Hyundai hat es satt, den Musterschüler zu spielen: Das Kind, das nie auffällt, das im Klassenzimmer nie aus der Rolle fällt. Die Koreaner wollen ganz vorn sitzen und sich mit VW oder Toyota messen. Die Marke hat sich das Ziel gesetzt, nicht nur mit dem guten Preis-Leistungs-Verhältnis aufzufallen, sondern auch mit dem Design. Ein Hyundai, den man wegen seines Stylings kauft? Noch vor wenigen Jahren hätte man das für einen Witz gehalten. Inzwischen aber sorgt der einst brave Hersteller für Aufsehen. So lassen die Koreaner jetzt auf den aufsehenerregenden Kona den futuristischen Tucson folgen. Hyundai wagt sich bei der vierten Generation des kleinen SUV mit einem mutigen Design in neue Gefilde und setzt einen deutlichen Kontrast zu den deutschen Herstellern, die für ihre wichtigsten Modelle auf der konservativen Spur rollen. Die Koreaner folgen einer anderen Philosophie: Gerade weil er so wichtig ist – der Tucson ist der SUV-Bestseller der Marke –, wird ihm die Ehre zuteil, die neue Designsprache vorzustellen. Die Verantwortlichen sprechen von sinnlicher Sportlichkeit.
Nahe am Concept-Car
Der spektakuläre Kühler mit den im Gittermuster integrierten Scheinwerfern hat für ungemein viel Aufsehen gesorgt. Im Normalfall bleiben solche Extravaganzen den Concept-Cars vorbehalten, bei denen die Designer ihren Ideen freien Lauf lassen können. Aus der Erfahrung wissen die Stylisten, dass ihre Kreativität meist auf dem Altar der Produktionsrealitäten geopfert wird. Umso mehr Lob gebührt den Hyundai-Managern, die für den Tucson den Bug der Studie Vision T (2019) fast unverändert übernehmen. Neben dem Kühlergrill mit den Insektenaugen wirkt die Formgebung der Flanken doch viel konventioneller. Aber die Silhouette ist gelungen, und die Ausbuchtungen der Kotflügel verleihen dem 4.50 Meter langen Wagen eine athletische Präsenz. Am Heck ist es mit der Originalität vorbei, die koreanischen Designer folgen dem gängigen Trend mit einem durchgehenden Leuchtband. Man bewundert die vierte Auflage des Tucson oder findet sie scheusslich, neutral bleibt kaum jemand. Das unterscheidet das SUV klar von seinen Vorgängern, aber auch von den meisten Konkurrenten.
Der schwarze Turm
Findet man das geschickte Design auch im Interieur? Vorwiegend ja. Vor allem aber wirken die fliessenden, horizontalen und symmetrischen Linien beruhigend, manche Redaktoren meinen sogar: elegant. Das betrifft jedenfalls die Textileinlagen im Armaturenbrett. Im oberen Bereich hat Hyundai hochwertige, aufgeschäumte Kunststoffe verbaut, weiter unten findet man, wie gewohnt, auch einige harte Plastikteile. Beim Einsteigen fällt der Blick aber auf den eindrücklichen schwarzen Turm von einer Mittelkonsole. Bei eingeschalteter Zündung wandelt sich das Dunkel in einen 10.25-Zoll-Bildschirm mit zahlreichen flankierenden Lichtakzenten. Nur schade, dass die gesamte Bedienung über den Touchscreen erfolgt. Der Blick des Fahrers wird etwa beim Ändern der Heizungstemperatur vom Verkehrsgeschehen abgelenkt. Die glänzende Oberfläche wird schnell von Fingerabdrücken verunstaltet. Die gleiche Unzier findet man auf dem Klavierlack der Mittelkonsole, wo die Finger für die Bedienung der Sitzheizung und -kühlung in Kontakt mit der Oberfläche treten.
Die luxuriöse Ausstattung beschränkt sich nicht auf Fahrer und Beifahrer. Die Rücksitze verfügen ebenfalls über Sitzheizung – nicht aber über Kühlung – sowie über separate Heizungseinstellungen (Ausstattunsvariante Vertex). Die Rücksitzlehnen sind sogar in der Neigung verstellbar, verschiebbar ist die Bank indes nicht. Die Kniefreiheit aber fällt mit mindestens elf Zentimetern recht grosszügig aus. Für zwei Passagiere ist der Innenraum hinten genügend breit, zu dritt wird es etwas eng. Mit 616 Litern gehört der Gepäckraum zu den geräumigsten in dieser Klasse. Die Rücksitzlehnen können über Hebelchen im Kofferraum umgelegt werden. Der Gepäckraum ist dann völlig flach und fasst 1795 Liter.
