«Wir werden die Klimaziele erreichen»

Die Befürworter des CO2-Gesetzes ­kommunizierten nicht ehrlich und der Bundesrat ­verletze mit Mobility-Pricing seine eigenen Grund­sätze, erklärt Olivier Fantino von Strasseschweiz.

Olivier Fantino ist seit 2018 Direktor von Strasseschweiz, dem Dachverband der verschiedenen Verbände, Branchenorganisationen und Akteure im Bereich des privaten und gewerblichen Strassenverkehrs. Der Waadtländer hat an der Universität Genf Ökonometrie studiert und war unter anderem für den TCS und die Waadtländer Handelskammer tätig.

Als Dachorganisation der Automobil- und Strassenwirtschaft ist Strasse­schweiz gewissermassen die oberste Vertreterin des Strassentransportgewerbes und des privaten Strassenverkehrs in der Schweiz. Im Interview erklärt Geschäftsführer Olivier Fantino, weshalb er die guten Grundideen hinter dem CO2-Gesetz und Mobility-Pricing erkennt – beides aber trotzdem ablehnt.

AUTOMOBIL REVUE: Strasseschweiz lehnt das Bundesgesetz über Mobility-Pricing ab. Wieso das? Wer nutzt, bezahlt – das klingt doch fair?

Olivier Fantino: Ja, das klingt fair. Aber was man jetzt daraus gemacht hat, berücksichtigt nicht alle Mobilitätsträger, sondern fokussiert einseitig auf die Strasse. Es gibt keine Pilotprojekte, bei denen auch der öffentliche Verkehr miteinbezogen wird. Somit ist es kein Mobility-Pricing, sondern ein Road-Pricing. Und das lehnen wir ab.

Konkret heisst das, dass man nicht Mobility-­Pricing per se ablehnt, sondern nur das Mobility-­Pricing, so wie es jetzt ist?

Genau. Wir haben grundsätzlich nichts gegen ein Mobility-Pricing und sind auch offen für eine konstruktive Diskussion. Für uns gibt es drei Säulen, die garantiert sein müssen, damit wir ein Mobility-Pricing akzeptieren können: Erstens muss es verkehrsträgerübergreifend sein, nicht bloss ein Road-Pricing. Zweitens muss das Geld zurück in den Strassenverkehr fliessen, um die Finanzierung der Infrastruktur zu sichern. Drittens muss das Mobility-Pricing steuerneutral sein und darf nicht eine neue, zusätzliche Abgabe sein. Das sind übrigens auch Grundsätze, die der Bundesrat 2016 selbst definiert hat und die er jetzt komplett missachtet. Ausserdem kann jeder Kanton, jede Stadt, jede Gemeinde tun, was sie will. Das ist ein Rückschritt ins Mittelalter, als jede Stadt ihre eigenen Strassenzölle erheben konnte.

Es gibt prominente Befürworter von Mobility-­Pricing wie Professor Reiner Eichenberger. Seine Aussage ist: «Mobility-Pricing schafft Kostenwahrheit.» Was ist Ihre Antwort darauf?

Ich verstehe diese Aussage, sehe aber einen Konflikt zwischen Theorie und Praxis. In der Theorie ist die Kostenwahrheit ein schöner Ansatz. In der Praxis aber stellt sich dann schnell das Problem, wie diese Kostenwahrheit berechnet wird. Es braucht eine faire, einheitliche Betrachtung der materiellen und immateriellen Kosten über alle Verkehrsträger hinweg, und das ist unmöglich. Was wir benötigen, ist eine langfristige Finanzierung der Infrastruktur.

Mit dem Mobility-Pricing sollen auch Verkehrsspitzen gebrochen werden können.

Der Hauptfaktor für den Stau ist die demografische Entwicklung. Die Bevölkerung wächst, und entsprechend nimmt auch das Bedürfnis nach Mobilität zu. Das kann das Auto, das Velo oder auch der Zug sein. In jedem Fall braucht es aber eine entsprechende Infrastruktur, und da zeigt sich, dass wir ein riesiges Problem haben. Die Ausbauprojekte sind manchmal für zehn, zwanzig Jahre blockiert. Das heisst, wir bezahlen zwar Steuern, die eigentlich in den Ausbau der Infrastruktur fliessen sollten, aber das geschieht nicht oder nur deutlich zu langsam. Auch deshalb haben wir Stau. Die Anpassung der Infrastruktur ist denn auch eines unserer Kernanliegen, auch weil es wichtig ist für die Attraktivität der Schweiz.

