstellung von synthetischem Benzin, sondern von synthetischem Methan, wie Stephan Kälin erklärt: «Bei unserem neusten Projekt beschäftigen wir uns mit der Herstellung von synthetischem Methan aus Wasserstoff und CO2, ein Prozess, der als Methanisierung bezeichnet wird.» Der zugrunde liegende chemische Prozess der Methanisierung ist bereits seit über 100 Jahren bekannt: Aus Kohlendioxid (CO2) und Wasserstoff (H2) entstehen durch katalytische Umwandlung Methan (CH4) und Wasser (H2O).
Und genau da liegt meist das Problem: Die Abscheidung des Wassers erfordert meist mehrere aufeinander folgende Methanisierungsschritte – mit Kondensationsphasen dazwischen. Dennoch wird ein Teil des erzeugten Wassers durch die Gas-Wasser-Reaktion wieder in Wasserstoff zurückverwandelt. Das Endprodukt enthält somit immer einige Prozent Wasserstoff, was eine Einspeisung in das Gasnetz unmöglich macht, da der Wasserstoff erst in einem aufwendigen Verfahren entfernt werden muss.
Direkt in das Gasnetz
Hier kommt die Empa ins Spiel: Bei der durch die sogenannte Sorptionskatalyse verbesserten Methanisierung binden die Wissenschaftler des eidgenössischen Labors das bei der Reaktion entstehende Wasser in einem porösen hygroskopischen Katalysator und entfernen es, wie Christian Bach erläutert: «Bei dem an der Empa entwickelten Verfahren wird das im Produkt enthaltene Wasser direkt bei der Entstehung im Trägermaterial des Katalysators adsorbiert und so eine Umkehrung der Reaktion verhindert. Dieser kontinuierliche Entzug des Wassers erhöht die Ausbeute an reinem Methan. Das Endprodukt kann also ohne weitere Aufbereitung direkt in das Gasnetz eingespeist werden.»
Und das ist nicht der einzige Vorteil. «Die Kohlenwasserstoffe können über weite Strecken zu sehr geringen Kosten transportiert werden. Damit ist es möglich, weit entfernt liegende Energiequellen wie Wüsten oder Offshore-Windanlagen zu nutzen», erklärt Christian Bach. Und natürlich kann dieser Energieträger auch auf konventionellem Weg transportiert und über die bestehende Infrastruktur den Nutzern angeboten werden.
CO2 aus der Umgebungsluft
Das Methan der Empa ist darüber hinaus umweltneutral, da das für die Produktion benötigte CO2 direkt vor Ort mit einem CO2-Kollektor der Firma Climeworks gewonnen wird, einem aus der ETH Zürich hervorgegangenen Unternehmen, das Maschinen entwickelt, baut und betreibt, mit denen Kohlendioxid direkt aus der Luft extrahiert wird (hier zum Bericht). Die CO2-Moleküle in der Umgebungsluft werden in einem Filter gebunden und mit Hilfe von Wärme abgeschieden. Dank eines intelligenten Wärmemanagements wird dabei der Wärmebedarf weitgehend durch die Restenergie gedeckt, die bei der Wasserstofferzeugung und Methanisierung kontinuierlich anfällt.
Neben neuen Erkenntnissen zu technischen und energetischen Aspekten soll das Projekt auch die Wirtschaftlichkeit von synthetischem Methan ermitteln. «Um diese umfassende Perspektive zu gewährleisten, besteht das Projektkonsortium aus Partnern der gesamten Wertschöpfungskette – von Empa-Forschern über Energieversorger, Tankstellen- und Flottenbetreiber bis hin zu Industriepartnern aus dem Technologie- und Anlagenbereich», erklärt Brigitte Buchmann, Mitglied der Empa-Geschäftsleitung und strategische Leiterin von Move. Unterstützt wird das Projekt durch den Kanton Zürich, den ETH-Rat, Avenergy Suisse, Migros, Glattwerk, Armasuisse, Swisspower und Lidl Schweiz.