Eine Lawine von Technologien
Die beheizten und gekühlten Sitze und die Dreizonen-Klimatisierung sind nur die Spitze des Ausstattungseisbergs. Weitere Höhepunkte des Tucson sind das Infotainment mit 10.25-Zoll-Touchscreen, ein digitales Cockpit gleicher Grösse, ein elektrochromatischer Rückspiegel, aktive Stossdämpfer, LED-Licht, getönte Scheiben hinten und vieles mehr. Dazu kommt ein umfassendes Kontingent an Fahrhilfen. Das einzige, was wir vermissten, war ein Head-up-Display, selbst die Hyundai-Vertreter hatten keine Erklärung für dessen Fehlen. Kunden, die sich einen voll ausgestatteten Tucson wünschen, brauchen nicht lange Listen mit Optionen zu studieren, sie können einfach die Spitzenversion Vertex wählen. Der Preis klettert dann allerdings auch heftig nach oben, das Grundmodell Tucson 1.6 T-GDI Mild Hybrid mit 150 PS und 2WD kostet 31 400 Franken. Ein Vertex 4WD mit 180 PS kostet mindestens 47 500 Franken, unser Testwagen 1.6 T-GDi HEV war gar mit 51 850 Franken angeschrieben.
Ein echter Hybrid
Der Zusatz HEV für den 230 PS starken Topmotor im Tucson-Sortiment steht für Hybrid. Diese Bezeichnung deckt heute eine riesige Spanne an technischen Varianten ab, bei Hyundai handelt es sich um echte, aber nicht per Steckdose nachladbare Hybridautos, die auch rein elektrisch fahren können. Bei anderen Herstellern werden auch Mildhybride mit integriertem Startergenerator zu dieser Gattung mitgerechnet. Beim Tucson HEV arbeitet ein 1.6-Liter-Turbobenziner mit einem 44.2 kW starken Elektromotor zusammen. Die Kraft geht über eine Sechsstufen-Automatik an die Antriebsräder. Gespeichert wird der Strom in Lithium-Ionen-Polymer-Akkus mit 1.49 kWh Kapazität. Die kleine Batterie des koreanischen SUV ist nur für eine geringe rein elektrische Reichweite gut. Der Strom genügt, den 1710 Kilogramm schweren Wagen in Bewegung zu setzen und im Stadtverkehr mitzuschwimmen. Jedes dringlichere Durchtreten des Gaspedals sorgt dafür, dass sich der Verbrennungsmotor zuschaltet. Die Koordination erfolgt sehr sanft, die Harmonie des Antriebs ist vorbildlich. Bei Autobahnfahrten leuchtet gelegentlich das EV-Symbol auf, wenn der Tucson rein elektrisch fährt. Das System profitiert von jeder Talfahrt, um den Benziner abzuschalten.
Diese verbrauchsoptimierte Auslegung führte auf unserer Normrunde zu einem Benzinkonsum von 6.7 l/100 km. Das ist angesichts der Leistung und der Fahrzeuggrösse ein vernünftiger Wert, aber der Hauptrivale Toyota RAV4 glänzte unter fast gleichen Bedingungen mit nur 4.4 l/100 km. Freilich legte der Japaner diese Glanzleistung im Sommer hin, während der Hyundai Tucson mit schwierigeren, winterlichen Bedingungen zu kämpfen hatte. Weniger ausschlaggebend ist die höhere Leistung des Koreaners, der den 218 PS des RAV4 flotte 230 PS entgegenhält. Die Mehrleistung beschert dem Tucson beim Sprint von 0 auf 100 km/h mit 8.3 Sekunden eine halbe Sekunde Vorsprung gegenüber dem Toyota. Allerdings handelt es sich beim Tucson nicht um einen Sportler. Der Motor dreht gleichmässig hoch und lässt damit keine Leistungsspitzen erkennen. Wenig Freude kommt bei Volllast auf, wenn der 1600er einen Höllenlärm veranstaltet. Das Fahrwerk macht bei flotter Fahrt seine Sache nicht besser und lässt bei Lastwechseln ausgeprägte Karosseriebewegungen zu. Die Lenkung ist direkt ausgelegt, die Rückmeldung wirkt aber künstlich. Im Fahrbetrieb wird dem Lenker schnell klar, dass der Tucson am liebsten ohne Eile bewegt wird.
