Wie Sie vermutlich beim Tanken schon bemerkt haben werden, ist der Preis für den Liter Benzin in den letzten Monaten wieder angestiegen. Von rund 1.40 Franken im letzten Herbst ist der Durchschnittspreis für den Liter auf derzeit über 1.60 Franken gestiegen. Dieser Anstieg ist unter anderem auf die in der Schweiz seit 1. Januar 2021 geltende Erhöhung der Mineralölsteuer um 3.7 Rappen pro Liter zurückzuführen. Der Hauptgrund für den Anstieg ist jedoch wie immer der stark gestiegene Ölpreis. Im Gegensatz zu rund 38 Dollar im Oktober 2020 notiert Rohöl der Sorte Brent heute bei 65 Dollar pro Barrel. Eine Steigerung um 70 Prozent, die durch die Aussichten auf eine Erholung der Weltwirtschaft angeheizt wird: Nachdem der Ölverbrauch 2020 auf 95 Millionen Barrel pro Tag zurückgegangen ist, wird erwartet, dass er in den kommenden Monaten allmählich wieder auf 100 Millionen Barrel pro Tag anziehen wird. Und diese Erwartungen werden durch die Corona-Impfungen noch zusätzlich verstärkt. «Der Anstieg des Ölpreises fällt mit der Verteilung eines wirksamen Impfstoffs gegen Corona zusammen», erklärt Mathieu Grobéty, Direktor des Instituts für angewandte Wirtschaftswissenschaften Crea der Universität Lausanne. «Es sind die Vorboten eines Aufschwungs, der mit der weltweiten Rücknahme von Beschränkungen erwartet wird.»
Chinesischer Hunger
Die allmähliche Verteilung der Impfstoffe befeuert die Aussichten auf eine Rückkehr zum normalen Konsum. China, der weltweit grösste Käufer von Öl, ist bereits dazu übergegangen, wieder mehr Öl zu verbrennen als 2020. Doch neben dem Nachfrageschub aus China ist ein weiteres Phänomen zu beachten, das den Anstieg der Barrelpreise erklären hilft: eine Verringerung des Angebots durch die Hauptförderländer. «Der Grund ist, dass die Ölproduzenten in den letzten Jahren ihre Investitionen in neue Projekte zurückgefahren haben, was sich auf das Angebot ausgewirkt hat», erklärt Mark Dittli, Chefredakteur von «The Market», einer der NZZ angeschlossenen Website für Wirtschaftsnachrichten.
Darüber hinaus beschloss die Organisation erdölexportierender Länder (Opec), ihre tägliche Fördermenge um rund 650 000 Einheiten auf 24.85 Millionen Barrel zu reduzieren. Es war das Opec-Schwergewicht Saudi-Arabien, das entschied, die Förderung um eine Million Barrel pro Tag zurückzufahren, und damit anderen Opec-Ländern ermöglichte, ihre Produktion leicht zu erhöhen.
Durch die künstliche Verknappung des Öls hoffte man, den Preis für ein Barrel in die Höhe zu treiben. «Der aktuelle Ölpreis von 60 bis 70 Dollar pro Barrel ist für Ölproduzenten wie die Golfstaaten extrem profitabel, nicht aber für die US-Schieferölindustrie», sagt Dittli. «Wenn der Ölpreis über 80 Dollar steigt, nähme das Angebot an US-Schieferöl wieder zu. Allerdings hat Saudi-Arabien kein Interesse daran, dass das amerikanische Fracking zu profitabel wird. Es ist gewissermassen immer noch ein Kampf zwischen Saudi-Arabien und Texas.»
Die Entscheidungen der Opec mögen einen wichtigen Einfluss auf die Benzinpreise haben, aber noch bedeutender ist nach Ansicht von Mark Dittli der Hunger des chinesischen Drachens: «Ich gehe davon aus, dass China erst aufhören wird, Öl an den Märkten zu kaufen, wenn der Preis für ein Barrel 80 Dollar überschreitet», sagt Dittli. «Dann wird es dazu übergehen, seine signifikanten strategischen Reserven anzuzapfen, die es im Verlauf der letzten zwei Jahre aufgebaut hat.» Sobald also der Ölpreis China nicht mehr passt, hat das Land es selbst in der Hand, ihn wieder auf ein niedrigeres Niveau zu bringen.
