Stard Ford Fiesta ERX: Teilchenbeschleuniger

Am Elektroauto scheiden sich die Geister. Deshalb lieber keine halben Sachen und besser gleich zum ultimativen, über 600 PS starken Elektrorenner greifen.

Keine Frage, wir nehmen unseren Job ernst. Das Thema heute: Einem vollelektrischen Rennwagen auf den Zahn zu fühlen. Was passt da besser, als ein Abstecher ins Rallycross-Lager. Die Rennstrecke ist schliesslich ebenso überschaubar wie die Renndistanz. Das hat den Vorteil, dass man sich nicht gross mit Reichweite und effizientem Fahrstil aufhalten muss, sondern sich wieder einmal alles auf die Kernfrage im Motorsport komprimiert: Wie schnell geht es vorwärts? Genau mein Ding. Schon jetzt bin ich völlig elektrisiert.

Am Bug des vollelektrischen Rennboliden der österreichischen Hightech-Schmiede Stard (Stohl Advanced Reseach & Development) prangt hochoffiziell das Ford-Logo. Besser noch: Kein Geringer als US-Actionstar Ken Block griff im August 2020 ins Lenkrad des Ford Fiesta ERX. Das eigens für Block ein neues Chassis mit seiner Kultnummer 43 aufgebaut wurde, machte meinen Proberitt nur bedingt entspannter. Denn auch das Chassis Nummer 2 soll in mehr oder weniger prominenten Händen weiter für Furore sorgen. Ergo gilt es, besonnen ans Werk zu gehen.

Im Cockpit herrscht das gewohnte Bild. Man lässt sich in die Sicherheitsschale gleiten, steppt auf einer filigranen Pedalbox und dreht an einem mit reichlich Knöpfen und Drehschaltern bestückten Lenkrad. Über eine Schaltwippe legt man wahlweise den Vorwärts- oder Rückwärtsgang ein. Das verbaute Zweigang-Getriebe vergessen wir, wurde die erste – in meinen Augen unnötige – Fahrstufe für den exklusiven Proberitt doch gesperrt. Die Einweisung übernimmt Michael Sakowicz, Projektleiter und Geschäftsführer von Stard: «Die Funktionsweise ist ähnlich simpel wie bei einem Elektrogerät zu Hause. Statt aus der Steckdose fliesst hier der Gleichstrom aus der Batterie über einen Inverter, umgangssprachlich auch Wandler oder Wechselrichter genannt, in welchem er in Drehstrom umgewandelt wird, zum Motor, der wie bei jedem anderen Auto über Wellen und Differenziale die Räder antreibt.»

Mit Schweizer Experten

Drei Elektromotoren, einer vorne und zwei hinten, werden von einer Lithium-Ionen-Batterie gespeist, die ihresgleichen sucht. Im Mittelpunkt steht das Batteriekonzept, denn verschiedene Motorsportdisziplinen verlangen unterschiedliche Anwendungspakete im Hinblick auf Batteriegrösse oder die Ent- und Beladung sprich genutzte Leistung und Ladezeit. In dem von den Spezialisten rund um Stard-Boss Manfred Stohl und Brusa, einem der weltweit führenden Elektrospezialisten aus der Schweiz, entwickelten Energiepaket fliessen gewaltige Ströme. Machen wir es kurz: 1125 Ampères mal 400 Volt gleich 450 Kilowatt. Multipliziert mit 1.36 ergibt dies die unter Motorsportlern wesentlich klareren Leistungsangaben von 612 PS. Das Revelution genannte und in allen gängigen Chassis einbaufähige Antriebspaket aus Batterie, Inverter, Motoren und Steuersystem kostet netto 198 000 Euro, ein einsatzfertiger Fiesta ERX 375 000 Euro. Zudem ist eine Rallyeversion mit grösserer Batterie für eine höhere Reichweite und anderem Ladekonzept mit 350 PS und 800 Newtonmetern erhältlich. Im Preis von rund 280 000 Euro sind dabei auch alle im Rallyesport vom Autoweltverband FIA geforderten Teile inbegriffen, angefangen bei einer kompletten Lichtanlage bis hin zu einer zweiten Stahltür auf der Beifahrerseite für die passive Sicherheit des Co-Piloten. Genug gefachsimpelt, ab auf die Bahn.

