Seit der Einstellung der legendären OPC-Reihe hat Rüsselsheim nichts mehr mit Sport am Hut. Von wegen! Das Label GSI steht bei Opel immer noch für ähnlich viel sportliches Flair wie einst, also zu Zeiten, als sich der Kadett GSI mit dem VW Golf GTI um die Krone der Hot Hatches balgte. Nur ist das sportliche Talent heute eben nicht mehr so offensichtlich wie es während der OPC-Ära war. Bestes Beispiel dafür ist der Insignia, überdies derzeit das einzig verbliebene Opel-Modell mit GSI-Zusatz.
Zumindest vermittelt dieses aktuelle Bild der nur wenig sportbegeisterte Motor. Vor allem, wenn man in Erinnerungen an die Souveränität schwelgt, die der 2.8 Liter grosse V6 damals im Insignia OPC vermittelte. Wohlgemerkt: Der Vergleich ist unfair, dagegen kann der aktuelle Zweiliter-Turbomotor nur schlecht aussehen, insbesondere weil ihm mit dem Facelift 30 PS und 50 Nm geraubt worden sind. Mit 230 PS und 350 Nm ist der GSI zwar keineswegs untermotorisiert, mit gemessenen acht Sekunden wickelt er den Sprint von null auf Tempo 100 ordentlich ab. Bäume reisst der Rüsselsheimer damit aber wahrlich keine aus. Zu träge fährt er sich. Der Motor hört sich des Öftern angestrengt an und zeigt ein beinahe dieselähnliches Klangbild, nicht nur unter Volllast.
Die verhaltene Längsdynamik gründet im Wesentlichen in zwei Dingen. Stolze 1710 Kilogramm bringt der Insignia auf die Waage – 970 auf der Vorderachse, 740 hinten – und ist damit wahrlich kein Leichtgewicht. Zudem schaltet das Automatikgetriebe zwar ausgesprochen sauber und kaum spürbar, neun Gänge müssen beim plötzlichen Beschleunigen aber erst einmal sortiert werden. Bis zum Vortrieb vergeht etwas Zeit. Schneller geht es, wenn über die Lenkradwippen eingegriffen wird.
Flott durch die Kurve
So uninspiriert der GSI geradeaus auch fährt, in den Kurven wird der Insignia seinem Namenszusatz erneut vollends gerecht. Anno 2017 war der GSI auf der Nordschleife trotz kleineren Motors beeindruckende zwölf Sekunden schneller als der stärkere, aber schwerere OPC der ersten Generation. Langgezogene Kehren mit immer höher werdendem Tempo beantwortet der Rüsselsheimer mit einer späten Tendenz zum Untersteuern. Die adaptiven Dämpfer des Flexride-Fahrwerks (mit den Fahrwerksmodi Touring, Normal und Sport) stemmen sich den Fliehkräften vehement entgegen, halten den Insignia lange in der Spur. Mit zugeschaltetem Allradantrieb – vorzugsweise rollt der GSI für einen niedrigeren Verbrauch frontgetrieben durchs Land – kommt es in engen Kurven mit grossen Lastwechseln und schnellem Einlenken zu einer Art Pendeleffekt. Torque-Vectoring verteilt das Drehmoment statt über ein konventionelles Hinterachsdifferenzial über zwei Kupplungen auf die Achsen. Zunächst schiebt der GSI über alle vier Räder, dann kommt das Heck. Es dreht schön ein, hilft mit, eine Kurve rasant zu nehmen, bleibt dabei stets gut kontrollierbar. Die Lenkung ist um die Mittellage zwar etwas ungenau und hat dort zu viel Spiel, gewinnt dann aber stark an Zielgenauigkeit.
Ab und an vergisst man im Sports Tourer gar, dass man in einem fünf Meter langen und uneingeschränkt familientauglichen Kombi für etwas über 60 000 Franken sitzt. Dank des Radstands von 2829 Millimetern gleitet der Insignia im Alltag unaufgeregt dahin. Das Fahrwerk reagiert zwar beispielsweise bei Kanaldeckeln etwas unbeholfen auf kurze Stösse, bügelt Bodenwellen im Allgemeinen aber schön weg, ohne dass sich die ganze Karosserie übermässig in Bewegung setzten würde.
