Bentley Continental GTC: Britische Eleganz

Mit dem kleinen Motor verliert der Bentley ­Continental GTC vier Zylinder. Am Luxus, den der Brite bieten kann, ändert sich aber nichts, dafür sorgen edle Materialien und schöne Verarbeitung.

Am schönsten offen: Der Vierliter-V8 grummelt dezent, aber hörbar aus den vier Endrohren.

Es sind bittere Zeiten für den britischen Adel. Unter der deutschen Knute wird ein Sparkurs für die wenig rentable Luxusmarke Bentley gefahren, nach Gerüchten, dass sich Volkswagen ganz von Bentley und Lamborghini trennen wolle, müssen die Briten jetzt – wie Lamborghini – enger mit Audi kooperieren, um die Kosten zu drücken. Und schon bis Ende des Jahrzehnts soll die Produktion des Zwölfzylinders beerdigt und aus der Traditionsmarke ein Elektroautobauer werden.

Gemächlicher Luxus – egal wie schnell

Noch ist aber die Sonne nicht untergegangen über Crewe, auch wenn sie selten scheint im oft verregneten englischen Städtchen. Als Ergänzung zum majestätischen Sechsliter-W12 bringt Bentley jetzt auch für den neuen Continental wieder eine Basisversion mit einem kleineren Motor. Basisversion? Kleiner Motor? Bei Bentley ist das immer so eine Sache. Ganz so weit wie im SUV Bentayga mit seinem V6-Hybrid geht es im Luxuscabriolet Continental GTC zum Glück nicht. Hier bedeutet Downsizing ein Vierliter-V8-Motor, 404 kW (550 PS), 770 Nm. Und dank des kleineren Motors auch weniger Verbrauch. Mit 11.4 l/100 km kann der Graf sein Portemonnaie schonen, denn in harten Zeiten wie diesen muss auch der Geldadel auf die Finanzen achten. Vorzugsweise ohne dass es die Nachbarschaft mitkriegt. Und so deutet auch am GTC wenig darauf hin, dass der Lord hier mit der Einsteigervariante unterwegs ist – mit Ausnahme des kleinen V8-Badges an den vorderen Kotflügeln. Und überhaupt: Auch mit dem V8 unter der eleganten Haube sprintet das Cabriolet in 4.1 Sekunden auf Tempo 100, die 0.4 Sekunden, die der W12 schneller ist, wird wohl niemand ernsthaft vermissen. Dass der Motor durchaus leistungsfähig ist, ist keine Überraschung, kommt er doch in derselben Konfiguration auch im schwäbischen Adel bei Porsche Panamera Turbo und Cayenne Turbo zum Einsatz. Wie der Porsche Panamera setzt auch der Continental auf das Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe aus dem Hause ZF, das das Drehmoment an alle vier Räder schickt. Die Gangwechsel gehen dabei so sanft vonstatten, dass es auch eine Wandlerautomatik nicht royaler erledigen könnte.

Und dann müssen wir es halt eben doch ausprobieren: Wir gehen hinaus aus der Stadt, suchen uns eine schöne Landstrasse und stellen den Fahrwahlschalter auf Sport. Das im Normalbetrieb dezente Grummeln des V8 weicht ­einem mächtigen Grollen. Die fehlenden vier Zylinder fehlen nicht mehr wirklich. Die beiden Turbolader bauen dank variabler Turbinengeometrie im Nullkommanichts Druck auf und lassen auch bei hohen Drehzahlen nicht nach.

Länger – eleganter

Trotz des spürbaren Leergewichts von 2.3 Tonnen legt der Continental ein erstaunlich souveränes Fahrverhalten an den Tag, gibt sich agil bei Zwischenspurts und lässt sich präzise von Kurve zu Kurve dirigieren. Im Herzen – und im Konzept – ist der Continental kein Sportwagen, sondern ein Gran Turismo, baut, wie der Flying Spur oder der Porsche Panamera, auf dem ­modularen Standardbaukasten auf. Natürlich dämpft das Bentley-Dynamic-Ride-Fahrwerk auch im Sport-Modus Unebenheiten weg, sodass es sich, egal in welchem Modus, entspannt über die Ländereien jagen lässt, ohne dass Schläge über das edle Sitzleder an die Wirbelsäule gelangen würden. Eine gewisse Spreizung der Luftfedern zwischen den verschiedenen Fahrmodi ist aber auf jeden Fall auszumachen. Aber eigentlich will man im GTC keine Kurven jagen, sondern entschleunigt in seinem Kokon voll Luxus sitzen, das Dach geöffnet, der Nacken umströmt von warmer Luft aus den Sitzen.

