Wie ein iPhone, das selber lernt

Der ­Formel-1-Neuling war bei den Tests hinter Max Verstappen schnellster Pilot. Der Japaner lernte bei Andreas Jenzer.

Die Ruhe vor dem Sturm? Yuki Tsunoda vom Team Alpha Tauri-Honda ist einer von drei ­Formel-1-Neulingen in diesem Jahr.

Yuki Tsunoda, Pilot im Team von Alpha Tauri-Honda, ist dieses Jahr einer von drei Neulingen in der Formel 1. Mit ­einer Grösse von nur 1.59 Meter und 20 Jahren ist er der kleinste und jüngste Pilot der Königsklasse. Der Japaner aus Kanagawa bei Tokio hat auch keinen klingenden Namen wie Klassenneuling Mick Schumacher oder dessen Haas-Teamkollege Nikita Mazepin, der freilich mit Negativschlagzeilen Berühmtheit erlangte. Tsunoda wird in der Formel 1 trotzdem auffallen, davon ist Andreas Jenzer überzeugt. Der Rennstallbesitzer aus Lyss BE kümmert sich seit nahezu 30 Jahren um den Rennfahrernachwuchs – während der Formel-3-Saison 2019 auch um den Japaner.

Automobil Revue: Andreas Jenzer, wie kamen Sie und Ihr Team zum Nachwuchspiloten, der Red Bull und Honda im Rücken hatte?

Andreas Jenzer: Der Vertrag kam im Spätsommer 2018 zustande. Helmut Marko, Motorsportchef des Formel-1-Teams Red Bull, hatte bei mir quasi ein Cockpit für die FIA-Formel-3-Meisterschaft 2019 geordert. Er brauche dieses für den japanischen Formel-4-Champion, der später bei Red Bull Formel-1-Pilot werden solle. Anfang Dezember 2018 stieg Yuki bei den dreitägigen F3-Tests in Abu Dhabi erstmals in einen Jenzer-Rennwagen.

Und welchen Eindruck hatten Sie von ihm?

Yuki war schon 19-jährig und deshalb recht selbständig. Wir hatten für ihn in Lausanne, in der Nähe seines Sportstudios, eine kleine Wohnung gemietet und ihm ein Auto besorgt. Er musste sein Land, seine Kultur, für die Karriere in Europa hinter sich lassen. Aber, das kann ich behaupten, Yuki hat sich in der Schweiz sehr wohl gefühlt.

Welches Zeugnis stellen Sie dem ehemaligen Rennfahrerlehrling aus?

Yuki war zweifellos ein sehr spezieller Schüler. Uns hat überrascht, wie schnell er immer noch schneller wurde. Wenn ich seine Auffassungsgabe heute umschreiben soll, dann sage ich gerne: Yuki ist wie ein iPhone, das selber lernt. Wenn er einen Fehler macht, dann macht er diesen kein zweites Mal. Schaut man sich Testfahrten von ihm an, dann bemerkt man in der ersten Runde fünf Fehler, eine Runde später sind es nur noch deren vier und so fort. Und wenn er an die Box zurückkommt, hast du nichts mehr zu mäkeln.

Zweifellos eine Besonderheit! Gibt es weitere?

Ich habe in all den Jahrzehnten selten einen Fahrer gesehen, der so zügig gelernt hat. Yuki fiel auch anderweitig auf. Motorsport interessierte ihn eigentlich nicht. Er schaute sich keine Formel-1-Rennen an, und bis auf Ayrton Senna kannte er kaum einen Rennfahrer. Er interessierte sich auch nicht für seine Konkurrenten. Das einzige, was ihn interessierte, war er selbst. Bei einer Umfrage, bei der die jungen Piloten Lieblingsfarbe, Lieblingsmode oder Lieblingsland et cetera preisgeben mussten, antworteten viele der Jungs auf die Frage des Lieblingsfahrers mit Senna oder Michael Schumacher – bis auf Yuki, der Tsunoda nannte.

Bei den F1-Testfahrten in Bahrain war Tsunoda nach drei Tagen hinter Max Verstappen der Schnellste. Überrascht hat Sie das wohl nicht?

Bei Formel-1 Tests ist vieles auch Taktik, und nicht zuletzt muss das Paket stimmen, was bei den Teams von Red Bull und Alpha Tauri sowie deren Motorenlieferant Honda zu passen scheint. Trotzdem hat mich Yukis Leistung nicht überrascht. Er ist ein grosses Talent, das uns schon bei den F3-Tests im Dezember 2018 vom Hocker gehauen hat.

Was trauen Sie dem ehemaligen Schützling in der ersten Formel-1-Saison zu?

Viel, wirklich sehr viel. Sein Gespür im Umgang mit Reifen ist schlicht grandios! Ich erinnere mich an einen Test, bei dem wir einen Rennen simuliert haben. Nach zwei Dritteln der Renndistanz waren die Reifen am Formel 3 von Yuki zerstört. Natürlich haben wir mit ihm gesprochen – aber ganz ehrlich, ich glaube, er hat das herausgefordert, weil er wissen wollte, was diese Reifen aushalten. Seine Resultate als Formel-3-Neuling waren in der ersten Saisonhälfte 2019 bescheiden (Gesamtrang 9 – Red.). Sie waren es auch, weil Yuki es oft übertrieben hat. Oder treffender: Er hat sich bewusst am und über dem Limit bewegt, um zu verstehen, was möglich ist und was gar nicht geht. Ab Herbst stand er dann regelmässig auf dem Podest – auch als Sieger. Im Jahr darauf, als er in die Formel 2 wechselte und den Rennsport in Europa besser kannte, gehörte er lange zu den Titelkandidaten und wurde schliesslich Dritter. Ein Fahrer, der wie Yuki nach Europa kommt und bereits zwei Jahre später in der Formel 1 ist – das habe ich lange nicht erlebt. Ich bin sehr gespannt!

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