Wieder ein markanter Einbruch

Versicherungsvertreter und Immobilienmakler dürften Kundentermine wahrnehmen – Autohändler nicht. Das sei unverständlich, meint Urs Wernli im Interview.

Urs Wernli (70) ist seit 2003 Zentralpräsident des Auto Gewerbe Verbands Schweiz (AGVS). Zuvor war Wernli in verschiedenen Positionen in der Automobil-Zulieferbranche tätig.

Urs Wernli ist Zentralpräsident des Auto Gewerbe Verbands Schweiz (AGVS). Im Interview mit der AUTOMOBIL REVUE erläutert er, wie sich die Branche in Corona-Zeiten behauptet, was die erneute Schliessung der Showrooms bedeutet und welche Auswirkungen die Krise auf die Ausbildung der Jungen hat.

AUTOMOBIL REVUE: Das Autogewerbe gilt als systemrelevant, und die Werkstätten sind von Corona weniger betroffen. Inwieweit spürt das Autogewerbe trotzdem den Lockdown?

Urs Wernli: Die erneute Schliessung der Showräume bis Ende Februar 2021 ist für die Garagisten ein harter Schlag. Wir müssen leider wieder mit ­einem markanten Einbruch der Verkaufszahlen rechnen, denn der erlaubte digitale Handel kann den stationären Verkauf bei Weitem nicht ersetzen. Der Autoverkauf ist für die Markenbetriebe sehr wichtig. Die Umsätze aus Service- und Reparaturarbeiten helfen, die Einbrüche beim Verkauf abzufedern, können diese aber nicht kompensieren.

Sind grössere Betriebe bisher besser davon­gekommen als kleinere?

Von der Schliessung der Showräume weniger betroffen sind insbesondere Garagenbetriebe, die ihren Fokus auf Werkstatt- und Reparaturarbeiten sowie auf den Occasionshandel ausgerichtet haben. Markenhändler, die stark vom Neuwagenkauf abhängig sind, spüren den Umsatzrückgang umso deutlicher.

Könnten in diesem Zusammenhang der Livechat oder virtuelle Showrooms im Autokauf eine Möglichkeit sein, diesen eher anzukurbeln?

Livechat ist ein gutes Instrument, doch die Kunden benützen es noch zu wenig.

Bei FCA kann zur Überbrückung auch von der Couch aus durch den Showroom gewandert werden.

Ist Kurzarbeit auch ein Thema im Garagen­gewerbe?

Ja. Vor allem bei den Verkaufsberatern im Neuwagenhandel.

In einem Schreiben an Bundesrat Alain Berset hat der AGVS die Wiederöffnung der Showräume verlangt. Weshalb haben sich die Behörden bis jetzt dagegen gesträubt oder, anders ausgedrückt, was spricht gegen eine Öffnung?

Ziel der Ladenschliessungen sei es, die Anzahl der Kontakte generell zu mindern und in Bereichen des Verkaufs von Produkten, die nicht als Ausnahmen gelistet sind, Kontakte und damit mögliche Ansteckungen zu vermeiden. Verkaufsgespräche können hingegen online stattfinden. Ich frage mich, warum denn Versicherungsberater, Immobilienmakler oder dergleichen auf Terminvereinbarung hin Beratungsgespräche in ihren Lokalitäten oder zu Hause bei Kunden durchführen dürfen.

Die Neuimmatrikulationen von Personenwagen sind laut Bundesamt für Statistik 2020 gegenüber 2019 um knapp 24 Prozent zurückgegangen. 2019 waren es 312 902, 2020 noch 238 664. Und auch im Januar 2021 ging es weiter bergab. Wann sehen Sie Land?

Wenn sich die Pandemie abschwächt, wird sicher ein gewisser Nachholbedarf für vieles, auf das die Bevölkerung zurzeit verzichten muss, zu verzeichnen sein. Ob allerdings der Kauf eines Neuwagens ganz oben auf der Prioritätenliste steht, ist offen. Ich erwarte frühestens ab 2022/23 wieder Verkaufszahlen, die annähernd auf dem Niveau von vor Corona sein werden. Das sagen auch die Konjunkturforschungen von BAK Economics (Basler Arbeitsgruppe für Konjunkturforschung – Red.) voraus, mit dem wir zusammenarbeiten.