Im Vergleich zum Vorgänger ist der Radstand des Continental GTC um ganze zehn Zentimeter auf 2.85 Meter gewachsen, der Überhang vorne wurde kürzer. Auch wenn es das Cabriolet mit dem abgesetzten, langen Heckdeckel nicht vollends schafft, die fliessenden Linien des Coupés zu übernehmen, so sind die neuen Proportionen geprägt von britischer Eleganz. Die Haube ist länger und flacher geworden, die Windschutzscheibe sitzt weiter hinten, und der hintere Überhang ist leicht gewachsen im Vergleich zum Vorgänger. Zusammen mit dem weniger steil stehenden und breiteren Grill wirkt der neue Continental so gleich noch einmal dynamischer als sein kantiger Vorgänger. Die vier kreisrunden Matrix-Scheinwerfer setzen sich aus je 82 LED zusammen und sollen an geschliffene Kristalle erinnern, die in die Rundungen der Front eingebettet sind. Die Rückleuchten sind in der neuen Designsprache gehalten, konkav und oval anstelle der bisherigen rechteckigen Leuchten unterstreichen sie auch den breiter gewordenen Hintern.

Der Weg ist das Ziel

Der Hintern der Insassen derweil nimmt auf zartem Leder Platz, das sich von den Sitzen über das Armaturenbrett bis in die Türverkleidungen zieht. Die gestickten Logos und die Ziernähte sind einwandfrei verarbeitet, da gibt es wenig auszusetzen. Die Lüftungsdüsen werden auch im neuen Modell über die verchromten Hebel im Stile der Registerzüge einer Orgel bedient, die gleichwohl aus der Kathedrale von Canterbury stammen könnten. Wie auch alle Drehregler des Infotainments bieten sie eine Schwergängigkeit, die ein Gefühl der Hochwertigkeit vermittelt.

Das zentrale Element und mit Sicherheit ­eine Attraktion für alle, nicht nur, wenn man das erste Mal Platz nimmt im Continental, ist die rotierende, dreiseitige Walze, die als Träger für das Infotainment und die drei analogen Anzeigen für Uhr, Aussentemperatur und Stoppuhr dient. Die dritte Seite ist neutral verkleidet in demjenigen Material, das der Kunde halt eben bestellt für seine Innenausstattung. In unserem Testwagen ist das ein schwarzer Klavierlack, dessen einziger Makel die Fingerabdrücke sind, die sich auf dem Hochglanzmaterial unweigerlich schon bald zuhauf wiederfinden. Bei Motorstart dreht sich die mächtige Walze wie von Geisterhand nach hinten weg, und die Anzeigen erscheinen. Noch ein Knopfdruck, und das 12.3 Zoll grosse Infotainment kommt zum Vorschein.

Die Herkunft verschwindet

Dieses hat einen grossen Schritt nach vorne gemacht, verwischt die Spuren seiner Herkunft gekonnt. Nur hier und da drückt noch durch, dass das Ganze eigentlich aus wenig edlem Hause in Wolfsburg stammt. Die gewählten Schriftarten lassen es vermuten oder auch die Führung durch die verschiedenen Menüs. Und offensichtlich soll, wer Bentley fährt, einfach fahren. Das Navi entpuppt sich nämlich als wenig zielsicher, und wir ertappen uns dabei, wie wir das Handy mit Google Maps daneben stellen – wenn ausnahmsweise einmal das Ziel das Ziel ist und nicht der Weg – und so deutlich besser und schneller fahren als mit der Routenführung des integrierten Navigationssystems.

Auch auf dem Lenkrad und bei den Lenkstockschaltern drücken die unedlen Gene des Teilespenders durch, teilweise natürlich in deutlich besserer Qualität und hochwertigen Materialien, teilweise aber auch nahezu identisch. So ist dem geübten Auge auf den ersten Blick klar, dass Volkswagen dahintersteckt. Die Anordnung und die Bedienung entspringt deutscher Logik. Dem Bentley-Fahrer, der in seinem Leben noch nie dazu genötigt wurde, in einem VW Golf Platz zu nehmen, wird das aber wahrscheinlich nicht auffallen.

Und dann kann man noch argumentieren, dass klassische, analoge Rundinstrumente heute noch immer – oder wieder – die edlere Wahl wären als das digitale Kombiinstrument, das sich vor dem Fahrer aufbaut. Diese würden sich passend einfügen in die Umgebung der runden Luftaustrittsdüsen und die analoge Uhr, die tief unten im Armaturenbrett, direkt vor dem Wählhebel, sitzt.

Noch eine letzte Kritik, bevor wir das Stoffdach des Continental GTC wegklappen, den Sound und die Strasse geniessen: Der Platz auf den Rücksitzen ist winzig. Da finden Kinder knapp und Erwachsene kaum Platz – er ist halt eben doch kein ganzer Gran Turismo. In 19 Sekunden ist das Dach geöffnet und die Welt in Ordnung, für alle die entsprechend tief in die Schatzkammer greifen. Mindestens 243 600 Franken sind es für den Continental GTC V8, die Preisskala ist wie üblich nach oben offen und hängt nur von den Wünschen der Kunden ab. Wer sich den W12 gönnen möchte, muss rund 30 000 Franken mehr drauflegen. Ob sich das lohnt? Wer sind wir, um da eine Empfehlung abzugeben? Wir schweigen und geniessen.

Wir danken dem Schloss Oberhofen BE dafür, dass wir den Ort als Fotolocation benutzen durften.

Die technischen Daten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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