Um was geht es überhaupt? Die Geschichte hat ihren Anfang vor über zehn Jahren, und sie ist ein Kampf der sportlichen Regularien in den USA und Europa. Die Kosten für LMP1-Prototypen in der Langstrecken-WM schossen regelrecht in die Höhe. Die Hersteller, in der Langstrecken-WM zuletzt Audi, Porsche und Toyota, operierten je länger desto mehr mit Budgets und Technik im Stil der Formel 1. Private Teams waren gegen solche Werkskonkurrenz zunehmend chancenlos und versuchten sich in der LMP2-Klasse. Jenseits des Atlantiks hatten die LMP1-Autos keine Chance mehr, als die Grand-Am Series und die American Le Mans Series 2014 fusionierten und sich für nur noch eine Sportwagenserie entschieden, in deren Topklasse später DPi-Autos fuhren (Daytona Prototype international). Und: Die Amis wollten vor allem eigene Hersteller siegen sehen.
Noch mehr Schwung
Alles auf Anfang, zumindest ansatzweise, gilt nun nach dem Ende der LMP1-Ära. Hypercars und LMD-Sportwagen sind die neue Spitze, und sie sollen leistungsmässig auf Augenhöhe sein. Hypercars (auch als LMH bezeichnet) können Hersteller im Rahmen der Regeln selbst entwerfen (Chassis, Antriebsstrang, Karosserieform, mit oder ohne Hybridsystem, bis 680 PS). Toyota und Peugeot haben sich dafür entschieden. LMD-Sportwagen (Le Mans Daytona) dagegen sind zusammengesetzt aus einem Chassis, das von vier Herstellern geliefert wird, Hybridsystem sowie Getriebe sind vorgegeben, Motor und Karosserie können gemäss Reglement selbst gebaut werden. Ein LMD-Bolide soll nur noch rund eine Million Euro kosten. Audi und Porsche haben sich für diese Variante entschieden, die auch in den USA Anklang gefunden hat. Sowohl die 24 Stunden von Le Mans als auch jene von Daytona können künftig mit einem Auto gefahren, aber auch gewonnen werden. Die Zukunft gehört dem LMD-Reglement, davon ist auszugehen.
Ferrari will wie Toyota und Peugeot den teureren LMH-Weg gehen, also ein eigenes Fahrzeug konstruieren (das dann wohl auch gleich Basis für ein Strassenmodell sein dürfte). Ansonsten ist noch nicht viel klar, es gibt noch kein Team, es gibt noch keine Fahrer, es gibt noch keinen Chef. Aber allein die Ankündigung, dass die Italiener zum 100. Jahrestag der 24 Stunden von Le Mans wieder auf die legendäre Strecke zurückkehren werden, wird der neuen Serie weiteren Schwung verleihen und auch den anderen Teams bei der Suche nach Sponsoren helfen.
Die schönsten Anekdoten
2023 wird es zudem auch genau 50 Jahre her sein, dass Ferrari zuletzt mit einem Werksteam in Le Mans angetreten ist. Damals verlor die Scuderia den sicher geglaubten Sieg eine halbe Stunde vor Rennende an Matra. Den letzten Sieg in der Sarthe feierten die Italiener 1965, damals allerdings nicht mit einem vom Werk eingesetzten Fahrzeug – und mit Ed Hugus mit einem dritten Fahrer neben Rindt/Gregory, was wahrscheinlich gar nicht erlaubt war (eine der viele Le-Mans-Anekdoten, die dieses Rennen so einzigartig machen). Neun Le-Mans-Siege trägt Ferrari in seinem Palmares, alle stammen aus einer Zeit «when sex was safe and motor racing was dangerous». Schon der erste Sieg, 1949, war legendär, Luigi Chinetti sass während 22 Stunden und 48 Minuten am Steuer seines Ferrari 166 MM, sein Partner Lord Selsdon hatte sich eine Lebensmittelvergiftung zugezogen und konnte den späteren Ferrari-Importeur in den USA kaum unterstützen. Es bleibt die Hoffnung, dass die Italiener ab 2023 wieder solch wunderbare Geschichten schreiben.
Freue mich auf neue Geschichten von Ferrari in Le Mans. Das waren noch Zeiten, als mich Seppi beim Training im 917er-Langheck mitnahm und meinte, mit Passagier müsse er vorsichtig sein. Im Rennen könne er dann nicht so langsam fahren. Ich bin tausend Tode gestorben…