Willkommen in der Zukunft

Hauptschalter umlegen und damit, wie bei jedem anderen Auto, eine 12-Volt-Autobatterie zünden und über einen Kippschalter die Hochvoltbatterie aktivieren. Kein Brummen, kein Nichts. Ein Zug an der Schaltwippe, und wir stromern nahezu lautlos los. Die Krux: Dem Gastfahrer fehlt ohne das obligatorische Motorengebrüll jegliche Rückmeldung. Nicht einmal ein metallisches Sirren aus dem Getriebe ist zu hören. Immerhin, kaum haben wir uns per Knopfdruck für den Race-Modus entschieden, sorgen der Antriebsstrang und nach wenigen Runden ein Kühllüfter für sonore Hintergrundmusik. Selbst das aus dem Kundensport­regal von Ford übernommene Fahrwerk ist kaum zu hören und die Rallycross-Reifen erst, wenn sie die Haftungsgrenze überschritten haben und der Steuermann zum Driftkünstler wird. Willkommen in der Zukunft. Drauftreten, und der Teilchenbeschleuniger im Fiesta-Kleid stürmt vorwärts – mächtig, fürchterlich und sofort. In irren 40 Millisekunden stehen bei der E-Rakete 1000 Newtonmeter Drehmoment an. Zum Vergleich: Beim turbobefeuerten Fiesta WRC aus der Rallye-WM, nun wahrlich auch kein Schlafwagen, hätte da gerade einmal die Drosselklappe geöffnet, und nach einer gefühlten Ewigkeit wären bei 5300 U/min maximal 450 Newtonmeter angestanden. Auch deshalb müssen Stohls Techniker genau darauf achten, wie sie das Motormanagement programmieren. Nur wenn das Drehmoment pragmatisch ansteigt und nicht wie ein Urknall auf die dann chancenlosen Übertragungswellen trifft, reissen diese auch nach mehreren Beschleunigungsorgien nicht ab.

Dem Gastpiloten fehlt weiterhin die gewohnte Rückmeldung des Motorengeräusches, wie man beim Bremsen öfters hört, wenn der Antriebstrang zugemacht hat und kurze Rauchfahnen von stehenden Rädern zeugen. Ansonsten lässt sich das 1450 Kilogramm schwere Allradmonster zielsicher bewegen. Verständlich, die perfekt ausbalancierten Hochvoltbatterie sorgt für einen tiefen Schwerpunkt und eine optimale Gewichtsverteilung von 50:50 und damit echtes Kartfeeling. Auch kontrollierte Drifts – in Allradboliden oft ein Kunststück – lassen sich in jedwedem Kurvenradius, ob auf Schotter oder Asphalt, gut realisieren. Einziges Handicap: Man bewegt sich mit dem Elektro-Fie­sta zügig in extremen Geschwindigkeitsbereichen.

Komische Dinge gehen vor sich

Nichts könnte dies besser beschreiben als die Gewaltexzesse beim stehenden Start mit der Launch- Control genannten Startautomatik, die am Lenkrad passenderweise mit einer Rakete symbolisiert wird. Zuvor wird, ebenso per Knopfdruck, erst die vordere und dann die hintere Achse entkoppelt, um die vorderen und hinteren Reifen getrennt voneinander auf optimale Betriebstemperatur zu bringen. Jetzt ist alles für den ultimativen Ritt bereit. Die folgende Koordination hält sich in Grenzen. Der linke Fuss ruht neben der Pedalbox und kommt erst beim Bremsen zum Einsatz, mit dem rechten wird Vollgas gegeben. Die Hände lassen zeitgleich die Handbremse sowie den Raketenknopf am Lenkrad los. Explosionsartig schnalzt die Fuhre aus den Startlöchern. Die erste und schnellere von zwei Kurven fliegt uns entgegen. Das Problem ist nicht der Null-auf-Hundert-Stundenkilometer-Exzess in deutlich unter zwei Sekunden, sondern die Tatsache, dass die katapultartige Beschleunigung auch danach nicht durch einen Schaltmoment oder Turboloch unterbrochen wird. Gehirn, Augen und Körper des ungeübten Fahrers sind überfordert. Im Körper gehen komische Dinge vor sich. Kaum habe ich gebremst und eingelenkt, steht mir mein Frühstück im Hals. Mund zu, in die zweite Ecke und von dort sofort quer durchs Infield an die Box. Raus aus dem Auto. Auf den drei Metern bis zur Boxenmauer schnell den Helm runter und dann raus mit dem Kaffeegemisch. Noch grün im Gesicht höre ich den herbeigeeilten Fahrzeugbesitzer: «Du musst dich nicht schämen», lacht Stohl, «du bist nicht der Erste, dem das passiert.» Zwanzig Minuten Pause, um den Boliden voll aufzuladen, werden für eine magenberuhigende Cola genutzt, um anschliessend erneut knapp 15 Minuten über die Rennpiste zu toben.

Das ist Stard

Im Jahr 2009 dachte Manfred Stohl erstmals über ein Elektroauto auf Basis eines Gruppe-N-Mitsubishi nach. Doch der Investor entschied sich im letzten Moment dagegen. Der zweite Anlauf verzögerte sich, da der Batteriehersteller vor der Fertigstellung in Konkurs ging und der Elektropionier mit einem fertigen Prototyp auf Peugeot-Basis und einem Finanzloch dastand. 2014 machte sich Stard (Stohl Advanced Reseach & Development) selbst ans Werk und entwickelt seither nicht nur Hochvoltbatterien, sondern auch die komplette Software sowie in Kooperation mit Brusa Motoren und Inverter. Zu den Kunden zählen Teams, die mit dem Stard Revelution genannten Antriebsstrang arbeiten oder ein fertiges Auto für den Rallye- oder Rallycross-Einsatz kaufen, aber auch Hersteller. «Wir sind stolz darauf, Entwicklungspartner unter anderem bei Ford, PSA oder Nissan zu sein. So wickeln wir ganz unterschiedliche Projekte ab, von der Konzeption der Batterieeinheit über das Design des Antriebsstrangs bis hin zu Komplettfahrzeugen», so Stohl.

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