Gibt es eine schönere Art, eine Serie über die Schweizer Automobilhersteller abzuschliessen als mit dem berühmtesten unter ihnen? Damit ist natürlich Franco Sbarro gemeint, herausragender Ingenieur und Mechaniker, Designer mit Weltruf, brillianter Erfinder, hervorragender Motorist: Der Italiener ist ein einzigartiges Genie. In seinem Blaumann – «ich bin sowohl Chef als auch Arbeiter, selbständig und frei, das zu tun, was mir gefällt», sagt er – begrüsst uns der 82-Jährige im Waadtland bei sich zu Hause in Grandson am Ufer des Neuenburgersees. Es ist Samstag, denn «während der Woche habe ich zu viel Arbeit, ich stehe täglich um 5.30 Uhr auf». Ein arbeitswütiger Mensch, der seit über fünfzig Jahren von sich reden macht dank der Art und Weise, wie er seine Kreationen konstruiert und baut. «Ich wollte mich immer unterscheiden, auch wenn ich mich deshalb immer wieder übertreffen musste», so die Erklärung des Meisters. Ein Rückblick auf das aussergewöhnliche Lebenswerk eines automobilen Künstlers.
Der 1939 geborene Francesco Zefferino Sbarro ist der jüngste Spross einer Familie aus Presicce, einem kleinen Dorf am Absatz des italienischen Stiefels. Ein Dorf, wo «ein vorbeifahrendes Auto seinerzeit noch ein so seltenes Ereignis war, dass es angekündigt wurde», erinnert sich Sbarro sichtlich amüsiert. Genau zu dieser Zeit erwachte die Leidenschaft des Jungen für die Mechanik: «Unsere Armut und Abgeschiedenheit waren wohl die entscheidenden Auslöser für meine Zukunft.» Und weiter: «Ab dem Alter von neun Jahren dachte ich nur noch an eine Sache: Motorräder und Roller zu reparieren.» Doch der junge Mann sieht rasch ein, dass seine Ambitionen nur fern von zu Hause erfüllt werden können: «Ich war davon überzeugt, dass es woanders als in diesem verlassen Kaff etwas gab, wo ich meine Erfüllung finden konnte. Ich verliess also Schule und die Familie und studierte in Lecce.» Dort vollendet Sbarro seine allgemeine sowie technische Ausbildung: «Ich konnte von meinen Eltern nicht verlangen, dass sie mir auch noch meine Mechanikbücher kauften. Deshalb hatte ich für die Fächer Wissenschaften und Mathematik keine Schulbücher und sparte mein Geld für den Kauf von Mechanikhandbüchern.»
«Mein erstes Werk»
«Leider verunglückte mein Vater mit einem Motorrad fast tödlich, als ich 15 Jahre alt war. Auf einer Ducati mit 65 Kubikzentimetern, welche er auf mein Drängen hin gekauft hatte.» Für Sbarro ist das Unfall-Motorrad seines Vaters die Gelegenheit, sein Talent zu beweisen: «Nach dem Richten des Rahmens und der Reparatur der Mechanik habe ich das Zweirad völlig umgestaltet und mithilfe von gehämmerten Blechteilen eine neue Karosserie geschaffen. Das war in Wirklichkeit meine erste Kreation, denn ausser der Mechanik hatte ich die gesamte Charakteristik des Zweirads mit einer neuen Karosserie gestaltet, so wie ich das danach sehr oft praktiziert habe.»
Am Ende seines Studiums weiss Sbarro, dass die Stadt Lecce seinen Ambitionen nicht gerecht werden kann. «In den 1950er-Jahren war die Schweiz dank der gut bezahlten Arbeitsplätze eine Art Amerika für die Süditaliener. Viele von ihnen emigrierten darum dorthin, auf der Suche nach einem besseren Leben. Vor meinen letzten Prüfungen hatte ich mich bei Esco beworben, einer Werkzeugfabrik in der Uhrenindustrie bei Geneveys-sur-Coffrance. Am 2. Oktober 1957, einen Tag vor meiner Abreise, gab es eine grosse Überschwemmung in der Region, bei der zahlreiche Motorräder und Roller beschädigt wurden. Ohne mich weiter um einen Vertrag als Emigrant zu kümmern, arbeitete ich mehrere Wochen an deren Reparatur. Ich wollte dann am 27. November in die Schweiz einreisen, obwohl der 15. November als letzter Termin festgestanden hatte. Während die Polizei meine Entschuldigung bei meinem Arbeitgeber überprüfen wollte, musste ich zwei Nächte in Untersuchungshaft verbringen, bevor ich einreisen durfte.»