Im Gegensatz zu den Neuwagen liefen die Verkäufe von Occasionsfahrzeugen im vergangenen Jahr gut. Welches waren die hauptsächlichsten Gründe dafür?

Aufgrund der Angst vor Ansteckungen im öffentlichen Verkehr hat das Auto noch mehr an Beliebtheit gewonnen. Gute Occasionen sind gefragt, weil sie sofort lieferbar sind, von den Garagen gut gewartet wurden und zu fairen Preisen zu kaufen sind.

Inwiefern beeinflusst Carsharing das Garagengeschäft?

Es ist eine Entwicklung im Gang, aber es hat im Moment noch keine substanzielle Rückkopplung auf den Garagenumsatz.

Im vergangenen Jahr stiegen die Neuzulassungszahlen bei den Elektroautos um fast
50 Prozent und bei den Hybridautos um knapp 79. Wird sich dieser Aufschwung fortsetzen?

Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Elektroautos haben nicht mehr den Status reiner Ökofahrzeuge, sondern gelten auch als trendy. Fast alle Hersteller bieten neue, attraktive Modelle mit immer grösseren Reichweiten an, die Modellvielfalt nimmt zu. Die Käufer solcher Autos lieben auch die damit verbundenen digitalen Möglichkeiten der Entertainmentsysteme. Der Ausbau des Netzes an Ladestationen wird natürlich zusätzlichen Schub verleihen. Nicht zu vergessen sind die steuerlichen Anreize beim Betrieb ­eines Elektrofahrzeugs.

Die Lage ist momentan alles andere als leicht. Wie konkret kann der AGVS seine Mitglieder in der jetzigen Situation unterstützen?

Die Corona-Taskforce des AGVS steht täglich in aktivem Kontakt mit Mitgliedern und Chargenträgern, mit den Behörden und mit Partnerverbänden. Durch die regelmässigen Kontakte zu den Behörden haben wir schon viel erreicht: aktuell zum Beispiel das Zugeständnis des Bundesamts für Gesundheit, dass kurze, physische Instruktionen mit einem Auto im Freien erlaubt sind. Auch die Schutzkonzepte, die in den Werkstätten und Waschanlagen zum Einsatz gelangen, haben unsere Spezialisten erarbeitet und den Mitgliedern über unsere Website zur Verfügung gestellt.

Corona tangiert auch die Aus- und Weiterbildung. Wie unterstützt der AGVS  die jungen Berufsleute, und ist die Lehrstellensuche im Autogewerbe schwieriger geworden?

In der Grundbildung setzen wir uns dafür ein, dass die überbetrieblichen Kurse der Lernenden normal weitergeführt werden können. Auch der Unterricht an den Berufsfachschulen findet weiterhin statt. Dank der offenen Werkstätten ist für alle Lernenden der technischen Autoberufe die betriebliche Ausbildung sichergestellt, und wir können ihnen einen strukturierten Tagesablauf gewährleisten. Bei der Weiterbildung können die Prüfungen der höheren Berufsbildung unter Einhaltung der Schutzkonzepte durchgeführt werden. Lehrgänge und Tageskurse finden im Fernunterricht statt. Das Angebot an Lehrstellen hat sich im Vergleich zu den Vorjahren zum Glück nicht verändert. Der Rekrutierungsprozess ist leicht im Verzug, da die Betriebe mit dem Anbieten von Schnupperlehren zur Zeit teilweise zurückhaltender sind als üblich. Wir haben auf www.autoberufe.ch die Möglichkeit zum Online-Schnuppern aufgeschaltet. So können sich interessierte Schülerinnen und Schüler unter anderem über Videos ein Bild von den Berufen machen. Dies zur Überbrückung, bis sie eine Schnupperlehre machen können. Den AGVS-Eignungstest können die Schüler auch in der aktuellen Situation schweizweit absolvieren.

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