Einerseits besteht das Bedürfnis nach mehr Mobilität, anderseits will man weniger Emissionen. Gibt es da nicht einen Zielkonflikt?

Ja, den gibt es, aber im Gegensatz zu dem, was man in den meisten Medien liest, haben wir im Strassenverkehr riesige Fortschritte gemacht in den letzten Jahren. Die effektiven CO2-Emissionen pro Fahrzeugkilometer sind seit dem Jahr 2000 um 30 Prozent gesunken, und wir werden auch die Ziele für 2020 erreichen. Das Bundesamt für Umwelt hat aus den Zahlen von 2019 die Prognose abgeleitet, dass wir die CO2-Ziele für 2020 nicht erreichen werden, insbesondere im Strassenverkehr nicht. Dabei wurde nicht berücksichtigt, dass die Emissionen wegen der Corona-Krise massiv zurückgegangen sind. Das zweite Problem ist: Die Massnahmen zur CO2-Kompensation, die aus der gesetzlich verankerten Kompensationspflicht finanziert werden, werden bei den Berechnungen nicht berücksichtigt. Die Autofahrer finanzieren Massnahmen, um den von ihnen verursachten CO2-Ausstoss zu kompensieren. Bei der Berechnung der CO2-Bilanz werden diese aber ignoriert! Korrekt gerechnet liegen wir heute 10.5 Prozent unter dem Wert von 1990. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Thema Emissionen: Im Juni stimmen wir über die Revision des CO2-Gesetzes ab. Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Probleme daran?

Das grösste Problem daran ist, dass es nur neue Abgaben und Sanktionen bringt für Menschen, die meist keine Alternative haben. Stellen Sie sich vor, Sie sind Mieter und haben keine Möglichkeit, eine Ladestation einzurichten. Dann haben Sie keine andere Möglichkeit, als die Abgaben zu bezahlen, eine Verbesserung fürs Klima resultiert daraus aber nicht oder kaum. Für die Befürworter ist klar, dass wir mit dem Strassenverkehr die Hauptverursacher von CO2-Emissionen sind, paradoxerweise gibt es für uns aber keine konkreten Massnahmen, um diese zu reduzieren. Wenn der Strassenverkehr wirklich so schlecht ist, müsste es doch viel mehr Bestrebungen geben, diesen wirklich zu verbessern und nicht einfach nur neue Steuern zu erheben.

Können Sie dem Gesetz auch etwas Gutes abgewinnen?

Ich bin der Meinung, dass die Grundidee nicht schlecht ist, aber das Gesetz ist schlecht eingestellt. Das Gleichgewicht stimmt überhaupt nicht. Die Gewichtung liegt so unglaublich stark auf der Abgabeseite, dass man das nicht annehmen kann.

Was werden die Folgen einer Annahme sein?

Es wird vor allem zu einem grossen Albtraum werden für die Befürworter. Diese versprechen jetzt allen Interessenten einen beträchtlichen Anteil an Subventionen. Diese werden nachher alle die hohle Hand machen, und das Geld wird hinten und vorne nicht ausreichen. Schauen Sie doch nur, wie viele Ladestationen man bauen muss in der Schweiz, damit der erhoffte Wandel zur Elektromobilität zustande kommen kann. Am Schluss werden die meisten leer ausgehen.

Wirtschaftsverbände, aber auch der TCS, positionieren sich nicht klar gegen das Gesetz, obwohl es zu erheblichen Mehrkosten führen wird für die Autofahrer. Wieso das?

Zu den Positionen unserer Mitgliederverbände möchte ich mich nicht äussern, da müssen Sie diese selber fragen. Aber bei den Wirtschaftsverbänden ist klar, wer das Sagen hat. Da bestimmen die Grossbetriebe, wo es langgeht – und die Kleinen werden die Zeche bezahlen.

Was ist Ihre Einschätzung für die Abstimmung im Juni?

Das ist eine schwierige Frage. Lange hat es so ausgesehen, als würden wir verlieren. Jetzt ist es sehr nahe beisammen, und die Tendenz geht in unsere Richtung, auch wenn es noch immer knapp ist. Und es ist spannend zu sehen, dass sich in allen Parteien die Nein-Parole verstärkt hat. Ich bin also zurückhaltend optimistisch.

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