Ankunft in der Schweiz
Der 17-jährige Mann kommt also mit wenigen Taschenbüchern in der Schweiz an. Der fleissige Schüler ist aber auch ein fleissiger Arbeiter. «Als Dreher hatte ich kaum Erfahrung, denn ich hatte in Italien wenig an Drehbänken gearbeitet. Man stellte mich also an eine kleine Schaublin-Maschine, um meine Fähigkeiten zu testen. Mein Chef war mit meiner Leistung zufrieden, und ich konnte bald an einer grossen Oerlikon weitermachen, mit der ich grössere Aufträge erledigen konnte», erinnert sich Sbarro.
Zehn Monate später, im September 1958, kommt es zur Krise in der Manufakturen-Industrie. Sbarro wird im Oktober entlassen, schafft es aber, in der Werkstatt von Richter in Le Landeron NE am Bielersee Arbeit zu finden. Als Mechaniker hat er bald die Gelegenheit, eine andere Aufgabe zu übernehmen: «Der Besitzer eines Borgward bot mir an, die Vertragswerkstatt von Salvenach, 35 Kilometer von Neuenburg entfernt, zu übernehmen.» Das Angebot nimmt der junge Sbarro sofort an: «Das war für mich eine klare Verbesserung.» Obwohl der Besitzer von Sbarro fordert, täglich und am Wochenende von sechs bis 22 Uhr geöffnet zu haben. Der fleissige Italiener krempelt die Ärmel hoch: «Ich war Mechaniker und Tankstellenbetreiber zugleich. Ich lebte wie ein Mönch, verzichtete auf alles, und lebte nur noch für meine Leidenschaft.»
Gleichzeitig schafft es der junge Sbarro, seinen ersten Prototyp zu konstruieren: «Es war eine Barquetta, ein Rennauto, mit einem Rohrrahmen und dem Antrieb eines verunfallten Fiat 600.» Sbarro hatte die übertriebenen Forderungen des Werkstatteigentümers satt und zog weiter in die BMW-Werkstatt von Yverdon VD: «Dort lernte ich Graf Herbert de Caboga kennen, der mir viel Arbeit anvertraute und mich seinem Chef, Georges Filipinetti, vorstellte, einem Genfer Unternehmer, der das Schloss Grandson bewohnte.» Und weiter: «Die Gespräche waren in Französisch gelaufen, aber Filipinetti hatte im Verlauf der Verhandlungen auch den italienischen Satz gesagt: ‹Sarai capo della scuderia› – übersetzt ‹Du wirst der Chef meines Rennstalls.›»
Der Anfang der Konstruktion
Der junge Franco Sbarro verlässt die automobile Kreation mit Bedauern, doch in den Jahren der Scuderia Filipinetti sammelt er viel Erfahrung. Es ist das goldene Zeitalter des Motorsports mit den Porsche 904 (gefahren von Herbert Müller und Claude Sage), Ferrari P1 und Ford GT 40 in Le Mans. Die Scuderia Filipinetti feiert auch Erfolge bei der Targa Florio und den 24 Stunden von Le Mans, wo sie die GT-Klasse 1967 gewinnt. Aber die Schaffensleidenschaft des Mechanikers ist nicht zu bremsen. 1965, als der junge Sbarro am Prototyp eines Käfers arbeitet, macht Georges Filipinetti einen Überraschungsbesuch im Rennstall des Schlosses, wo er arbeitet. «Er entdeckte mein Geheimnis und erlaubte mir, daran weiter zu arbeiten. Unter der Bedingung, dass das Auto seinen Namen trägt», erinnert sich Franco Sbarro.
So entsteht der erste Filipinetti im Jahr 1966 mit eleganter Linienführung, hochwertigem Interieur mit viel Leder und Holz. Die Nummer zwei, Filipinetti II genannt, folgt rasch. Die Basis ist ein Volkswagen 1600 TL und so gut konstruiert, dass er auf dem Genfer Autosalon 1967 gezeigt wird. Sbarro will ab sofort nur noch selbständig arbeiten. Deshalb gründet er 1968 mit Graf Herbert de Caboga das A.C.A. (Atelier de Construction Automobile) Sbarro.
Der erste echte Sbarro
Danach folgen die Rennautokreationen wie die Formel 5000 und Formel Can-Am, der Dominique III sowie Lola T-70 Mk III und Mk IIIB. Der breiten Öffentlichkeit wird er erst mit dem SV1 (Safety Vehicle) 1973 bekannt. Auf dem kleinen Stand (60 Quadratmeter) in Genf wird das Auto von der Presse mit Begeisterung aufgenommen. Es hatte nichts Konventionelles: «Der SV1 hatte zwei gekoppelte Wankelmotoren mit drei Sicherheitskäfigen», sagt Sbarro noch heute begeistert. Daraus ergab sich ein weiteres Modell, Stash genannt, den Pierre Cardin auf dem Pariser Salon 1975 persönlich präsentierte.