Eine Premiere für Lidl Schweiz
Der Discounter Lidl Schweiz wird das erste Unternehmen sein, das von dieser Technologie profitiert, und zwar ohne Anpassungen an den LKW vornehmen zu müssen, wie Christian Bach erklärt: «Gasmotoren müssen nicht modifiziert werden, wenn sie mit Biogas oder synthetischem Methan anstelle von Erdgas betrieben werden. Synthetische Kraftstoffe werden nämlich in sogenannte Drop-in- und Non-Drop-in-Kraftstoffe unterteilt. Drop-in-Kraftstoffe können in jedem beliebigen Verhältnis von 0 bis 100 Prozent gemischt werden, ohne dass an Fahrzeugen oder Tankstellen Anpassungen vorgenommen werden müssen. Sowohl synthetisches Methan als auch Biogas sind alternative Kraftstoffe.»
Aber was ist mit den Non-Drop-in-Kraftstoffen? «Bei Non-Drop-in-Kraftstoffen wie Methanol oder Dimethylether, die nicht einfach mit den aktuellen Kraftstoffen gemischt werden können, muss der Fahrzeughersteller dagegen entsprechend ausgelegte und zugelassene Motoren entwickeln. Heute ist es nicht mehr möglich, Motoren einfach für andere Kraftstoffe umzurüsten», so Christian Bach.
Hohe Produktionskosten
Auch wenn einige Energieträger eine gewisse Anpassung erfordern würden, stellt sich durchaus die Frage, warum synthetische Treibstoffe auf dem Markt noch keine Rolle spielen. Nun, es liegt wie immer an den Produktionskosten. Doch das könnte sich laut Christian Bach sehr schnell ändern: «Bisher wurde die CO2-Reduktion von synthetischen Kraftstoffen in der Gesetzgebung zu den Flottenemissionen nicht berücksichtigt. Ausserdem fehlt es an Marktmodellen, da die Produktion teuer ist. Durch revidierte CO2-Gesetze sind nun zuverlässigere Parameter verfügbar, sodass wir ein einfaches Umlagemodell für den Umstieg von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare synthetische Kraftstoffe entwickeln konnten.»
Methananlagen in der Schweiz
Wenngleich die CO2-Debatte in der Schweiz derzeit hohe Wellen schlägt und wir eine grüne Zukunft einschlagen, so heisst das noch lange nicht, dass demnächst überall in der Schweiz Methananlagen aus dem Boden schiessen werden. Zwar gibt es in der Schweiz Anlagen zur Herstellung von synthetischem Methan, zum Beispiel in Dietikon ZH, doch die Produktion von flüssigen, synthetischen Treibstoffen ist immer noch teurer als die von Gas, und sie ist nur in Grossanlagen wirtschaftlich machbar. Deshalb ist es sinnvoller, solche Anlagen nicht in der Schweiz, sondern in Wüstenregionen oder zumindest in Regionen mit guter Windausbeute zu installieren. Es gibt bereits eine Reihe von Studien und Projekten, die sich speziell mit solchen Vorhaben beschäftigen. Das vielleicht bekannteste Projekt ist eine Anlage, die Porsche, Siemens und Exxon-Mobil in Chile errichten.
Auf die Frage nach der Produktion folgt unweigerlich die nach den Kosten: Werden die Verkaufspreise von E-Fuels jemals ein Niveau erreichen, das sie konurrenzfähig mit traditionellen fossilen Treibstoffen macht? «Nicht ohne entsprechende Begleitmassnahmen», antwortet Christian Bach, der mit seinem Team errechnet hat, dass eine vollständige Umstellung der fossilen Brennstoffe bis 2050 den Treibstoffpreis von heute 1.60 Franken auf rund 2.40 Franken pro Liter erhöhen würde. Zugegeben, das ist deutlich teurer. Trotzdem wird diese Technologie unseren guten alten Verbrennungsautos einen echten Schub geben. Und das lässt doch hoffen.