Grosser Durst
Dieser – grösstenteils gelungene – Kontrast zwischen Sportlichkeit und Komfort spiegelt denn auch das Erscheinungsbild des Insignia wider. Der GSI-Insignia zeichnet sich optisch durch die exklusiven 20-Zoll-Leichtmetallfelgen und die serienmässigen, roten Brembo-Bremssättel aus. Letztere machen tatsächlich Eindruck, packen giftig zu, sind dann aber äusserlich auch das einzig wirklich sportliche Highlight. Die Doppel-Endrohre aus Edelstahl verstecken sich grösstenteils hinter einer Blende. Die Front mit dem überragenden LED-Matrixlicht, das sich kontinuierlich der Verkehrssituation anpasst, wurde etwas abgeändert, sie beherbergt die aktiven Kühlerjalousien zur Steigerung der Effizienz. Wirklich sparsam ist der Insignia GSI auf der AR-Normrunde mit einem Verbrauch von 8.3 l/100 km allerdings nicht.
Die eleganten, aber nicht erzwungen sportlichen Proportionen sorgen dafür, dass der Sports Tourer platzmässig alles bietet, was man von einem Kombi verlangen darf. Der Kofferraum schluckt 560 bis 1665 Liter, dazu gibt es Schienen für die einfache Ladungssicherung und Tasten für das schnelle Umklappen der Sitzbank. Im Fond gibt es in alle Richtungen ausreichend viel Platz für die Passagiere, die von der nicht allzu stark abfallenden Dachlinie profitieren. Zudem lässt sich die hintere Sitzreihe beheizen, auch zwei USB-Schnittstellen stehen zur Verfügung. Vorne gibt es die wirklich hervorragenden und optisch auffallenden Sportsitze, die nebst einer Heizung und Belüftung auch eine Massagefunktion bieten. Allerdings wird auch hier in der letzten Konsequenz mehr Wert auf den Komfort gelegt. Die Seitenwangen lassen sich einstellen, im Schulterbereich jedoch wird gänzlich auf eine Seitenführung verzichtet.
Insgesamt ist der Innenraum nüchtern gezeichnet, jedoch erneut solide verarbeitet. Die Materialauswahl bietet eine Mischung aus Leder, Klavierlackelementen und (teilweise) unterschäumten Kunststoffen. Wenn auch optisch kein wirklicher Augenschmaus, so lässt sich alles angenehm anfassen, sitzt aber vor allem am richtigen Platz.
Das Cockpit setzt auf eine Mischung aus digitalem Bildschirm und analogen Anzeigen für Tempo und Drehzahl. In der Mittelkonsole ist ein acht Zoll grosser Touchscreen für das Infotainment verbaut. Er dürfte etwas grösser sein, die Bedienung allerdings geht lobenswert und einfach von der Hand. Zudem setzt Opel weiter auf physische Knöpfe für die wichtigsten Funktionen wie Lautstärke oder Klimasteuerung. Auch die Assistenten können über Schnellwahltasten gesteuert werden.
Totwinkelwarner und das gestochen scharfe Head-up-Display erledigen einen hervorragenden Job. Anders die Verkehrszeichenerkennung, die selbst im internen Vergleich nicht sehr zuverlässig agiert. Gleiches gilt für den Spurverlassenswarner, der die Spur nicht hält und erst spät auf Seitenmarkierungen reagiert. Was aber daran liegen dürfte, dass der Insignia noch auf der E2-Plattform von GM aufbaut und damit das letzte Modell ist, das Opel als Teil des GM-Konzerns entwickelt hat.
Doch es sei ihm verziehen, dem GSI, spätestens dann, wenn er sich in der ersten Kurve vom Familienkombi in einen Kurvenräuber verwandelt.
FAZIT
Es braucht seine Zeit, bis der Opel Insignia GSI seine wahren Stärken offenbart. Auf den ersten Metern wirkt er tatsächlich etwas behäbig, wenn auch uneingeschränkt komfortabel. Mit den Erwartungen an einen GSI hat all das allerdings nur wenig zu tun, was vor allem am wenig souveränen Motor liegt. Darin unterscheidet sich der Sports Tourer von seinen Konkurrenten diametral. Während andere Sportlichkeit vor allem über die Längsdynamik interpretieren, fühlt sich der Opel in den Kurven so richtig wohl. Dennoch gelingt es dem Rüsselsheimer, einen hohen Restkomfort zu bewahren, was ihn in Verbindung mit dem grosszügigen Platzangebot auch als GSI uneingeschränkt empfehlenswert für den Familienausflug macht.
Die technischen Daten und unsere Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der AUTOMOBIL REVUE.