Kampf über 3500 Kilometer
Ende der 1970er- und 1980er-Jahre folgen weitere Sbarro-Projekte: «Ich war überzeugt, dass die 4×4 eine Aufwertung brauchten.» 1978 kam der erste Windhound mit einem BMW-6-Zylinder und geräumigem Innenraum sowie aufblasbaren und beheizbaren Ledersitzen. Ein echter Geländewagen. Das Auto findet die Beachtung eines Paris-Dakar-Teilnehmers. Am Start der zweiten Rallye Raid tritt das Auto gegen echte Wüstenfahrzeuge an. Der ungleiche Kampf dauert immerhin 3500 Kilometer, bis der Windhound nach einem schweren Unfall aufgeben muss. Sbarro restauriert ihn und legt eine Kleinserie mit zwölf Exemplaren auf. Unter anderem mit dem Windhawk des Saudikönigs Chalid, einer sechsrädigen Variante des Windhound. Das Auto dient für die Gazellenjagd mit Inox-Waschbecken, Chemie-WC und ausfahrbaren Recaro-Sitzen: «Damit die Jäger ihren Kopf und das Gewehr durch das immense Schiebedach stecken konnten», so Sbarro.
In den Jahren 1982 und 1984 zeigt Sbarro, beide Male am Auto-Salon in Genf, die Super Twelve und Eight. Der erste hat zwei Kawasaki-Sechszylinder und der zweite einen V8 des Ferrari 308 GTBi, von manchen «Ferrari für die Stadt» genannt. 1985 stellte Sbarro den uninspirierten Volumenherstellern mit dem Challenge ein extrem stromlinienförmiges Auto mit einer absenkbaren Windschutzscheibe, damit die Insassen den Fahrtwind voll geniessen können, entgegen. In den 1980er-Jahre kommen Mercedes hinzu – bestellt vom Sultan aus Brunei sowie dem Scheich Chalifa aus Abu Dhabi. «Ich lasse ihnen völlig Carte blanche. Machen Sie, was Sie wollen», sind die Worte des Scheichs an Sbarro, als ihn dieser in Grandson besucht.
Jede Woche nach Marokko
Anfang der 1990er-Jahre lanciert Sbarro eines seiner beachtlichsten Projekte: seine Schulen. Mit dem Ziel, seine Vision des Autodesigns bestmöglich weiterzugeben, schafft er Espace Sbarro nach dem Prinzip des Eintauchens in den Lernstoff. Der Erfolg stellt sich sofort ein (von 240 Bewerbern werden im ersten Jahr nur 26 ausgewählt). Aus diesem Grund setzen Franco und Françoise Sbarro das Experiment in Frankreich (Espera Schule) sowie in Marokko (Crea Schule) fort. König Hassan II., der selbst treuer Kunde von Sbarro ist, errichtet sogar ein Gebäude für die jungen marokkanischen Schüler in Casablanca: «Zu dieser Zeit fuhr ich jeden Samstag, nach einer vollen Arbeitswoche, nach Marokko, um dort sicherzustellen, dass die Ausbildung korrekt läuft.»
Als eines der Ergebnisse der Lehrlinge von Espace Sbarro entsteht 1992 der Isatis. Eine weitere Entwicklung ist der Onyx, ebenso wie eine Überarbeitung des Citroën ZX. In Genf werden Prototypen im Beisein der Schüler enthüllt, die von den Aufgaben und dem Arbeitsrhythmus, die Sbarro vorgibt, erschöpft wirken. Es folgen die Fahrzeuge der Jahrgänge 1994 und 1995, der Oxalys und der Alcador.
Fünf Konzepte für Genf
1996 zeichnet Sbarro die Kurven des Issima, eines Prototyps, den die Schule im Auftrag von Alfa Romeo entwirft. Das ist der Beginn einer Zusammenarbeit mit den Herstellern: 1997 entsteht der Lancia Ionos und 1998 der Peugeot Crisalys. Die Partnerschaften halten bis in die 2000er-Jahre. Die Schule Espera in Pontarlier (F) unterhält sehr gute Beziehungen zu den Herstellern. Es folgen die 2010er-Jahre mit weiteren Entwürfen zahlreicher Fahrzeuge, darunter Autobau, Yamaha XJ6 Caddy, 2010, Miglia oder Rush. Und die lange Liste von Sbarro ist noch immer nicht zu Ende: «Zuletzt sollten wir fünf neue Konzepte in Genf vorstellen, leider war das nicht möglich.» Doch das ist nur aufgeschoben. Falls der Salon 2022 stattfindet, wird Sbarro dabei sein und die Autowelt weiterhin inspirieren und bereichern. Wir sehen dem mit Ungeduld entgegen. Und Sie?