Kein Druck durch Elektrofahrzeuge
Ein weiterer Faktor, der den Ölpreis unter Druck setzen könnte, ist die rasante Zunahme von Elektrofahrzeugen: Für die Verbraucher gibt es bei der Mobilität nun eine Alternative zum Benzin. «Man spricht bei der Ölnachfrage von einem Wendepunkt im Jahr 2028. Das ist die grösste Angst der ölproduzierenden Länder», erklärt Laurent Horvath, ein Geoökonom mit Schwerpunkt Energie. Allerdings sei es noch viel zu früh, um auf eine Auswirkung auf die Preise zu hoffen. «Es gibt einen starken Trend zum Ersatz von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor durch Elektroautos, aber davon, dass dadurch der Ölpreis unter Druck gerät, sind wir noch weit entfernt», bestätigt Mathieu Grobéty. Auch Mark Dittli stimmt zu: «Ich glaube nicht, dass die Elektromobilität in den nächsten sechs Jahren eine entscheidende Rolle spielen wird. Studien zufolge wird es im Jahr 2030 insgesamt 116 Millionen Elektroautos geben, das sind knapp acht Prozent der dann weltweit existierenden 1.4 Milliarden Fahrzeuge. Die Hälfte der bis dahin neu angeschafften Fahrzeuge, also 100 Millionen, werden weiterhin Benziner sein.» Allerdings prognostiziert der Electric Vehicle Outlook 2020 von Bloomberg, dass der Anteil der Elektroautos an der gesamten Fahrzeugflotte weltweit im Jahr 2040 auf 31 Prozent steigen wird.
Verschiebung an der Zapfsäule
Wer nach wie vor auf Benzin setzt oder keine andere Wahl hat, erkennt, dass der Benzinpreis mit dem Ölpreis schwankt – aber eben nicht parallel. Viele Menschen haben das Gefühl, dass der Preis pro Liter dem Anstieg des Ölpreises viel stärker folge als einem Rückgang. Oder anders ausgedrückt: Viele haben den Eindruck, dass der Literpreis in der Regel schneller steigt als er fällt. Ist das wirklich so, oder ist das nur eine subjektive Wahrnehmung? Für Laurent Horvath ist klar: «Wenn der Ölpreis fällt, wird der Preis an der Zapfsäule innerhalb von 15 Tagen weitergegeben, wenn er steigt, innerhalb von zwei Tagen. Wenn Sie eine Tankstelle besitzen, wollen Sie Geld verdienen und halten die Preise so lange wie möglich hoch, um mehr Marge zu erzielen.» Mathieu Grobéty stellt ebenfalls eine Asymmetrie fest – beobachtet aber einen anderen Zeitraum: «Nach unseren Beobachtungen führt ein Anstieg des Rohöls der Sorte Brent um zehn Prozent zu einem Anstieg des Preises an der Zapfsäule um drei bis 3.5 Prozent. Dieser zeigt sich in der Regel innerhalb von zwei oder drei Monaten.» Der Wirtschaftswissenschaftler fährt fort: «Wenn der Preis für ein Barrel steigt, schlägt die Zunahme stärker auf die Preise an der Zapfsäule durch als bei einem Rückgang. Der Grund liegt in den Margen: Tankstellen nutzen den Preisrückgang bei Rohöl, um ihre Margen zu erhöhen. Sie geben den Preisrückgang nicht vollständig weiter.» Roland Bilang, Präsident von Avenergy, dem Dachverband der Schweizer Ölimporteure, weist darauf hin, dass der Einfluss des Rohölpreises auf den Endverbraucherpreis nur «25 bis 30 Prozent» betrage. Er betont, dass der Anteil staatlicher Steuern bei uns etwa 90 Rappen vom Benzinpreis ausmache.
Kein Rückgang in Sicht
Autofahrer können in den kommenden Monaten jedenfalls nicht auf einen Rückgang des Ölpreises hoffen, da die Nachfrage durch die langsame Erholung weltweit weiter gestärkt wird. Beobachter erwarten aber andererseits wegen der grossen chinesischen Nachfrage auch keine Neuauflage der Zeit von 2002 bis 2008, als das Öl 150 Dollar pro Barrel kostete. «Ein Barrelpreis von 65 Dollar ist für Saudi-Arabien perfekt», erläutert Mark Dittli. Dabei denkt der Ökonom aber nicht nur an das US-Schieferöl, das wegen des komplizierten Frackings erst bei einem höheren Barrelpreis profitabel ist. Steigende Preise, sinkende Preise – wenn es etwas gibt, das sich beim Öl nicht ändert, dann sind es die dahinter verborgenen Kämpfe um Einfluss und geopolitische Konflikte.