Man kennt das Vorurteil: Chinesische Autos sind billig gemacht, schlecht verarbeitet und funktionieren ohnehin nicht richtig. Mehr und mehr kommen die verschiedenen Marken aus China nach Europa, und es bieten sich Gelegenheiten, diese zu fahren und zu testen. Vor einigen Jahren war Qoros die vielversprechende Marke der Zukunft. Nach einem grossen ersten Auftritt folgte aber nicht viel. Mit der Verbreitung von Elektroautos nahm die Wichtigkeit chinesischer Autos in Europa dann wieder zu, schliesslich soll China Elektrovorreiter sein. Heute sind es JAC, Xpeng und Aiways, die so etwas wie eine Marktpräsenz haben in Europa – nur mit Elektro-SUV.
Kooperation mit bekannten Namen
Aiways Massenmodell für Europa soll vorerst der U5 sein. Das Elektro-SUV wurde im März 2019 in Genf präsentiert, kurz darauf in Europa zugelassen und wird seit einigen Monaten auch verkauft. In der Theorie klingt alles schon einmal sehr vielversprechend: Entwickelt unter anderem in Zusammenarbeit mit Bosch, Benteler, Georg Fischer und Autoneum, eine 63-kWh-Batterie und 400 Kilometer Reichweite, Laden in 35 Minuten, dazu eine ganze Menge Assistenzsysteme. Und auf den ersten Blick wirkt alles nett gemacht. Die Farbkombination aus hellen Lederbezügen und dunkelbraunen Kunststoffelementen ist elegant, die Lüftungsdüsen wurden dezent ins Armaturenbrett integriert, und in den Halbschalensitzen aus perforiertem, weissem Leder sitzt es sich bequem.
Die ganze Anzeige ist auf vier Bildschirme verteilt: auf das 12.3-Zoll-Infotainment und auf drei Bildschirme im Sichtfeld des Fahrers. Beziehungsweise eben nicht ganz im Sichtfeld, denn das oben abgeflachte Lenkrad lässt sich beim besten Willen nicht so einstellen, dass es nicht immer irgendwo einen Teil der Instrumente verdeckt. Natürlich interessiert aber vor allem: Wie fährt sich der Aiways U5 sich?
Längsdynamik ja – Querdynamik naja
Mit 140 kW (190 PS) und 315 Nm zieht der U5 kräftig an – typisch Elektro halt, vorwärts kommen die alle problemlos. Der U5 schafft das sogar noch einigermassen energieeffizient: Auf den rund 100 Kilometern, auf denen wir einen ersten Kontakt hatten mit dem Auto, lag der Durchschnitt bei rund 25 kWh/100 km. Angesichts der kalten Temperaturen und des wenig zurückhaltenden Fahrstils ist das akzeptabel. Weniger akzeptabel ist die Auslegung des Bremssystems. Der Übergang zwischen Rekuperation und mechanischem Bremsen ist unsanft und die Kennlinie unlinear.
Und wie sieht es mit der Querdynamik aus? Das Lenksystem vereine eine leichte Handhabung mit optimaler Lenkpräzision, sagt Aiways. Versprechen halb erfüllt, sagen wir. Die Lenkung ist leicht – also leichtgängig. Wer schon einmal an der Playstation eines dieser alten Logitech-Lenkräder benutzt hat, als Force-Feedback noch kein Thema war, kann sich vorstellen, wovon wir reden. Bei diesen Vorzeichen erübrigt es sich auch, über die weitere Kurvendynamik des 1.7 Tonnen schweren SUV zu diskutieren.
Theoretisch viel Technologie
«Der U5 verfügt über eine Vielzahl von Technologien und eine Reihe von hochmodernen Fahrerassistenzsystemen», verspricht der Hersteller. Dazu gehören ein adaptiver Tempomat, ein Spurassistent und weitere Assistenten, die ab 60 km/h das Auto teilautonom fahren können sollen. Aiways nennt das iDrive. Wir hoffen, dass das i nicht für intelligent steht, denn das ist das System nicht. Das Auto pendelt in der Spur, der Tempomat beschleunigt und bremst nach Belieben, und das System aktiviert und deaktiviert sich im Sekundentakt. Auch parkieren soll das Auto selbständig können. Nach einigen Runden durch das Parkhaus erkennt er tatsächlich einen der vielen freien Parkplätze und beginnt schliesslich mit dem Parkieren – um nach drei erfolglosen Versuchen aufzugeben. Während ironischerweise ein Tesla-Fahrer gleich gegenüber elegant seinen Wagen einparkieren lässt.
Das Beruhigende ist: Wenn das der chinesische Standard ist, muss sich die europäische Autoindustrie noch keine Sorgen machen, wenigstens aus technischer Sicht nicht.
Die technischen Daten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der AUTOMOBIL REVUE.
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