Autobahnkönig
Das koreanische SUV profitiert dafür auf der Autobahn von seiner Leistung. Man ist auf der Einfahrspur schnell auf Tempo und hat dank des üppigen Drehmoments von 265 Nm bei 1500 bis 4500 U/min immer genügend Kraft für das Überholen und entspanntes Reisen zur Verfügung. Der adaptive Tempomat hält den Abstand zum Vorausfahrenden konstant, passt die Geschwindigkeit darüber hinaus aber auch dank der Informationen des GPS an. Die intelligenten Heinzelmännchen nehmen das Tempo bereits vor einer engeren Biegung oder vor der anstehenden Tempozone zurück. Leider ist das System noch nicht ganz ausgereift – wie übrigens auch bei der Konkurrenz nicht –, sodass man sich öfter veranlasst sieht, selbst einzugreifen. Zusammen mit dem Spurhalteassistenten gibt der intelligente, adaptive Tempomat aber einen guten Vorgeschmack auf das teilautonome Fahren. Die unsichtbare Hand führt das Fahrzeug auf der Autobahn sicher und präzise in der Spur, ohne je Hektik erkennen zu lassen. Nimmt der Fahrer aber die Hände zu lange vom Lenkrad – was man nie machen sollte –, erinnert ihn das System mit einem Piepser an seine Pflicht.
Apropos Piepser: Diese machen sich schon beim Anfahren bemerkbar. Und sie treten beim Rückwärtsfahren, beim Überfahren der Mittellinie und sogar bei der Annäherung an die Markierungen in Aktion. Das ist zwar nicht schlimm, kann einem aber auf die Nerven gehen. Der Spurhalteassistent agiert zudem auf Landstrassen zu aggressiv. Andere Fahrhilfen sind der Notbremsassistent mit Fussgänger- und Velofahrererkennung sowie der Totwinkelwarner. Dieser zeigt beim Spurwechsel auf dem Bildschirm immer das Bild der Seitenkamera an. Die Idee ist sehr gut, nur ist leider die Auflösung der Anzeige zu verschwommen. Noch schlimmer steht es bei Dunkelheit, das Bild fällt einfach düster aus.
Der Tucson hat einige Schwächen, ist aber in seiner Klasse trotzdem eines der fortschrittlichsten und modernsten SUV. Mit seinem ausgezeichneten Komfort ist der Koreaner geradezu zum Reisewagen prädestiniert. Damit hat der Hyundai Tucson seine Nische gefunden, was ihn für Kleinfamilien ideal machen könnte.
Testergebnis
Gesamtnote 77.5/100
Antrieb
Die Übergänge zwischen dem Verbrennungs- und dem Elektromotor ist fliessend und kaum wahrnehmbar. Der Treibstoffverbrauch ist für einen Hybrid recht hoch.
Fahrwerk
Vergessen Sie den Sportsgeist, der Tucson ist nicht der richtige Partner dafür. Lange Fahrten vornehmlich auf der Autobahn und auf Landstrassen sind sein Ding. Hier bietet der Koreaner viel Komofort.
Innenraum
Geräumig, gut ausgestattet und gut verarbeitet – passt. Hervorzuheben sind die elektrisch verstellbaren, beheizten und belüfteten Sitze sowie die Drei-Zonen-Klimatisierung.
Sicherheit
Beeindruckend in der Anzahl, überzeugen die Fahrerassistenten auch durch ihre Bedienung. Die häufigen Alarme können ablenken.
Budget
Mit 51 850 Franken für die Vollausstattung bietet der Tucson ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis. Das alleine reicht aber heute nicht mehr aus als Kaufargument.
Fazit
Hyundai bietet mit dem Tucson eine wahre Technologie-Armada und erstklassigen Komfort – und das zu einem konkurrenzfähigen Preis. Zu bedauern sind allenfalls ein leichter Mangel an Dynamik und ein für einen Hybridantrieb doch recht hoher Treibstoffverbrauch. Aber abgesehen von diesen Punkten hat das koreanische SUV alles, um die Herzen von Familien zu gewinnen.
Die technischen Daten und unsere Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der AUTOMOBIL REVUE.